© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    08/99 19. Februar 1999


Tierschutz I: Klimawandel beeinflußt Wanderverhalten von Grauwalen
Geboren mit dem Schwanz voran
Ulrich Karlowski

Nach Beobachtungen der mexikanischen Naturschutzorganisation Grupo de los Cien sind in diesem Jahr deutlich weniger Grauwale als üblich in den Überwinterungsgebieten entlang der Küste der Halbinsel Baja California eingetroffen. "Der erste Grauwal tauchte am 7. November auf, danach kamen nur noch sehr wenige", sagte der Ökologe Hamero Aridijs, Sprecher der Grupo de los Cien. Insgesamt seien bis jetzt höchstens ein Drittel der sonst um diese Zeit in der Baja anzutreffenden Meeressäuger gesichtet worden. Gleichzeitig berichten Bewohner der vor Alaska gelegenen Kodiak-Insel, daß sich immer noch Hunderte von Grauwalen in den Gewässern vor der Insel tummeln, anstatt zu ihrer jährlichen Wanderung aufzubrechen. Grauwale legen jedes Jahr gewaltige Wanderungen von ihren Nahrungsgründen im Arktischen Ozean in die Lagunen der mexikanischen Baja California zurück, wo sie normalerweise im Dezember eintreffen und sich bis zu vier Monate lang aufhalten, um ihre Jungen zur Welt zu bringen.

Experten machen die durch den globalen Klimawandel ausgelösten, für diese Jahreszeit ungewöhnlich warmen Wassertemperaturen der arktischen Regionen für die jetzt aufgetretene Verzögerung der Walwanderung verantwortlich. Nach Ansicht der Grupo de los Cien könnte ein Ausbleiben der Wanderung schwerwiegende Konsequenzen für das Überleben der Grauwale nach sich ziehen. Nur das sehr salzhaltige und flache Wasser der Lagunen der Baja California bietet den Walmüttern eine optimale Möglichkeit, ihre bei der Geburt bereits etwa viereinhalb Meter langen und 500 Kilogramm schweren Kälber sicher zu gebären und aufzuziehen.

Der Grauwal (Eschrichtius robustus) unterscheidet sich derart deutlich von allen anderen Walen, daß er einer eigenen systematischen Familie zugeordnet wird. Unter den Bartenwalen, zu denen z. B. der Buckelwal oder der Blauwal zählen, steht die Art einmalig da, weil sie ihre Nahrung hauptsächlich am Meeresboden sucht und dort kleine Organismen aus dem Sediment flacher Meere filtert. Bis zu 1,25 Tonnen dieser Nahrung kann ein ausgewachsener Grauwal täglich konsumieren. Ungewöhnlich ist auch, daß er eine Tragzeit von über einem Jahr aufweist.

Wie die anderen Bartenwale wandert er zwischen Nahrungs- und Fortpflanzungsgründen hin und her. Während des 17. und 18. Jahrhunderts gab es Grauwale auch im Nordatlantik, sie wurden dort aber durch den Walfang ausgerottet. Heute findet man die bis zu 15 Meter langen und bis zu 35 Tonnen schweren Riesen noch in einer verschwindend kleinen Population im westlichen Pazifik und der Hauptpopulation von etwa 20.000 Tieren im Ostpazifik entlang der Küsten der USA und Mexikos. Seinen Namen verdankt er seiner graumelierten Körperfarbe. Der Grauwal lebt grundsätzlich in Küstennähe und ist daher eine der am besten untersuchten Walarten. Die jährlichen Wanderungen der Grauwale gehören zu den bekanntesten und längsten im Tierreich. Bei der Rundwanderung zwischen den Nahrungsgründen entlang der Küste Alaskas und den Fortpflanzungsgründen entlang der Küste Mexikos legen die Tiere bis zu 20.000 Kilometer zurück. Der Reproduktionszyklus der Grauwale ist eng an den Wanderzyklus gebunden. Fast alle Tiere treffen sich jedes Jahr in den geschützten Gewässern der Baja California. Die Walkälber kommen mit dem Schwanz voran zur Welt. Sie werden sofort von ihren Müttern an die Wasseroberfläche gebracht, damit sie ihre Lungen mit Luft füllen können. Das salzhaltige und flache Wasser in den Lagunen erleichtert diesen Vorgang.


 
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