© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/99 05. Februar 1999


CD: Pop
Fusionsfieber
Peter Boßdorf

Der Vergleich mit Rammstein ist auf Teufel komm ‘raus provoziert, damit niemandem entgeht, in welcher Liga die neue Band Weissglut nach menschlichem Ermessen spielen wird: Machte nicht auch Rammstein sein Debüt vor den Massen mit Oben-Ohne-Images der Musikanten auf? Gehörte zum Gesamteindruck, der sich einzustellen hatte, nicht auch der ungestümer Entschlossenheit? War durch die Wahl der hiesigen Landessprache dem einheimischen Testmarkt nicht gleichfalls die Chance geboten, die deutlich markierten Abgründe einmal ganz ohne Wörterbuch auszuloten? Damit sind die Gemeinsamkeiten allerdings bereits ausgereizt, wenn man jene mit Fassungslosigkeit vorgetragene Verdächtigung des Spiegel, hier handele es sich um den soundsovielten Aufguß deutschen Ungeistes, denn nicht als weitere akzeptieren will.

Rammstein demonstriert deutsche Körperlichkeit und profitiert davon, daß jede Alterskohorte, die ins Sexualleben eintritt, vom Gefühl ergriffen wird, dies sei eine Pionierleistung. Da gibt es Augenblicke, da möchte man den ganzen Bataille auf einmal lesen – oder eben Rammstein hören. Weissglut hingegen demonstriert auf "etwas kommt in deine welt" (Dragnet/Sony) spätindustriezeitalterliche Gottessuche und wird darunter zu leiden haben, daß sich diese Frage für die allermeisten nicht so intensiv stellt wie für den Autor der Texte, Josef Maria K. Kein Unbekannter übrigens – deshalb gehört er, wie zu hören ist, unterdessen nicht mehr zum Line Up. Er war (oder ist) Frontmann von Forthcoming Fire und läßt jene aggressive Schwermut, jenes Schwanken zwischen letztem Gefecht und eschatologischer Erwartung, das seine musikalischen Wege begleitete, auch im neuen Projekt anklingen. Mit einer neuen musikalischen Positionierung: Weissglut markiert einen der möglichen Übergänge zwischen Metal und dem Pluriversum unter dem Independent-Etikett. Die Band hat das Glück, daß in Fusionszeiten Konzerne auch auf die Zusammenlegung von Marktsegmenten Wert legen.

In diesem Sinne mag es sogar gerechtfertigt sein, Pop-Evergreens aus drei Jahrzehnten im Stile von Elvis Presley zu publizieren: Genau dies unternimmt ein Ire, dem der Name James Brown nachgesagt wird, unter der unmißverständlichen Firmierung "The King", und ihm gelingt dabei mehr als ein unbeabsichtigtes Amüsement derjenigen, die sich an der Peinlichkeit eines Publikums ergötzen, das sich auf so etwas einläßt. Die Idee, nur Coverversionen von verstorbenen Künstlern einzuspielen und das Ergebnis dann auch noch "Gravelands" (Emi Electrola) zu nennen, ist gut ausgedacht, aber nicht zu gut, um nicht breit verstanden zu werden. Es darf also gelacht werden, und sei es auch nur für eine Saison. Wenn man von der Erlebnisgeneration absieht, dürfte es aber in einer zivilisierten Gesellschaft niemanden mehr geben, dem der Hüftenschwinger wirklich nahegeht. Der Glamour hat mit Gottlieb Wendehals schon vor zwei Jahrzehnten seine unwiderruflich letzte Zuspitzung erhalten. The King verzückt diejenigen, die sich ansonsten im Karneval keine Guildo-Horn-Parodie entgehen lassen oder zur Verkehrsgefährdung werden, weil Frank Sinatras Schnulze im Autoradio sie an ihr verlängertes Wochenende in New York erinnert. Dennoch: "Come As You Are" ist glaubwürdiger interpretiert als es der Trauriggucker Kurt Cobain je selbst vermocht hätte. Und auch der Rest ist nicht bloß Zeitverschwendung.


 
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