© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Paul van Buitenen
Protestant mit Gewissen
von Menno van Heeckeren

Daß "Demokratie" in Europa noch immer ein recht dehnbarer Begriff ist, hat der Skandal um die EU-Kommissare Cresson und Marin wieder schmerzhaft vorgeführt. Das Europaparlament handelte zutiefst unpolitisch; anstatt den Aufstand zu proben und sich demokratische Rechte anzueignen, ließ es sich mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses abspeisen. Daß die EU-Kommission aber auch intern mit unbequemen Kritikern nicht sehr demokratisch umgeht, blieb bisher weitgehend unbeachtet. Brisant wird es, wenn interne Repressionsmaßnahmen dazu dienen, Forderungen nach mehr Demokratie und Transparenz von vornherein zu unterbinden.

Solches durfte auch der holländische EU-Beamte Paul van Buitenen erfahren. Sein Schicksal macht deutlich, daß kritische Loyalität nach dem gängigen EU-Verständnis noch immer eine contradictio in termine darstellt. Van Buitenens Stellung als Buchhalter der Kommission verschaffte ihm Einblick in die zahlreichen Vertuschungen und Unregelmäßigkeiten im EU-Haushalt. Weil er, nach eigenem Bekunden, diese Praxis nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, entschloß er sich kurzerhand, mit einem Korruptions-Schwarzbuch an die Öffentlichkeit zu treten. Das Schwarzbuch legt dar, wie insbesondere die Kabinette der Kommissare Cresson und Marin Gelder verschwinden ließen, öffentliche Ausschreibungsverfahren ignorierten und ungeniert Klientelwirtschaft betrieben. Die Reaktion der EU-Kommission ließ nicht lange auf sich warten: Schon vor Weihnachten, unmittelbar nach der Veröffentlichung des belastenden Dokuments, wurde van Buitenen als EU-Beamter suspendiert, weil er angeblich Amtsgeheimnisse offenbart hatte. Unterdessen läuft ein Disziplinarverfahren gegen van Buitenen: es ist noch keineswegs sicher, ob er seine Stelle wird behalten können.

Van Buitenens Initiative war, obwohl folgenschwer für die eigene Karriere, sicherlich keine überstürzte Aktion. In einem Interview mit der flämischen Tageszeitung De Standaard wies er darauf hin, daß er sich mit seinen Unterlagen schon an mehrere Instanzen gewandt hatte. Da hieß es aber, van Buitenen verfüge über keine eindeutigen Belege für seine Anschuldigungen. Doch daß etwas an den Informationen dran sein könnte, hat die EU-Oberen doch etwas beunruhigt. Sonst wäre ja nicht zu verstehen, daß der Generalsekretär des EU-Administrationsamts van Buitenen mit Entlassung drohte, falls er sich an die Öffentlichkeit wende.

Van Buitenen wußte also, was er unternahm. Natürlich, Zweifel habe er gehabt, doch entscheidend war der Rat seines Pfarrers. Das Mitglied der Flämischen Grünen ist nämlich überzeugter Protestant und gehört wohl zum immer seltener werdenden Typus des "Gesinnungsethikers".


 
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