© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Konflikt unter Veteranen: Ehemalige 68er streiten um ihr Selbstverständnis / Vorwürfe an Mahler und Rabehl
"Ansonsten droht hier eine Prügelei"
Thorsten Thaler

In die Jahre gekommen sind sie mittlerweile allesamt, die Veteranen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Doch selbst im fortgeschrittenen Alter fällt es vielen von ihnen schwer, sich von den eingeübten Verhaltensmustern ihrer jugendbewegten Tage zu verabschieden. Als der SDS-Wortführer Rudi Dutschke Anfang 1968 der Zeitschrift Capital ein Interview gibt und dafür ein Honorar kassiert, beantragen die Traditionalisten in dem Studentenverband, Dutschke aus dem SDS auszuschließen. Auf einer außerordentlichen Delegiertenkonferenz Ende März 1968 in Frankfurt wird über den Antrag stundenlang kontrovers diskutiert, jedoch nicht abgestimmt. Schließlich wird der Antrag ebenso zurückgezogen wie der Zusatzantrag, eine Untersuchungskommission gegen Dutschke einzusetzen. Am Ende schrammt der prominenteste SDS-Vertreter, der selbst auf der Konferenz nicht anwesend ist, nur knapp an seiner Exkommunizierung durch die eigenen Genossen vorbei.

Ein ähnliches Schicksal droht heute, 30 Jahre später, zwei anderen bekannten Wortführern der 68er Bewegung, dem einstigen APO-Rechtsanwalt Horst Mahler und dem engen Weggefährten und Freund Rudi Dutschkes, Bernd Rabehl. In einer Erklärung unter dem Motto "Nationalisten waren wir nie" (siehe Ausriß) distanzieren sich ehemalige SDS-Mitglieder von Mahler und Rabehl, weil diese in jüngster Zeit "wiederholt mit unverhohlen nationalistischen Positionen an die Öffentlichkeit getreten" seien.

Wörtlich heißt es in der im Internet verbreiteten Resolution: "Wir, Mitglieder des SDS von 1968, die sich regelmäßig treffen, um Fragen unseres damaligen und heutigen Selbstverständnisses zu klären, lehnen die Verfälschung unserer politischen Geschichte mit nationalistischen Erklärungsmustern mit aller Entschiedenheit ab. (…) Wir können nicht verhindern, daß einige ehemaligen Genossen ihre politische Farbe wechseln. Wir wehren uns aber entschieden dagegen, daß unserem gemeinsamen Engagement nachträglich ein ’nationalrevolutionärer‘ Charakter angedichtet werden soll."

Auslöser für den Protest war der Auftritt Mahlers und Rabehls Anfang Dezember vorigen Jahres bei den "Bogenhauser Gesprächen" der Münchner Burschenschaft Danubia. Vor etwa 120 Zuhörern hatte Bernd Rabehl in seinem Vortrag "1968 – Symbol und Mythos" auch die nationalrevolutionären Ansätze in der antiautoritären Fraktion des SDS um Rudi Dutschke reflektiert. "Die nationale Frage spielte bereits in den sechziger Jahren eine Rolle bei der Konstituierung einer neuen Opposition. Sie war damals vor allem antiamerikanisch und antirussisch eingestimmt", stellte Rabehl in München fest. Gegen "die Zielsetzung der nationalen Revolution" sei jedoch von unterschiedlicher Seite Front gemacht worden. Die Überwindung der deutsch-deutschen Spaltung und die Besinnung auf die nationale Integrität sollte innerhalb der Linken Tabu-Thema bleiben, erklärte Rabehl. "Die Idee einer nationalrevolutionären Überwindung der Teilung Deutschlands wurde mit allen Mitteln bekämpft." Für Rudi Dutschke habe später kein Zweifel daran bestanden, erklärt heute sein Vertrauter Rabehl, daß die "Radikalopposition" auch deshalb eine grundlegende Niederlage erfahren habe, "weil nationalrevolutionäre Ziele aufgegeben worden waren".

Zugleich geißelte Rabehl in seinem Vortrag das Fehlen einer nationalen Identität und die Kulturlosigkeit der Deutschen sowie die aus diesem Mangel erwachsende Dominanz der Vorstellung von einer multikulturellen Gesellschaft der Nationen, Völker, Religionen und Kulturen. Dieses Bild sei wie "ein Reklamespot, denn real existieren derartige Gemeinsamkeiten nirgendwo auf der Welt".

Die Reaktionen ehemaliger Genossen auf die Ansichten Rabehls, die von Mahler geteilt werden, sind durchaus gespalten. Sie reichen von heftigem Widerspruch, wie er in der zitierten Protesterklärung zum Ausdruck kommt, bis zu verhaltener Zustimmung. Zu den schärfsten Kritikern einer unterstellten "rechten Vereinnahmung" der 68er Revolte gehören die früheren SDS-Mitglieder Gisela Richter, Heide Bernd, Hanna Kröger, Günter Langer und Detlef Michel sowie das Ex-Mitglied der terroristischen "Bewegung 2. Juni", Michael "Bommi" Baumann. Sie werfen Mahler und Rabehl vor, sich als "Speerspitze der neuen Rechten ins Scheinwerferlicht zu rücken", wie Baumann in einem Interview mit der Jungen Welt meint, und sich als "neue Vordenker" anzudienen, wie Michel in einem Brief an Bernd Rabehl schreibt. Als anstößig empfindet Michel auch, daß die JUNGE FREIHEIT Rabehls Rede dokumentiert hat (JF 52-53/98).

Widerspruch ernten Mahler und Rabehl auch von der Witwe des im Dezember 1979 an den Spätfolgen des Attentats vom Gründonnerstag 1968 verstorbenen Rudi Dutschkes. In einem umfangreichen Text im Internet wehrt sich die heute in den USA lebende Gretchen Dutschke gegen den Mißbrauch ihres Mannes "von Rechten, die einmal seine linken Freunde waren". Rudi Dutschke zu einem Fürsprecher einer nationalrevolutionären Bewegung zu machen, sei "eine absurde und bittere Verdrehung der Geschichte".

Zu einer gegenteiligen Bewertung gelangt hingegen der Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar, der als intimer Kenner linker Bewegungen in Deutschland gilt. In einem Artikel über Dutschke schreibt Kraushaar, es lasse sich unzweideutig nachweisen, daß die Forderung nach Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands eine "durchgängige Grundposition" Rudi Dutschkes war. Allein seine "vermutlich aus taktischen Gründen" erfolgende Rücksichtnahme, für Texte zur nationalen Frage bis Mitte der siebziger Jahre ausschließlich Pseudonyme zu verwenden, habe den Blick darauf versperrt, ist Kraushaar überzeugt.

Eine andere prominente Stimme, die zu einem abwägenden Urteil kommt, stammt von Karl Dietrich Wolff, 1967/68 Bundesvorsitzender des SDS und heute Verleger in der Schweiz. In einem Brief an die Initiatorin der Erklärung "Nationalisten waren wir nie", Gisela Richter, schreibt Wolff, er habe sich über das Papier "mehr gewundert als über die deutschnationalen Verlautbarungen" von Mahler und Rabehl. Anhand von Zitaten aus der Biographie Gretchen Dutschkes über ihren Mann kommt Wolff zu dem Schluß: "Es ist eben doch so, daß sich Rabehl leider mit gewissem Recht auf ’nationalrevolutionäre Implikationen in den Zielvorstellungen Rudi Dutschkes‘ berufen kann." Es habe keinen Zweck, jetzt so zu tun, als ob es "die" antiautoritäre Bewegung von 1968 gegeben habe und Mahler und Rabehl jetzt ihre Renegaten seien.

Wie tief der Graben zwischen den Alt-68ern geworden ist, zeigt eine Begebenheit aus der vorvergangenen Woche. Als Horst Mahler am Freitagabend an einem Treffen von SDS-Veteranen in einem Lokal in Berlin-Kreuzberg teilnehmen will, schlägt ihm eine feindselige Stimmung entgegen. Die rund 50 Anwesenden weigern sich, im Beisein Mahlers zu diskutieren. Sie wollen unter sich bleiben. In einer Abstimmung fordert die Mehrheit Mahler auf, den Raum zu verlassen. Eine Teilnehmerin der Runde: "Ansonsten droht hier eine Prügelei." Mahler bleibt nichts anderes übrig, als den Heimweg anzutreten.


 
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