© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Parteien: Vor zehn Jahren zogen die Republikaner erstmals in ein Landesparlament ein
Zwischen Euphorie und Entsetzen
Carsten Pagel

Winter 1988/89: Im damaligen Berlin (West) dümpelte ein langweiliger Wahlkampf vor sich hin. Kaum jemand zweifelte ernsthaft an der Bestätigung des von Eberhard Dipgen geführten CDU/ FDP-Senats, der seinerzeit mit einer komfortablen Mehrheit ausgestattet war.

Von der Öffentlichkeit und der bürgerlichen Presse nur wenig zur Kenntnis genommen, hatte sich jedoch im Herbst 1987 ein Berliner Landesverband der Partei "Die Republikaner" konstituiert. Die kleine, kaum 100 Mitglieder zählende Partei setzte sich seinerzeit im wesentlichen aus früheren Mitgliedern der CDU, SPD und FDP zusammen. Bereits im Jahre 1988 war es zu einer ernsthaften Krise gekommen, nachdem der damalige Landesvorsitzende, Klaus Weinschenk, und seine engsten Mitarbeiter die Partei verlassen hatten. Im übrigen betrachtete die Öffentlichkeit die Entwicklung der Republikaner nach dem für die Partei katastrophalen Landtagswahlergebnis in Schleswig-Holstein vom Mai 1988 (0,6 Prozent) als weitgehend erledigt.

Im Bundesvortstand der Republikaner wollte man sich damals in keine weiteren Landtagswahlabenteuer stürzen und sich statt dessen auf Bayern konzentrieren. Im Berliner Landesverband wollten jedoch fast alle Mitglieder zu den Wahlen antreten. Die Partei wählte einen neuen Landesvorstand und dreizehn Kandidaten für die Landesliste im Abgeordnetenhaus, die vom neuen Landesvorsitzenden Bernhard Andres angeführt wurde. Andres konnte im Bundesvorstand die Wahlteilnahme in Berlin durchsetzen, die unter das Motto "Man kann wieder wählen" gestellt wurde.

Im nächsten Schritt mußten Untersützungsunterschriften in der Bevölkerung für den Wahlantritt zum Abgeordnetenhaus und den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen gesammelt werden. Bedenkt man die organisatorische Schwäche der kleinen Partei, ließ sich die Unterschriftensammlung gut an. Die Zahl der erforderlichen Unterschriften wurde weit überschritten, schließlich die Landesliste der Partei zu den Wahlen zugelassen. Unter Federführung des Regisseurs Michael Häusler machte man sich daran, einen Wahlwerbespot zur kostenfreien Ausstrahlung im Fernsehen herzustellen.

Improvisation war Trumpf. Inhaltlich wurden in dem Werbespot besonders die Themen Kriminalität und Ausländerpolitik aufgegriffen, die in schnellen Schnitten in Szene gesetzt wurden, untermalt von der Melodie aus "Spiel mir das Lied vom Tod". Wie sich nach der ersten Ausstrahlung des Spots am 2. Januar 1989 zeigte, war dies für die Ausländerlobby der Stadt bereits zu viel. Die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) erstattete werbewirksame Strafanzeige und der Sender Freies Berlin (SFB) weigerte sich, den Werbespot ein weiteres Mal auszustrahlen. In der kleinen Berliner Geschäftsstelle der Republikaner häuften sich schriftliche und telefonische Anfragen nach Informationsmaterial. In einem Telefonforum der Bild-Zeitung warnte Diepgen davor, "die Partei mit dem Lied vom Tod" zu wählen.

In dieser Situation kam die geplante Wahlkampfveranstaltung der Republikaner im Internationalen Congreß Centrum (ICC) gerade recht. Die 700 Plätze im Großen Saal wurden mühelos gefüllt. Vor dem ICC entwickelte sich eine regelrechte Straßenschlacht zwischen etwa 10.000 Demonstranten aus der autonomen Szene und der Polizei. Nur mit Mühe konnte die Polizei ein Eindringen der Chaoten in das ICC verhindern.

Drinnen sprach vor zahlreichen Fernsehkameras Parteichef Franz Schönhuber als Hauptredner. Spätestens nach dieser Veranstaltung waren die Republikaner das beherrschende Thema des Berliner Wahlkampes.

Der nächste Triumph kündigte sich an, als das Verwaltungsgericht den SFB zur Ausstrahlung des Werbespots verpflichtete. Wenige Tage vor der Wahl flimmerte der Spot ein weiteres Mal über die Mattscheibe.

Als am Wahlabend, dem 29. Januar, die erste Hochrechnung ausgestrahlt wurde, schwankten die Reaktionen zwischen Überraschung, Euphorie, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Die CDU verlor stark, SPD und Alternative Liste (AL) gewann dazu, die FDP flog aus dem Parlament, und die Republikaner erreichten 8,5 Prozent der Stimmen.

Letztlich kamen die Republikaner auf 7,5 Prozent der für das Abgeordnetenhaus abgegebenen Stimmen, was elf Sitzen entsprach. In das Abgeordnetenhaus zog eine bunt gemischte neue Fraktion ein, die aus zwei Polizei- und einem Justizbeamten, zwei BfA-Mitarbeitern, drei Selbständigen, einem Regisseur, einem Angestellten und einem Rechtsreferendar bestand.

Noch am selben Abend demonstrierten Tausende aus der linken Szene gegen den Einzug der Republikaner in das Abgeordnetenhaus.

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie wähnte in einem der damals zahlreichen Bücher, die über die Republikaner erschienen, daß die "Büchse der Pandora geöffnet" worden sei.

Die offizielle Wahlanalyse ergab tatsächlich Erstaunliches. Die Republikaner-Wähler stammten im wesentlichen aus der jüngeren Generation. 18,8 Prozent der männlichen Erstwähler hatten die Partei gewählt. Auffällig waren auch die hohen Stimmenanteile in den traditionellen Berliner Arbeiterbezirken wie Wedding mit 9,9 Prozent und Neukölln mit 9,6 Prozent. Zusammengefaßt kann man sagen, daß die Partei vornehmlich von jungen Arbeitern gewählt worden war.

Die Suche nach den Ursachen für diesen überraschenden Wahlerfolg hat seinerzeit viel Raum eingenommen. Überwiegend wurden die Ursachen in den schleichenden Auflösungen traditioneller Bindungen an Parteien, Großorganisationen und soziale Millieus im allgemeinen gesehen. Außerdem spielte sicherlich eine Rolle, daß die "staatstragenden" Parteien über die Jahre hinweg stückweise an Vertrauen verloren hatten. Schließlich konnte die Partei das von den etablierten Kräften tabuisierte Thema der Ausländerpolitik praktisch allein besetzen.

Der damalige Erfolg konnte dauerhaft nicht gehalten werde. Der Aufstieg der damals weitgehend unbekannten Partei hat jedoch deutlich gemacht, daß ein erhebliches Wählerpotential für eine rechts von der Union stehende Gruppierung vorhanden ist. Dieses Potential allerdings so zu mobilisieren, daß dauerhaft eine parlamentarische Existenz möglich ist, ist bislang noch nicht gelungen.

Carsten Pagel, 36, war von 1989 bis Januar 1991 Mitglied der Abgeordnetenhaus-Fraktion der Republikaner. Seit 1990 auch Landesvorsitzender der Partei, erklärte er Anfang 1992 seinen Austritt. Heute ist er als Rechtsanwalt in Berlin tätig.


 
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