© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


Zeitschriftenkritik: "Novalis"
Hohes geistiges Niveau
Werner Olles

Die 1946 unter dem Titel Die Kommenden gegründete und nunmehr im 53. Jahrgang erscheinende Schweizer Monatszeitschrift Novalis – Zeitschrift für spirituelles Denken befaßt sich eingehend und auf hohem intellektuellen Niveau mit Esoterik, Religion und Philosophie, Kunst und Kultur, Ökologie und Umweltschutz auf der Grundlage der von Rudolf Steiner ins Leben gerufenen Theosophie. Sieht man den letzten Jahrgang durch, dann fallen einem Themen ins Auge wie "Esoterik im Dritten Reich", "Das Kaspar Hauser-Rätsel", "Apokalypse", "Natur und Mensch" oder "Rosenkreuzertum". Die letzten Ausgaben von Novalis widmen sich u. a. der "Geschichte des Bewußtseins" und der Erkundung der Frühzeit der Sprache. Hier stößt man auf den Mythenschöpfer und Denker J. R. R. Tolkien ("Der Herr der Ringe"), aber auch auf den Schriftsteller und Naturwissenschaftler C. S. Lewis, die sich insbesondere für das Verhältnis von Sprache und Imagination interessierten. Ein weiteres Thema ist "Das Offenbarwerden des Weiblichen". Anhand des weiblichen Initiationsmärchens der Gebrüder Grimm "Brüderchen und Schwesterchen" beschreibt Edith Dörre die Frau als "Mysterium des Lebens", als "große Göttin" und "Königin der Gestirne und des Himmels". Diese mythologische Sphäre, in der durch weisheitsvolle Fäden alles miteinander verwoben war, wurde zerrissen, als sich das individuelle Bewußtsein von der erlebten Ganzheit abtrennte.

Über die kulturhistorische Bedeutung der schottischen Hebrideninsel Iona für Europa schreibt Sybille Alexander in der vorletzten Ausgabe von Novalis. Für die keltische Kirche gilt Iona als die Wiege des Christentums. Die Kreuzigung Christi sahen die Druiden voraus, und keltische Elemente wie das Sonnenkreuz, das nicht an Karfreitag, sondern an Ostern erinnert, und die Iona Abbey, die in den 60r Jahren, als die schottische Nation die Landung des heiligen Columba auf der Insel feierte, konnten bis zum heutigen Tag erhalten werden.

Ein weiterer Text befaßt sich mit der Volksdichtung in der russischen Literatur und dem futuristischen Dichter Wladimir Majakowski, der sich in den Dienst der bolschewistischen Bekämpfung der orthodoxen Kirche gestellt hatte. Majakowski identifizierte sich selbst mit dem Antichrist, den er in Gedichten und Theaterstücken verherrlichte. Bald nachdem er in einem Text geschrieben hatte, Jesus müßte sich aufhängen, wenn er wieder auf die Erde käme, nahm sich der Dichter selbst das Leben.

In der jüngsten Novalis-Ausgabe geht es um "Esoterik im Christentum". Danach kann das Wesen christlicher Esoterik als "Teilhabe am Mysterium" verstanden werden. Scharf grenzt man sich hier von einer "angemaßten Schein-Esoterik" ab, die nicht in der Wesenstiefe des Menschen veranlagt ist. In diesem Zusammenhang werden auch die antike Gnosis, die abendländliche Mystik und die Theosophie, geheime Verbindungen und geschlossene Gesellschaften untersucht.

"Novalis" (Vordergasse 58, CH-8201 Schaffhausen) erscheint monatlich. Einzelpreis 10 DM, Jahresabo 96 DM.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen