© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Atomausstieg: Die Anti-Atomkraft-Bewegung macht wieder mobil
"Konsens ist Nonsens"
Gerhard Quast

Die Energiewirtschaft stellt sich stur: Das erste der 19 in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke – das AKW Obrigheim – könne frühestens im Jahr 2019 vom Netz gehen. Grundlage für diese Berechnung sind 40 "Vollastjahre". Eine frühere Abschaltung werde Schadenersatzforderungen nach sich ziehen, signalisierten am vergangenen Wochenende die Betreiberfirmen. Mit "aller Deutlichkeit" werden sie deshalb bei ihrem nächsten Treffen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder auf die erteilten unbefristeten Betriebsgenehmigungen hinweisen.

Die lange Laufdauer ist aber nicht die einzige Belastungsprobe für die rot-grüne Regierungskoaliton: Angesichts des drohenden Aus für die Wiederaufbereitung droht Frankreich bereits mit massenhaften Rücktransporten wiederaufbereiteter deutscher Kernbrennstäbe. Hinzu kommt, daß spätestens im Jahr 2005 die Lagerkapazitäten bei den Kraftwerken nicht mehr ausreichen und von diesen dann ebenfalls Castor-Transporte in die Zwischenlager Ahaus und Gorleben erfolgen müssen. Szenarien wie bei den in den vergangenen Jahren durchgeführten Castor-Transporten nach Gorleben und Ahaus sind dann an der Tagesordnung. Denn für die AKW-Gegner sind Castor-Transporte nur vertretbar, wenn der Ausstieg zügig und unumkehrbar erfolgt. Die angekündigten langen Laufzeiten lassen sich der ohnehin skeptischen Anti-AKW-Bewegung aber wohl kaum als "Ausstieg" verkaufen.

Der "Druck der Straße" spielt "eine zentrale Rolle"

Besondere Probleme ergeben sich daraus für die Grünen: Als Regierungspartei mit enger Anbindung an die Anti-AKW-Bewegung müssen sie einen kaum zu meisternden Spagat vollführen und die Atommülltransporte gegen drohende Proteste ihrer eigenen Wählerklientel durchsetzen. Wie dies gelingen könnte, zeigte kürzlich der bündnisgrüne Bundesumweltminister: "Gemeinsam werden wir die Anwendung dieser gefährlichen Energieversorgung beenden", versuchte Jürgen Trittin bei einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei in Kassel die angerückten Atomkraftgegner zu beschwichtigen. Diese hatten den Minister auf ihre unnachgiebige Haltung hinwiesen: "Blockieren bis zum Abschalten" stand auf dem Transparent. Doch für Trittin bedeutet das keineswegs eine Kampfansage an seine eigene Politik. Daß sich die Atomkraftgegner auch unter einem grünen Umweltminister mit Castor-Transporten durch Deutschland nicht abfinden werden, ist für den Minister kein Problem. "Der Druck der Straße" spiele schließlich beim Ausstieg aus dem "Atomzeitalter" eine "ganz zentrale Rolle".

Doch dieser Aufforderung Trittins, den Kampf nicht aufzugeben, hätte es nicht bedurft. Die Anti-AKW-Bewegung mißtraut den Ankündigungen zur "Unumkehrbarkeit" des Ausstiegs ohnehin. Aus ihrer Sicht werde mit den Konsensgesprächen "nur Zeit geschunden" und der Atomausstieg "auf die lange Bank geschoben", so Wolfgang Ehmke, Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau.

Ein brauchbares Endlager ist noch lange nicht in Sicht

Auch die Drohungen der Franzosen, daß massenhaft Rücktransporte erfolgen werden, nimmt er gelassen: "Bevor überhaupt Atomtransporte rollen, müßte ohnehin der Skandal um die verseuchten Atombehälter aufgearbeitet sein", so Ehmke. Auch der vorgesehenen Zwischenlagerung in Ahaus oder Gorleben hat die Bürgerinitiative den Kampf angesagt. Denn mit der Zwischenlagerung werde die Fiktion genährt, "es gäbe eine nukleare Entsorgung". Am Ende stünde die Gefahr, daß die dortigen Hallen von Dauer seien, "ohne daß ein brauchbares Endlager in Sicht wäre", so Ehmke. "Schon deswegen stellen wir uns weiter quer."

Daß eine Rückführung des Mülls erfolgen muß, streitet die Anti-AKW-Bewegung nicht ab. "Aber Rot-Grün diskutiert diese Entsorgungsstrategie unabhängig von einer Stillegungsstrategie", begründet Ehmke seine Unnachgiebigkeit. Konflikte mit den Grünen seien dann unausweichlich, sollten sie den Atomkraftgegnern raten, "zwischen ‘gutem’ und ‘schlechtem’ Atommüll zu unterscheiden".

Daß "der Widerstand" gegen die Castor-Transporte nicht nachlassen wird, machte Ehmke bereits in der letzten Ausgabe der anti atom aktuell deutlich: "Für die Umweltverbände und die dahinter stehende bzw. autonom agierende Anti-AKW-Bewegung gab und gibt es nichts zu ‘verhandeln’, denn ein Spiel mit dem Restrisiko, ein Ja zum Weiterbetrieb von Atomanlagen (…) kann es nicht geben." Entsprechend unmißverständlich ist die Haltung Ehmkes zu den laufenden Gesprächen: "Konsens ist Nonsens" ist sein Zeitschriftenbeitrag in anti atom aktuell überschrieben.

Als Konsequenz daraus ergebe sich für die Anti-AKW-Bewegung nur eines, sie muß sich "auf ihre besten Qualitäten besinnen: Aktionsbereitschaft".

Ähnlich sieht es auch Jochen Stay von der Anti-AKW-Kampagne "X-tausendmal quer – überall". Auch er hält ein Nachlassen der Aktivitäten für verkehrt und kündigte die Fortsetzung der Aktionen an. Vorbereitungen für "den Tag X" laufen bereits, ein erstes Planungswochenende seiner Kampagne sowie "ein Vernetzungstreffen aller Initiativen" fanden bereits im Januar statt. Überlegt werde im Moment vor allem, wie die Mobilisierung bis zum ersten Castor-Transport "sowohl effektiv als auch attraktiv" erfolgen kann. In der Zeitschrift Graswurzelrevolution stellt Stay dieszüglich bereits Möglichkeiten zur Disposition: "Zwischenlager-Bauplätze besetzen? Bauverkehr blockieren? Konsensgespräche stören? Laufende AKWs dichtmachen? Stromkonzerne ärgern? Lassen wir uns überraschen!" Schon jetzt steht aber fest: "Der erste Castor, der wieder fährt, egal von wo und nach wo, den werden wir blockieren."

Mit "konsequentem Widerstand" ist zu rechnen

Wie auch immer die Konsensgespräche ausgehen werden, die Anti-Atom-Bewegung hat unmißverständlich klargemacht, daß für sie nur eine Stillegung aller AKWs "sofort und ohne jeden Aufschub" akzeptabel sei. Mit "konsequent anhaltendem Widerstand" ist also zu rechnen. Denn auch den Transport "rot-grüner" Castoren wollen die Atomkraftgegner "mit allen Mitteln verhindern".


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen