© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Auswärtiges Amt: Ex-Kommunist in den Planungsstab berufen
Eine deutsche Karriere
Werner Olles

Selbst dem doch ziemlich regierungskritischen Focus war die Berufung des ehemaligen 1. Sekretärs des Zentralkomitees des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) und späteren Herausgebers und Chefredakteurs der Zeitschrift Kommune Hans Gerhard "Joscha" Schmierer in den elfköpfigen – von Insidern auch ehrfürchtig als "Gehirn" bezeichneten – Planungsstab des Auswärtigen Amtes nur ein paar ironische Zeilen wert. Und auch die Republikaner erregten sich nur pflichtgemäß und konstatierten, daß Bundesaußenminister Joseph Fischer offensichtlich "zu seinen linksextremen Wurzeln zurückkehrt", und sich somit "zum Sicherheitsrisiko Nummer eins für unser Land entwickelt".

Dies mag in der Tat – schaut man sich die einigermaßen trübe Vergangenheit der beiden genannten Herren genauer an – zunächst einmal so erscheinen. Dennoch ist die Sache nicht ganz so eindimensional und immerhin einer objektiven Analyse wert.

Nach Ortega y Gasset ist das Leben ein einziger Schiffbruch. Für einige Protagonisten der 68er-Kulturrevolution trifft dies ganz offensichtlich so nicht zu. Einer jener Glückspilze, deren Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft – wenn auch recht spät – völlig klaglos funktionierte, war der Heidelberger SDS-Funktionär und Redakteur der Studentenzeitung Rotes Forum, Joscha Schmierer.

Ende 1969 gehörte Schmierer zu jenen Kadern, die unter dem Schlagwort der "Liquidation der antiautiritären Phase" in Wahrheit die Auflösung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes zugunsten einer Adaption des Marxismus-Leninismus betrieben. Dem Vorwurf von Hans-Jürgen Krahl, Schmierer "ontologisiere einen vermeintlichen Standpunkt des Proletariats zur Entität und reduziere den SDS auf eine bloße Scharnierfunktion zwischen Arbeiter- und Studentenbewegung", begegnete dieser mit der Forderung nach der "richtigen Anwendung" der Ideen Mao Tse-Tungs und der Organisationsprinzipien Lenins.

Die "Kritische Theorie", aus der heraus Krahl seine These begründete, daß die Intelligenz zum kollektiven Theoretiker der Arbeiterklasse werden müsse, und mit deren Hilfe er den vergeblichen Versuch unternahm, dem Verband einen theoretischen Rahmen anzubieten, von dem aus eine neue Definition politischer Problemstellungen auf überregionaler und nationaler Ebene hätte erfolgen können, bezeichnete Schmierer ebenso polemisch wie hämisch als "geschwätzig gewordene Resignation über den Faschismus". Die Reste bürgerlicher Ideologie in der Studentenbewegung konnten nach seiner Ansicht nur mit einem erhöhten Maß an Organisationsdisziplin und straffer, zentralistischer Kaderorganisation und Leistung bekämpft werden.

 

KBW – eine schlagkräftige und mobile Organisation

Krahls plötzlicher Tod durch einen banalen Verkehrsunfall am 15. Februar 1970 bedeutete nicht nur eine ungeheure Zäsur in der politische Praxis der Neuen Linken, sondern läutete auch das endgültige Ende des SDS als studentischen Gesamtverband ein. Die offizielle Auflösung erfolgte am 21. März 1970, zu einer Zeit, als in West-Berlin bereits die Kommunistische Partei Deutschlands-Aufbauorganisation (KPD/AO) von den ehemaligen SDS-Funktionären Christian Semler und Jürgen Horlemann gegründet worden war.

Aus der im Juni 1970 vom baden-württembergischen Innenministerium verbotenen letzten aktiven Hochschulgruppe des SDS in Heidelberg und dem neoleninistisch-maoistischen Kommunistischen Studentenverband (KSV) – der sich später in Kommunistischer Studentenbund (KSB) umbenannte – entwickelte sich 1972 die mitgliedermäßig stärkste K-Gruppe der siebziger Jahre, der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW). Anders als die Führer der diversen ML-Parteien betrachtete Schmierer den KBW, zu dessen Chef-Ideologen er schnell avancierte, keineswegs als Wiedergeburt der alten KPD. In dem Augenblick, in dem eine fortgesetzte Reflexion über die Erreichbarkeit der Ziele an die Stelle der kontinuierlich geführten Emanzipationsdebatte hätte treten müssen, drängte die ML-Fraktion des SDS nach vorne.

Als kommunistische Kleinbürger und verkniffene Apologeten der Arbeiterklasse – die nichts mit ihnen zu tun haben wollte – gelang es Schmierer und seinen Genossen zwar innerhalb kurzer Zeit, mit Hilfe der Wochenzeitung Kommunistische Volkszeitung (KVZ) und des Theorieorgans Kommunismus und Klassenkampf eine relativ schlagkräftige und mobile Organisation aufzubauen, die aber dennoch wie die übrigen ML-Parteien auch seit Beginn ihrer Gründung mit all jenen Fehlern und Kinderkrankheiten behaftet war, die autoritären Kaderorganisationen nun einmal eigen sind. Gruppendruck und Leistungsterror zerstörten bei den sensibleren Mitgliedern bald schon alle Illusionen über den leninistischen Weg zum Sozialismus.

Daß der KBW sich trotzdem gut zehn Jahre halten konnte, verdankte er u. a. einem satten finanziellen Polster. Nach der von der Führung ausgegebenen Devise "Die Kapitalisten mit dem Geldsack schlagen" wurden Kandidaten, Anwärter und Mitglieder rigide zur Kasse gebeten. Üblich war ein Mitgliedsbeitrag von zehn Prozent des Einkommens, gedrungen wurde auch auf die Überschreibung von Erbschaften. So kamen stattliche Summen zusammen, die es dem KBW erlaubten, einen üppigen Stamm hauptamtlicher Mitarbeiter zu beschäftigen, dazu eine ansehnliche Flotte schwedischer Saab-Limousinen zu unterhalten, sowie eine eigene Druckerei und eigene Buchläden.

1977 erwarb man für rund 3,3 Millionen Mark das sogenannte KBW-Haus in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs. Nach dem 20 Jahre später erfolgten Abriß des Anwesens kassierte die Kühl-KG als Rechtsnachfolger des 1985 aufgelösten KBW noch einmal 30 Millionen Mark vom Käufer, der Commerzbank, in Form des sogenannten Öko-Hauses in Bockenheim, in dem u. a. die Grünen, aber auch die Redaktion der Zeitschrift Kommune mit ihrem Chef Joscha Schmierer residieren.

Als Realpolitiker hatte Schmierer die relative Erfolgslosigkeit der linksextremen ML-Politik ziemlich früh eingesehen. Rüde Parolen von "allgemeiner Volksbewaffnung" und die blinde Verehrung der kambodschanischen Massenmörder um Pol Pot hatten intelligentere Kader wie Gerd Koenen, aber auch Schmierer zunehmend in Selbstzweifel gestürzt. Das Aufkommen der Grünen Ende der siebziger Jahre bot diesen Genossen eine neue Heimat. Das endgültige Ende des KBW Mitte der achtziger Jahre – kleinere Abspaltungen wie der Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) machten allerdings weiter, inzwischen als Arbeitsgemeinschaft in der PDS – feierten die KBW-Funktionäre in Frankfurt als ihren Abschied von der "Jeunesse dorée".

Ein paar Jahre später kommentierte der zum linksliberalen Grünen mutierte Schmierer in der Kommune die deutsche Wiedervereinigung als "Zusammenschmeißen der beiden Gesellschaften", das "aus Gründen der Demokratie und der Chance einer zivilen Entwicklung vermieden werden mußte". Als "letzte Utopie" erscheint ihm heute "der europäische Gedanke", den er gegen die "DM-Fetischisten", die "Bundesbank und ihren Präsidenten" mit Zähnen und Klauen verteidigen will. Der Euro "schließe den Spannungsbogen zwischen dem Alltag der Individuen und der großen europäischen Politik".

 

Dem Pazifismus hat er längst abgeschworen

Fragen nach der Identität Europas, seinen Grenzen und dem kulturellen und historischen Raum des alten und neuen Europa bügelt er als "Euro-Philosophie mit Spenglerschen Neigungen" ab. So läßt sich phantastisch mit den Begriffen hantieren und jeder, der nicht seinen politischen Internationalismus teilt und an die Globalisierung der Menschenrechte und an die UNO glaubt, "läuft Gefahr, sich mit rot-brauner Sauce zu bekleckern". Gegen diese "national-sozialen, aus allen anti-kapitalistischen Waffenkammern zusammengeklauten Ideologeme" hilft nur die "moderne Demokratie" als "dauerhaftes Realitätsprinzip westlicher Politik".

Genau wie sein neuer Dienstherr hat auch Schmierer inzwischen dem Pazifismus abgeschworen, wenn dieser sich nicht zur "Bewegung für Demokratie und Menschenrechte" erweitert. So plädierte er im Jugoslawien-Konflikt für eine offene Parteinahme gegen den serbischen Aggressor. Daß er den Krieg nicht aus der Vermischung verschiedener Kulturen definierte, sondern in dem Versuch, sie in Staatsformen "auseinanderzudevidieren", machte die Verwirrung nicht unbedingt kleiner. Vor dem Hintergrund der Schmiererschen Definitionsmacht werden die grünen Sirenengesänge dann aber klarer. Letztlich wird so auch der Kampf um die doppelte Staatsbürgerschaft zum Testfall: Ist die Bundesrepublik die "Frucht selbständiger gesellschaftlicher Aktion" oder immer noch "der Staat der deutschen Stämme", der "längst an die Substanz der Demokratie geht"? Schmierers Resümee: "Vierzig Jahre Grundgesetz sind dennoch viel besser, als alle Jahre Sedantag", mag man vielleicht als neue Sinnstiftung im Diskurs goutieren oder auch nicht, seine Einschätzung der Neuen Rechten als "vitalistisch und epigonal" ist gleichzeitig auch als eine Hommage an die eigene verratene rote Utopie zu verstehen.

Renegaten haben in der Regel nicht nur ein Problem, sie sind auch ein Problem. Wenn sie es gar zur stellvertretenden Bundestagspräsidentin, zum Bundesaußen- oder Umweltminister, zum hessischen Justizminister oder auch nur zum Leiter des Presse- und Informationsamtes der Stadt Frankfurt gebracht haben, wird einem schnell klar, daß die deutsche Nachkriegseigentlichkeit gepaart mit der allgemeinen Prinzipienlosigkeit der politischen Klasse nichts als ein opportunistisches Geschäft einer palavernden Funktionselite des Machterhalts ist. Dies wird auch der frühere Revolutionär Hans Gerhard Schmierer im Planungsstab des Auswärtigen Amtes sehr bald spüren. Vermutlich wird er sich gerade daher dort – wo er auf weitere Genossen aus der Kampfzeit treffen wird – sauwohl fühlen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen