© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


Existenzsorgen
von Dieter Stein

Wenn eine Landesregierung wie die hessische abgewählt wird, wie dies am vergangenen Sonntag geschehen ist, dann verschwindet aus Sicht der betroffenen Parteien nicht nur ein rotes Fähnchen von der politischen Landkarte Deutschlands. Es bedeutet einen hundertfachen Knick von Karrieren. Minister, Staatssekretäre, leitende Beamte, Pressesprecher, Assistenten packen ihre Koffer, ein ganzer Hofstaat muß sich in Bewegung setzen und auf andere Verwendungen verschoben werden. Oder die Betroffenen müssen sich nach schlechter bezahlten Tätigkeiten auf dem freien Markt umsehen, auf dem bekanntlich nicht so viele "Jobs" frei sind. Die Abwahl einer Regierung ist einer Kündigungswelle in einer Unternehmensführung gleichzusetzen, der Aufsichtsrat (das Volk) feuert den Vorstand – nur daß die tonangebenden Parteien stets dafür gesorgt haben, daß dies (da der Wähler undankbar und unberechenbar ist) sozial äußerst sanft ausfällt. In ein finanzielles Loch fällt keiner der "gekündigten" Politiker.

Für eine Partei bedeutet dies nicht nur konkreten Verlust an Einfluß – hier der sicheren Mehrheit im Bundesrat und der Gestaltungsmacht in einem Bundesland –, sie hat sich auch mit den Karrieresorgen ihrer abgesägten Funktionäre herumzuplagen. Und wenn es einmal ans Eingemachte geht, nämlich die persönliche Existenz und die Laufbahn, werden schnell politische Grundsätze über Bord gekippt.

So ist es kaum verwunderlich, daß Lafontaine kühl ein Einlenken bei der Staatsbürgerschaftsfrage ankündigt und in Richtung Grüne drohend signalisiert wird, daß auch der Ausstieg aus der Atomenergie wohl nicht so schnell und rabiat kommen wird wie geplant. Hundert Tage nach dem breitbeinig vollzogenen Machtwechsel in Bonn schlottern einigen aus den Regierungsparteien schon wieder die Knie, ob die frischgewonnenen Pfründe nicht bereits wieder in Gefahr sind. So wird die Politik der Regierung Schröder kurzatmiger, das Reagieren überwiegt wieder über das Agieren. Die Initiative geht verloren, die großen Entwürfe verschwinden hinter dem Horizont, man klammert sich mit beiden Händen fest an die Sessel wie ehedem die Regierung Kohl.

Bei der CDU knallen in Hessen nun erst einmal tagelang die Sektkorken. Nun werden hier Hunderte Karriereträume wahr, wo bei Rot-Grün Hunderte platzten. Es bleibt abzuwarten, ob vom Regierungswechsel mehr als eine personelles Umverteilungsprogramm bleibt. Die Union könnte beispielsweise Administration und Verwaltung künftig etwas schlanker machen. Doch das würde Karrierehoffnungen der zu belohnenden Parteifreunde bitter enttäuschen ...


 
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