© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Kolumne:
Neue Gefahren
von Hans-Helmuth Knütter

Welche Gefahr geht eigentlich von den sogenannten Extremisten oder "Verfassungsfeinden" aus? Weder die PDS noch erst recht nicht die Rechten sind zum Umsturz imstande. Es fehlt ihnen an theoretischen Konzepten und richtungsweisenden Visionen. Menschenrechte haben im öffentlichen Bewußtsein eine willkürbegrenzende Funktion, mehr als in vergangenen Jahrzehnten. Die Bevölkerung ist nicht mehr so autoritätshörig und erlösungssüchtig wie 1933 und 1945. Andererseits begünstigt die weitverbreitete Passivität und moralische Indolenz politische Manipulation. Schließlich begrenzt die "Globalisierung", das heißt die weltweite wirtschaftliche, politische und kommunikationstechnische Verflechtung, politische Willkür und verbessert die Machtkontrolle. Andererseits begünstigt der Medieneinfluß aber den Mißbrauch politischer Macht durch Minderheiten.

Für absehbare Zeit ist also keine Terrorherrschaft zu befürchten. Gewiß – es gibt Zeitdiagnostiker, die blutiges Unheil heraufziehen sehen. Carl Amery glaubt, daß Auschwitz nur der Anfang einer Epoche des Terrors und der Vernichtung war. Samuel Huntington prophezeit den Zusammenstoß gegensätzlicher Kulturen. Damit droht ein ethnischer Krieg ganz neuer Qualität. Alles ist möglich, nichts ist brandaktuell. In unserer schnellebigen, wendereichen Zeit sind keine langfristigen Prognosen möglich. Gerade die Sozialwissenschaften haben sich mit ihrem prognostischen Anspruch oft blamiert. Weder haben sie die Renaissance des Islam noch die Pleite des Sozialismus vorausgesehen. Sie haben das Ende des Zeitalters der Ideologien vorausgesagt und stehen nun hilflos vor der gegenteiligen Entwicklung.

Die wirkliche Gefahr liegt heute in der Einschränkung der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung durch Minderheiten und Medienmanipulation. Bei Behörden wie dem Verfassungsschutz und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ist die Selbstkontrolle unterentwickelt. Um ihre Daseinsberechtigung nachzuweisen, teils auch, um Planstellen zu halten, suchen sie ihren Tätigkeitsbereich auszuweiten. So dehnen sie ihre Arbeit von der legalen und legitimen Bekämpfung politischer Gewalt und Gewaltpropaganda zur Zensur, Gesinnungskontrolle und -lenkung aus. Auch eine Demokratie kann totalitär sein, wenn sie nicht nur auf die Einhaltung der Gesetze achtet, sondern das Verhalten der Bürger bis in den persönlichen Bereich hinein bestimmen will. Konkret: Der Staat will bestimmen, was gelesen, gesagt, schließlich gedacht werden darf. Die Gedanken sind frei? Ja, aber sie dürfen nicht frei geäußert werden. Hier liegt heute die Gefahr – und der Ort des Widerstandes.


 
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