© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Wandel: Deutsch-französische Beziehungen
Normale Republik
Alain de Benoist

Kommt es zu einer Verschlechterung der französisch-deutschen Beziehungen ausgerechnet in dem Moment, da Deutschland die rotierende EU-Präsidentschaft übernommen hat? Im Sinne ihrer Gründerväter sollte die Schaffung der EU den Rivalitäten und Feindschaften zwischen den Völkern Europas ein- für allemal ein Ende setzen. Paradoxerweise läßt die ungeschickte Art und Weise, in der diese Schaffung vollzogen wird, diese Rivalitäten heute neu ans Tageslicht treten. Dank der Diskussionen um die Verträge von Maastricht und Amsterdam scheint anläßlich der anstehenden Europawahlen eine gewisse Germanophobie in Frankreich erneut Fuß zu fassen.

Man nimmt Anstoß an der Einrichtung der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt; man regt sich über den Euro auf, der nichts als eine mutierte D-Mark sei; man macht sich verrückt bei dem Gedanken an ein Europa, das auf dem besten Weg sei, "von Deutschland dominiert" zu werden. Ähnliche Stimmen wurden zuletzt laut, als die deutsche Regierung ihre Absicht bekanntgab, die Wiederaufbereitung nuklearer Abfälle zu untersagen, und ihre Opposition gegenüber der gemeinsamen Agrarpolitik erklärte.

Daß derartige Entwicklungen mit gemischten Gefühlen aufgenommen werden, ist legitim. Aber wenn JeanPierre Chevènement den Grünen vorwirft, Cohn-Bendit nach Deutschland geholt zu haben, wenn Charles Pasqua sich über die Deutschen amüsiert, "die alle dreißig Jahre nach Frankreich zurückkehren", wenn Max Gallo sich entrüstet, daß der Kongreß sich zum selben Datum in Versailles versammelt habe, um den Amsterdamer Vertrag zu ratifizieren, an dem, ebenfalls in Versailles, "das Reich ausgerufen und der deutsche Kaiser anerkannt worden war", kurz gesagt: wenn auf der Rechten wie auf der Linken die Argumente gegen Europa in Polemik gegen Deutschland abgleiten, fragt man zu Recht nach der Bedeutung dieser Entgleisung.

Europa hat die Machtergreifung eines totalitären Regimes in Deutschland teuer bezahlt. Nicht zuletzt hat Deutschland selbst darunter gelitten, mit mindestens zehn Millionen Toten (davon 3,2 Millionen gefallene Frontsoldaten; eine Million Zivilisten, die bei Bombenangriffen massakriert wurden; drei Millionen Flüchtlinge, die der Roten Armee zum Opfer fielen und um die drei Millionen Kriegsgefangene, die nach 1945 an Entbehrungen und Mißhandlung in den Lagern starben). Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war Deutschland in zwei Teile zertrennt, während sich eine Decke aus Blei auf Mittel- und Osteuropa niedersenkte. Indem er den Eisernen Vorhang in Stücke zerspringen ließ, ermöglichte der Untergang des sowjetischen Systems 1989 die Wiedervereinigung Deutschlands und darüber hinaus Europas. Diese Wiedervereinigung war notwendig. Sie setzte einer Situation ein Ende, die jeder Staat als unerträglich empfunden hätte.

Nach der geographischen Wiedervereinigung liegt es nun an Deutschland, dieselbe auch in der Zeit zu vollziehen, und das bedeutet, zu einem Gefühl der eigenen Kontinuität zurückzufinden, indem man die Historisierung der "Vergangenheit, die nicht vergeht" akzeptiert. In dieser Hinsicht markiert die Wahl Gerhard Schröders zum Kanzler vielleicht ebenfalls einen Wendepunkt. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert wäre es an der Zeit, daß die Deutschen einwilligten, unter ihre neurotischen Besessenheiten einen Schlußstrich zu ziehen und sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen, um die Zukunft möglich zu machen.

Vor allem aber wäre es an der Zeit, daß die Franzosen geographische Gegebenheiten akzeptieren, statt von politischen Maßnahmen zu träumen, die Deutschland auf den Status des Fürstentums Monaco reduzieren würden. Die Berliner Republik ist ein mächtiger Staat mit rund 80 Millionen Einwohnern – der indessen eine beispiellose demographische Krise erlebt.

Daß es einen Sitz im Weltsicherheitsrat der UNO beansprucht, der nicht für immer und ewig der Club der Sieger von 1945 bleiben wird, ist nicht weiter verwunderlich. Noch weniger verwundert, daß es sich um eine Reduzierung seiner Beitragslast zum europäischen Haushalt bemüht. Deutschland ist in Wirklichkeit nicht "gefährlicher" für Europa als Frankreich, bloß weil es ein großflächiger Staat ist. Es nimmt in Europa keinen "übermäßigen" Platz ein, sondern den, der ihm zusteht. Es legt keine wiedergewonnene "Arroganz" an den Tag. Was es wiedergewonnen hat, ist seine Normalität. Zweifellos wird es sich in Zukunft nicht ausschließlich seiner westlichen Flanke zuwenden: aufgrund seiner geopolitischen Zentralposition liegt sein natürliches Interessengebiet in Mittel- und Osteuropa.

Diejenigen, die jahrzehntelang mit einem Deutschland zufrieden waren, das gleichzeitig Wirtschaftsriese und politischer Zwerg war, obwohl sie einen derartigen Status ihres eigenen Landes selbstverständlich niemals akzeptiert hätten, täten gut daran, sich an einen Partner zu gewöhnen, der zur Genüge seine Demokratiefähigkeit unter Beweis gestellt hat, um dieselben Rechte und Pflichten wie alle anderen fordern zu dürfen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen