© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Kurden: Nach der Auslieferung von Abdullah Öcalan macht die PKK europaweit mobil
Der Kampf geht weiter
Michael Wiesberg / Dieter Stein

Als der PKK-Chef Abdullah Öcalan Ende vorigen Jahres in der italienischen Hauptstadt Rom festgenommen wurde, hatte Deutschland stillgehalten. Obwohl ein Haftbefehl gegen den Kurdenführer vorlag, verzichtete Bonn darauf, den steckbrieflich gesuchten Öcalan ausliefern zu lassen. Die Bundesregierung befürchtete bei einer Überstellung Öcalans und Anklage in Deutschland eine massive Gefährdung der inneren Sicherheit durch kurdische Extremisten.

Keine andere nationale Minderheit geht dermaßen radikal vor und ist so gut organisiert wie die kurdische Arbeiterpartei PKK, die in Deutschland am 26. November 1993 als "terroristischer Vereinigung" verboten worden ist. Die PKK ist der radikalste, aber auch am stärksten wahrgenommene Vertreter des zwischen Türkei, Iran, Irak, Syrien und Aserbaidschan geteilten kurdischen Volkes.

Schneller als die Sicherheitsbehörden reagieren konnten, schlugen europaweit die generalstabsmäßig mobilisierten Anhänger von "Apo" (Onkel) Öcalan zu. In elf europäischen Staaten griffen Kurden vor allem griechische Konsulate, in Deutschland auch öffentliche Einrichtungen wie Landesparlamente in Düsseldorf und in Stuttgart an. Kurden drohten mit Selbstverbrennungen. Es kam zu mehreren Schwerverletzten.

"Wir kennen seine Bewegungen genau. Wir kriegen ihn", erklärte vor wenigen Tagen der Chef der "Türkischen Generaldirektion für Sicherheit", Necati Bilican. Nun haben die Türken ihren Staatsfeind Nr. Eins, den PKK-Chef Abdullah Öcalan. Auf ihrer Jagd wurden die türkischen Agenten von dem israelischen Geheimdienst Mossad unterstützt, der laut einer dpa-Meldung "entscheidende Hilfe" leistete. Angeblich stellte der Mossad den Türken jene Erfahrungen zur Verfügung, die die Israelis im Zusammenhang mit der Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien sammelte.

Bisher sickerte durch, daß der Kurdenführer unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus der griechischen Botschaft in Kenia geholt und dann überwältigt wurde. Daß der Mossad den türkischen Geheimdienst im konkreten Fall unterstützt hat, ist so überraschend nicht. Seit geraumer Zeit läßt sich eine immer engere Zusammenarbeit zwischen der Türkei auf der einen und Israel und den USA auf der anderen Seite beobachten. Israel und die USA benötigen aufgrund vielfältiger geopolitischer Interessen in dieser Region die Türkei als strategischen Dominostein.

Bei Bejahung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung stellt sich aus deutscher Sicht das Kurdenproblem primär als Sicherheitsproblem. Das hohe Mobilisierungspotential, auf das die PKK in Deutschland trotz Verbots zurückgreifen kann, stellt für die innere Sicherheit nach wie vor die gefährlichste extremistische Bedrohung dar. Nichtsdestotrotz wurde bisher wenig unternommen, den Zustrom illegal nach Deutschland kommender Kurden wirksam zu bekämpfen. Inzwischen haben sich die Hinweise verdichtet, daß der hohe Kurdenanteil in Deutschland auch mit aktiver Unterstützung diverser türkischer Regierungsbeamter zustandegekommen ist, die in Verbindung mit der türkischen Mafia stehen. Welche Zahlen hier im Raum stehen, zeigt der exemplarische Fall des türkischen Schleusers Mulis Pinarbasi, der als maßgeblicher Drahtzieher zirka 90.000 Kurden illegal nach Deutschland geschleust hat.

Die Besetzung der griechischen Konsulate durch kurdische PKK-Aktivisten in Deutschland zeigt, welche Folgen die westeuropäischen Aufnahmeländer der Kurden zu gewärtigen haben. Ein deutscher Sicherheitsexperte erklärte vor kurzem, falls Öcalan tatsächlich irgendwo geschnappt und verhaftet werde, sei für die Bundesrepublik "das Schlimmste" zu befürchten. Die Anhänger Öcalans werden nämlich alles versuchen, um ihren Anführer freizupressen. Mit der Festnahme Öcalans droht Deutschland nun das, was viele Kritiker der ungehemmten Einwanderung immer wieder angesprochen haben: der Transfer ethnischer Konflikte nach Deutschland. Dabei muß eines ins Auge fallen: Das PKK-Verbot hat die militanten Kurden offenbar nicht gehindert, ihre Anhängerschaft um die Hälfte – von 7.000 auf fast 11.000 – zu erhöhen und unter den Augen der Behörden eine regelrechte Bürgerkriegsarmee aufzubauen.

Bezeichnend ist, daß eine politische Kraft in Deutschland schweigt, die bislang viel von internationaler Solidarität sprach und sich als Anwalt kurdischer Interessen gebärdete – die Grünen. Als Regierungspartei in Bonn vertreten, muß sie durch den von ihr gestellten Außenminister Joschka Fischer die Auslieferung des Kurdenführers an die Türkei, der man stets Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen hatte, mitdecken. Ein moralischer Gesichtsverlust.


 
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