© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Weltwirtschaft: Die US-Pläne zur Entschuldung Rußlands gehen zu Lasten der Deutschen
Alarmglocken müßten läuten
Ronald Schroeder

Deutschland ist nach Japan der zweitgrößte Gläubiger der Welt und für Rußland der mit Abstand größte westliche Kreditgeber. Von den russischen Staatsschulden in Höhe von 145 Milliarden US-Dollar gegenüber dem Ausland entfallen auf Deutschland 55 Milliarden Dollar. Davon sind 25 Milliarden Dollar Altkredite der ehemaligen Sowjetunion. Das entspricht der Hälfte aller Altschulden der ehemaligen Sowjetunion. 24 Milliarden Dollar entfallen auf gewährte Hermes-Bürgschaften, vier Milliarden sind ungebundene Finanzkredite und zwei Milliarden Gewährleistungen gegenüber Rußland.

Seitdem Rußland Ende vergangenen Jahres den im Londoner Club zusammengeschlossenen westlichen Banken eine Zinszahlung von 362 Millionen Dollar schuldig blieb, erfüllt es die Kriterien der Zahlungsunfähigkeit. Besserung ist nicht in Sicht. Der neue russische Staatshaushalt rechnet bereits mit weiteren sieben Milliarden Dollar an Auslandskrediten. Das gesamte Wirtschaftssystem ist marode, der Finanzsektor praktisch nicht mehr funktionsfähig, das Land in den Stand der Naturalwirtschaft zurückgefallen. Der Gold- und Devisenreservenbestand ist auf ganze 12,2 Milliarden Dollar zusammengeschrumpft. Der jährliche staatliche Schuldendienst gegenüber dem Ausland liegt hingegen in einer Größenordnung von 17 Milliarden. Nicht enthalten sind hierin die Schuldendienste russischer Banken und Unternehmen gegenüber dem Ausland.

Da von Rußland kaum noch etwas zu holen ist, hat ein Hauen und Stechen der Gläubiger untereinander eingesetzt. Bei ihrem kürzlichen Moskau-Besuch brachten der stellvertretende amerikanische Außenminister Talbot und US-Finanzminister Simmers eine Variante der Schulden-Entlastung zur Sprache, die in Deutschland die Alarmglocken läuten lassen müßte. Gestrichen werden sollen vor allem sowjetische Altkredite und Regierungskredite an Rußland. Damit soll die Bedienbarkeit der knapp 28 Milliarden Dollar an Krediten gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank sowie den knapp 16 Milliarden Dollar Auslandsanleihen gewährleistet werden. Hier sind auch die Amerikaner mit engagiert. Der Schuldendienst hierfür beträgt 1999 knapp fünf Milliarden Dollar. Altkredite gegenüber der ehemaligen Sowjetunion haben die USA praktisch nicht. Auf diese Weise würde der deutsche Steuerzahler die Gewinne amerikanischer Banken aus ihren Rußland-Engagements sichern. Ob die Bundesregierung diese Entschuldungsvariante zu Lasten Deutschlands verhindern kann, ist äußerst fraglich. Eher ist damit zu rechnen, daß eine neue Schuldenentlastung nach dem Vorbild Polens und Ägyptens bevorsteht. Damals setzten ebenfalls die Amerikaner massive Streichungen vor allem deutscher Kredite durch. Die polnische Regierung hatte geschickt die politisch mächtige Lobby der Polen im US-Kongreß, aber auch den Papst gegen die Gläubigerstaaten mobilisiert. Waren schon vergangene Bundesregierungen bei der Durchsetzung deutscher Interessen gegenüber ausländischen Schuldnern nicht besonders erfolgreich, gibt die aktuelle Entwicklung Anlaß zu größter Sorge.

In der Vergangenheit wirkte regelmäßig noch die unabhängige Deutsche Bundesbank als Vertreter deutscher Finanzinteressen. Diese verfügte über hervorragende Experten mit jahrzehntelanger Erfahrung auf dem internationalen Finanzparkett und ein weltumspannendes Netz persönlicher Kontakte. Nach dem Willen der EU-Kommission sollen künftig aber nur noch gemeinsame Interessen der Eurozone auf der internationalen Bühne vertreten werden. Mit dieser Aufgabe betraut werden sollen die Europäische Zentralbank (EZB), die EU-Kommission und auf der Ebene der Finanzminister der EU-Elferrat. Selbst Karl Otto Pöhl warnte, die Übertragung der Außenvertretung der Eurozone an EU-Institutionen werde zu einem massiven Verlust an deutschem Einfluß innerhalb der großen Wirtschaftsmächte (G7) führen. Und der ehemalige Bundesbankpräsident ist mit Sicherheit des Nationalismus unverdächtig. Die Bundesregierung selbst hat sich zu dieser Problematik noch nicht geäußert.

Allerdings ist die derzeitige Bundesregierung selbst ohne ausländischen Druck zum milliardenschweren Erlaß von Schulden gegenüber dem Ausland bereit. Auf dem Treffen der führenden Industrienationen mit Rußland (G8) im Juni in Köln wird die Bundesregierung eine Initiative zum Schuldenerlaß für die ärmsten Länder unterbreiten. Danach sollen die Industrieländer auf alle Forderungen aus der Entwicklungszusammenarbeit mit solchen Staaten vollständig verzichten, deren Gesamtverschuldung mehr als 200 Prozent ihrer Exporte eines Jahres ausmacht. Deutschland selbst würde diese Regelung 1,5 Milliarden Mark kosten. Nutznießer wären Bolivien, die Elfenbeinküste, Guayana, Nicaragua und Honduras.

Bereits jetzt hat Bonn klargemacht, daß es auch zu einem Alleingang bereit ist, sollte eine multilaterale Lösung nicht zustande kommen. Außerdem möchte die Bundesregierung sowohl dem IWF als auch der Weltbank weitere Mittel zur Unterstützung der ärmsten Länder der Welt bereitstellen. Unabhängig von dieser Initiative werde Deutschland auch die Politik fortsetzen, der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder ("LDC-Staaten") Kredite zu erlassen. Hier ist insbesondere an Madagaskar gedacht. Ebenfalls von Deutschland stammt der Vorschlag, bei staatlich verbürgten Handelsforderungen die maximale Schuldenerlaßgrenze von bisher 80 Prozent auf 100 Prozent zu erhöhen. Dabei ist unbestritten, daß das derzeitige internationale Finanzsystem grundlegend reformiert werden muß. Das aber ist nicht vorrangige Aufgabe der Deutschen und kann auch nicht hauptsächlich zu Lasten Deutschlands erfolgen. Die Grenzen der Belastbarkeit sind auch in diesem Bereich längst erreicht.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen