© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/99 12. Februar 1999


Doppelpaß: Die rot-grüne Regierung will sich durch Einbürgerungen ein anderes Volk schaffen
Staatsbürgerschaft zum Nulltarif
Heinrich Lummer

Als im Juni 1953 beim Aufstand in der DDR offenkundig wurde, daß die Regierung das Volk nicht hinter sich hat, meinte Bertolt Brecht zynisch, dann müsse sich die Regierung eben ein neues Volk wählen. Eine solche Wahlchance ist nur wenigen Regierungen vergönnt. Aber durch Vertreibung und Einwanderung ist immer wieder versucht worden, ein Land zu populieren, das heißt sich überhaupt eine Bevölkerung zu schaffen oder durch Vertreibung die nicht genehme Bevölkerung loszuwerden.

Das haben die Tschechen nach dem Zweiten Weltkrieg getan, und das hat Honecker getan, als er Regimegegner wie Biermann ausreisen ließ. Aus der Sicht der Betroffenen kann man seine Heimat verlieren durch Vertreibung, aber auch durch Masseneinwanderung. Im Grenzfall wird dann die ehemals autochthone Bevölkerung durch die Migranten dominiert, zur Randgruppe und schließlich zum Verschwinden gebracht.

Die deutsche Identität wird in Frage gestellt

Auf diesen Gesamtzusammenhang sollte hingewiesen werden, wenn nun eine deutsche Regierung sich anschickt, ein neues Volk zu wählen. Wie gesagt, die Chance hat man selten. Die jetzige Regierung hat sie. Man eröffne den in Deutschland lebenden Ausländern die Chance, Deutsche zu werden, damit sie wählen können und Ausländer zu bleiben. Und schon hat man Hunderttausende, wenn nicht Millionen dankbarer Wähler. Die Masseneinwanderung wird um die Masseneinbürgerung ergänzt.

Dadurch wird der schon vorhandene Schneeballeffekt im Sinne weiterer Einwanderer verstärkt. So schafft man Schritt um Schritt ein neues Volk. Aber dieses neue Volk wird immer weniger deutsch sein. Tatsächlich wirft das beabsichtigte neue Ausländerrecht die Grundfrage nach der deutschen Identität auf. Das Volk als Souverän und die Nation als Schicksals- und Verantwortungsgemeinschaft wird durch die beabsichtigte Politik in Frage gestellt.

Diese beabsichtigte Politik wird nicht nur durch das Ziel der doppelten Staatsangehörigkeit als Regelfall gekennzeichnet. Sie sieht auch eine sogenannte Altfallregelung vor. Ob die derzeitige Asylregelung, die von vielen Sozialdemokraten und den Grünen als Abschaffung des Asylrechts verstanden wird, Bestand haben wird, ist eine offene Frage.

Trotz der Äußerung des Bundesinnenministers, wonach eine weitere Zuwanderung sozial nicht vertretbar wäre, war bisher von Maßnahmen, die geeignet wären, den Zuzug zu bremsen, nicht die Rede. Vielmehr muß damit gerechnet werden, daß der Zustrom von Ausländern sich durch eben diese Politik, die angeblich dem Ziel der Integration dient, verstärken wird. Und klar bleibt der Zusammenhang: Je größer die Zuwanderung, desto schwerer die Integration. Genauer gesagt: Wenn es nicht gelingt, die Zuwanderung kontrollierend einzuschränken, wird Integration nicht gelingen. Dann kann es nur noch separat existierende Kulturen in Deutschland geben – mit all dem Konfliktpotential, das international hinreichend bekannt ist.

Die Heftigkeit der Diskussion um die doppelte Staatsangehörigkeit erweckt den Eindruck, als sei dies für die hier lebenden Ausländer eine existentielle Frage. Dies ist mitnichten der Fall. Früher wurde namentlich von den Türken ins Feld geführt, sie würden bei Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit insofern benachteiligt, als sie Einschränkungen im Erbrecht auf sich nehmen müßten. Selbst wenn dies zuträfe, wäre das kein Grund, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht sondern das türkische Erbrecht zu verändern. Nachdem dies inzwischen geschehen ist, bleibt letztlich nur ein Argument übrig: Die hier lebenden Ausländer, insbesondere Türken, wünschen Doppelstaatler zu werden, weil sie nicht bereit sind, die türkische Staatsangehörigkeit aufzugeben. Den einbürgerungsunwilligen Ausländern sollen vermeintlich unzumutbare Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

Für diesen Wunsch gibt es verschiedene Motive, die allesamt nicht akzeptabel sind. Man ist stolz darauf, Türke zu sein und will deshalb die Staatsangehörigkeit nicht aufgeben. Es gibt familiären Druck, Türke zu bleiben. Man will seine Existenz bewußt in zwei Kulturen leben. Man will die Vorteile beider Staatsangehörigkeiten in Anspruch nehmen. Dergleichen kann als ernsthaftes Argument nicht verfangen. Vielmehr bestätigt es einmal mehr, daß eine wirkliche Integration nicht gewünscht wird. Insofern ist es erstaunlich, daß deutsche Parteien hier einen Konflikt aufbauen. Es gibt kein erkennbar deutsches Interesse an der doppelten Staatsangehörigkeit. Aber es gibt offenbar Deutsche und deutsche Parteien, denen nichts mehr am Herzen liegt, als in vorauseilendem Gehorsam die Wünsche von Ausländern zu erfüllen. Dies allerdings ist nicht Ausdruck einer ausgemachten Liebe zu den Ausländern, sondern ein Reflex ihrer Abneigung gegenüber dem eigenen Lande.

Zumindest die Mehrheit der Grünen will aufgrund einer Deutschland als Wille und Vorstellung ablehnenden Haltung überhaupt keine Integration von Ausländern, sondern Parallelkulturen im Sinne einer multikulturellen Parallelgesellschaften auflösen. Das wirkliche Ziel ist nicht die Integration von Ausländern, sondern die Desintegration Deutschlands. Schon in der Asyldiskussion bis zum Jahre 1993 wurde deutlich, daß große Teile der Linken ein problematisches Verhältnis zu ihrem eigenen Volk haben.

Die "Ausländerfreundlichkeit" ist bei vielen Linken nichts anderes als ein Ausdruck von Inländerfeindlichkeit. Dies erkannte selbst der Kommentator der linksalternativen tageszeitung: "Als Deutscher stets lautstark den eigenen Antirassismus zu intonieren, kann offensichtlich zu notorisch gutem Gewissen verführen und gegen Selbstzweifel immunisieren. Der Verdacht liegt nahe, daß es die aus dem eigenen Vorhutbewußtsein gespeiste Inländerfeindlichkeit ist, die manche deutschen Antirassisten in erster Linie treibt. Die Ausländerfreundlichkeit, die so tapfer wirkt, ist bloß abgeleitete Funktion."

Schon in der Debatte um die Wiedervereinigung wurde der Nationalmasochismus deutlich, der sich bei Linksintellektuellen wie Günter Grass in der These manifestierte, Deutschland habe wegen Auschwitz das Recht zur Wiedervereinigung der nationalen Einheit verwirkt. Glücklicherweise konnten Grass und andere Linksintellektuelle – genannt seien hier nur Jürgen Habermas und Walter Jens – die Wiedervereinigung nicht verhindern. Deshalb sinnen sie nun nach anderen Möglichkeiten, den deutschen Nationalstaat zu überwinden. Die Vision heißt "multikulturelle Gesellschaft" und soll über eine bedingungslose Öffnung der Grenzen realisiert werden. Berücksichtigt man die Tatsache, daß der Anteil der Deutschen an der Bevölkerung der Bundesrepublik schon aufgrund der demographischen Entwicklung Jahr für Jahr sinkt, dann hätte eine bedingungslose Öffnung der Grenzen die Folge, daß die Deutschen in absehbarer Zeit zur Minderheit im (dann nicht mehr) eigenen Land würden.

Deutschland soll den Deutschen genommen werden. Ob man das Landnahme, Überfremdung oder Unterwanderung nennt, tut nichts zur Sache. Das Phänomen des Nationalmasochismus ist nicht neu. Neu ist die Dimension, denn man kann sich leider nicht mehr damit beruhigen, daß sich solche Haltungen auf kleine Zirkel beschränken.

Für einen Teil der politischen Linken wurde genau diese Frage nach dem Fortbestehen des deutschen Volkes und seines Staats zur Gretchenfrage. Hier schieden sich die Geister. Hier bewirkte die Wende auch die Abwendung mancher Linken von ihrer Vergangenheit. Zu diesen Linken gehörten unter anderem Peter Furth, Bernd Rabehl und Horst Mahler. Während der Wende schrieb Peter Furth die Sätze: "Völker haben offenbar eine eigene, von Ideologien und totalitärer Herrschaft unabhängige Dauer;erst in diesem Augenblick stehen die Deutschen wirklich vor der Frage, wie sie sich zur europäischen Normalität verhalten sollen, zu dem Recht nämlich, die volkliche Existenz als Nation, das heißt als Souverän eines einheitlichen politischen Körpers zu bewahren." Horst Mahler verfaßte jüngst einen leidenschaftlichen Appell, der als Ziel hat, das deutsche Volk vor der Auflösung zu bewahren.

Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht hat sich bewährt

Oft wird auch gesagt, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht bedürfe einer gründlichen und grundsätzlichen Überprüfung. Mit seinem Festhalten am sogenannten jus sanguis sei es vorsintflutlich und bedürfe einer gründlichen Remedur. Demgegenüber ist festzustellen, daß in Deutschland kein reines Abstammungsprinzip existiert. Viele Nichtdeutsche sind in den letzten Jahrzehnten ohne Probleme eingebürgert worden. Hier wird lediglich eine bestimmte Wartezeit verlangt. Im Gegensatz zu anderen Ländern werden in Deutschland nicht einmal ausreichende Sprachkenntnisse verlangt, so daß ein Zustand existiert, der durchaus problematisch ist. Von deutschstämmigen Aussiedlern verlangen wir inzwischen Sprachprüfungen, bevor sie nach Deutschland kommen, während hier lebende Ausländer ohne solche Sprachnachweise Deutsche werden können.

Es leben Hunderttausende in Deutschland, die längst hätten Deutsche werden können, wenn sie es denn nur wollten. Aber das eben wollen sie nicht – es sei denn, sie behalten die alte Staatsangehörigkeit. Insofern ist das jus sanguis kein Hindernis, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Vielmehr geht es nur darum, bestimmten Ausländern ohne Not die besondere Gunst zu gewähren, zwei Pässe haben zu dürfen.

Gewiß gibt es auch Fälle, in denen man bereit sein muß, die doppelte Staatsangehörigkeit hinzunehmen. Dies trifft für jene Personen zu, die die Voraussetzungen erfüllen, Deutsche zu werden, und sich redlich darum bemüht haben, aus der alten Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, ohne daß der Herkunftsstaat sie entläßt. Dies trifft zum Beispiel für viele Iraner zu, weil dieser Staat sich regelmäßig weigert, die Entlassung zu gestatten.

Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ist insofern an zwei Voraussetzungen gebunden. Einmal erwarten wir die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit, zumindest das redliche Bemühen darum. Zum anderen muß der Betroffene vor der Einbürgerung einen erfolgreichen Integrationsprozeß durchlaufen haben.

Demgegenüber will die rot-grüne Koalition die deutsche Staatsangehörigkeit ohne Voraussetzungen zum Nulltarif vergeben. Sie wird dem Ausländer auf Wunsch nachgeschmissen. Es kann jeder Hergelaufene Deutscher werden, ohne die Sprache und Kultur zu kennen, geschweige denn sich zu unserem Staat zu bekennen. Das ist nun wirklich eine Chuzpe und käme, wie Professor Isensee zu Recht meint, einem "Staatsstreich" durch das Parlament gleich. Der Wert der Staatsangehörigkeit wird gestrichen und damit letztendlich der jetzige deutsche Staat.

Man fragt sich, welche Motivation dahintersteckt. Die Integration kann es nach Lage der Dinge nicht sein. Vielleicht werden die Motive ein wenig deutlicher, wenn man sich daran erinnert, daß diejenigen, die seinerzeit bereit waren, eine separate DDR-Staatsangehörigkeit zu akzeptieren, weil sie sich mit der Teilung Deutschlands abgefunden hatten oder sie wirklich wollten, nun die nämlichen sind, die eine "Discountstaatsangehörigkeit im Doppelpack" für Türken akzeptieren. Beides lief darauf hinaus, Deutschland zu liquidieren, sei es durch Teilung oder Übergabe an Ausländer.

Offenbar mangels zutreffender Argumente führen die Gegner der Bürgerbefragung zwei Einwände ins Feld. Einerseits meinen sie, die Befragung sei fremdenfeindlich, andererseits verweisen sie auf den Beifall falscher Freunde. Natürlich werden alle integrationsunwilligen Ausländer, die sich den Doppelpaß von Herzen wünschen, keine Freude empfinden, wenn eine deutsche Partei sich gegen den Doppelpaß entscheidet. Aber das Ziel und der Inhalt der deutschen Politik kann nicht darin bestehen, Dinge zu tun, die Ausländern gefallen. Wer die Wünsche gerade integrationsunwilliger Ausländer zum Maßstab deutscher Politik erhebt, der irrt nicht nur, der ist kein Freund der Deutschen. Was Vaterlandsverrat ist, weiß ich nicht so genau. Daß eine solche Haltung und Politik eben nicht deutschfreundlich ist, das allerdings ist klar.

Nun ist es in der Tat so, daß Gruppen und Personen des rechten Spektrums die von der CDU/CSU durchgeführte Befragung gutheißen. Nun erwartet man von der CDU/CSU nicht mehr und nicht weniger als die Aufgabe des Mittels, weil Beifall von der falschen Seite kommt. Über Martin Walsers Rede ist viel geredet worden. Die Meinungen gehen auseinander. Ich denke, er hat recht. In jedem Falle hat er nicht deshalb unrecht, weil Herr Frey ihm Recht gibt. Sowohl Hitler als auch Stalin haben Entscheidungen getroffen, denen man zustimmen kann. Sowohl die PDS wie die DVU zollen anderen gelegentlich Beifall. Dieser Beifall adelt nicht. Aber er widerlegt auch nicht. Indessen handelt der im höchsten Grade unseriös und widerlich, der das Argument des Beifalls von falscher Seite benutzt.

 

Heinrich Lummer, Berliner Bürgermeister und Innensenator a.D., war von 1987 bis 1998 CDU-Bundestagsabgeordnter.


 
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