© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Grüne Woche in Berlin: Besucherströme zwischen Breslauer Wurst und Bihunsuppe
Wasser gibt es umsonst
Ronald Gläser

Aus den U-Bahnhöfen strömen massenhaft Rentner, Parkplätze sind im Umkreis der Messehallen Mangelware, Polizeibeamte regeln in halb Charlottenburg den Verkehr. Die alljährliche Grüne Woche in Berlin hat ihre Pforten geöffnet. Vormittags um 9 Uhr blockieren etwa zehn Reisebusse aus Niedersachsen die Straßen rund um den Theodor-Heuss-Platz. Wann sind die nur morgens aufgestanden?

Wenn der Herdentrieb erst mal richtig eingesetzt hat, ist es den Schaulustigen und Fachbesuchern auch egal, daß man an ungefähr 25 Kassen eine Eintrittskarte für 20 DM erwerben kann. An den ersten beiden Kassen drängeln sich etwa 50 Menschen, während an den anderen gähnende Leere herrscht. Dasselbe gilt für die Einlaßkontrollen.

Die Messe präsentiert sich wie jedes Jahr als großer kulinarischer Treffpunkt für diejenigen, deren Ernährung in der Regel aus Currywurst, Döner Kebab und Chicken McNuggets besteht. Als allererstes stößt man auf den Verband der polnischen Landwirte. Die Aufmachung der Dame, die diese bedeutende Institution repräsentiert, erinnert mehr an ein anderes Gewerbe, dem viele Osteuropäerinnen in Deutschland nachgehen. Daneben stechen die polnischen Agrarprodukte ins Auge: Breslauer Wurst zum Beispiel. Nebenan offeriert ein schlesisches Restaurant seine Leckereien. Schon besser.

Es ist eine Weisheit selbst gewiefter Messebesucher, die jahrelange Erfahrung im Durchschlauchen auf solchen Veranstaltungen besitzen, daß es immer schwieriger wird, eine vollwertige und gleichzeitig kostenlose Mahlzeit zu ergattern. Zur Zeit läuft ein Hit durch die Radios, der froh verkündet "Best things in life are free". Die Grüne Woche gehört nicht dazu. Zum Beispiel am Stand einer indonesischen Suppenfirma. Man reicht in einem Minibecher 0,00025cl Bihunsuppe dar, die immerhin drei Glasnudeln enthält. Bei den Berliner Wasserwerken gibt es dagegen richtiges Wasser umsonst.

Dafür geht es bei den Ständen aus deutschen Landen urig zu. Die musikalische Untermalung bei den Sachsen ist ganz in Ordnung. Eine Volksmusikgruppe singt:

"Unser Lied erklingt im ganzen Land.

Von München bis Berlin.

Von Leipzig bis nach Wien."

Das ist doch ermutigend. Aber politische Aktivisten konzentrieren sich auf andere Tatbestände. In der Halle 4.2, wo zwar keine Tiere zu betrachten sind, sondern Bier ausgeschenkt wird, gibt es eine spontane, semigewalttätige Demonstration von Gegnern der Massentierhaltung. Warum sie ausgerechnet dort ihre Kundgebung abhalten statt bei den Schweinen, den Pferden oder den Kühen ist völlig unklar. Vielleicht mußten sie sich erst Mut antrinken.

Auf der Messe gibt es nichts, was es nicht gibt. Eine unübliche Neuheit ist zum Beispiel Champagner aus Schweden. Verbinden wir doch eigentlich billige IKEA-Möbel und dünnes Bier mit dem nördlichen Nachbarn, will hier offenbar ein schneidiger Unternehmer kulinarische Spezialitäten im Hochpreissegment vermarkten.

Weiter durch die Hallen: Zwischen Whirlpool und Aquarium ist der Stand eines Hanfbauern, der die Vorzüge dieser Pflanze gegenüber Plastik und anderen künstlichen Stoffen darlegt. Die Frage danach, ob man seinen Stoff auch inhalieren kann, sollte man sich schenken, denn die wird ihm bestimmt 200 Mal am Tag gestellt. Wer an die eigene kleine Marihuanaplantage denkt, sollte sich ein Minigewächshaus zulegen. Die werden zwischen Traktoren und Rasenmähern präsentiert.

Man kann aber auch ganz friedlich Tulpen oder Petersilie züchten. Der holländische Samenverkäufer hat wirklich alles im Angebot. Eine Frau mittleren Alters und ihr Gatte werden von einer süßen Verkäuferin überzeugt: Samen für Zwiebeln, für Tomaten, für diverse Kräuter und für Blumen aller Art kann man ja immer gebrauchen. "Wir haben aber gar keinen Garten" entgegnet die Frau. Zehn Minuten später verläßt das Pärchen den Stand mit zwei großen Plastiktüten voller Samen. Kann man ja immer gebrauchen...

Gesellschaftlicher Höhepunkt für junge Messebesucher ist der alljährliche Ball der deutschen Landjugend (DLJ). Weil die Getränke im Internationalen Congress centrum (ICC) si immens teuer sind, sorgen umsichtige Bauernsöhne und -töchter vor: Vor ein paar Jahren verkleideten sich einige als Piraten und brachten eine große Schatzkiste mit. Die Taschenkontrolle förderte rund 30 Schnapsflaschen zutage.

Aber auch ohne importierten Bölkstoff geht auf dem Ball regelmäßig die Post ab. Minderjährigen Besuchern ist vom Besuch der Feuertreppen oder separater Räume abzuraten. Im angetrunkenen Zustand werden dann auch die überfälligen Kämpfe um die Dorfschönheiten ausgetragen.

Für die Mitarbeiter der Veranstaltungsfirma ist der Ball der Landjugend ein Tag, an dem man sich lieber frei nimmt. Die besten Dinge im Leben sind eben frei.


 
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