© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Kurden-Krawalle: Bundesregierung und Innenministerien sind praktisch handlungsunfähig
Abwarten, Tee trinken
Peter Lattas

In den dramatischen Tagen, in denen generalstabsmäßig geführte PKK-Aktivisten Konsulate, Reisebüros und Parteizentralen besetzten, Geiseln nahmen, Unbeteiligte bedrohten und sich mit der Polizei prügelten, äußerten sich Politiker aller Parteien in markiger Form zu den juristischen Konsequenzen. Es waren nichts als leere Worthülsen. Schall und Rauch.

Wenn Kanzler Schröder (SPD) und Ministerpräsident Stoiber (CSU) unisono erklären, die Austragung des Kurden-Konflikts auf deutschen Straßen nicht dulden zu wollen, wenn Außenminister Fischer (Grüne) und Generalsekretär Westerwelle (FDP) einmütig derartige Gewalttätigkeiten in Deutschland "nicht hinnehmen" wollen, wenn schließlich der bayerische Innenminister Beckstein (CSU) und Bundes-Innenminister Schily (SPD) darin übereinstimmen, kurdische Gewalttäter "schnell abschieben" zu wollen, dann sind das in aller Regel nichts mehr als große Worte. Wieder einmal schlägt die Stunde der Maulhelden. Konsequenter sind da schon Vertreter von Grünen und PDS, die sich gleich pauschal mit dem "kurdischen Freiheitskampf", will heißen, der kommunistischen PKK solidarisieren.

Schneidige Äußerungen, die das "Terror-Kurden raus!" der Bild-Zeitung in talkshowgerechte Politiker-Formeln zu übersetzen versuchen, können darüber hinwegtäuschen, daß man an der Bürgerkriegsfront die Polizeikräfte mit gewohnt schmalem Handlungsspielraum alleine gelassen hat. "Die Polizei fühlt sich verheizt", erklärt deshalb der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Lutz. Den Politikern glaube man sowieso kein Wort mehr: "Die kümmern sich um das Wohlergehen menschenverachtender Gewalttäter mehr als um Leib und Leben der polizeilichen Einsatzkräfte". 44 Beamte wurden in Straßenschlachten mit militanten Kurden verletzt.

Die martialische Gelegenheitsrhetorik kann das verbogene Koordinatensystem unserer Rechtsordnung nicht wieder zurechtrücken. Wird ein Gebäude "bloß" erstürmt, heißt es: Gott sei Dank, "keine Gewalt". Lassen die Besetzer ihre Geiseln frei, nachdem sie das eroberte Büro noch verwüstet haben, ist ihnen der freie und unbehelligte Abzug sicher. Natürlich ohne daß die Personalien aufgenommen werden; dem späteren Einbürgerungsantrag soll ja auch kein Makel im Lebenslauf entgegenstehen. Und zum Zeichen, daß dies in einem "multikulturellen" Land nun mal dazugehört, wird in Frankfurt nach der Geiselnahme in einem Reisebüro eigens der frühere Multi-Kulti-Dezernent Cohn-Bendit eingeflogen, um den triumphalen Abzug der kurdischen Besetzer auszuhandeln. Selbst FDP-General Westerwelle warf den Justizbehörden "Versagen" vor, weil sie sich mit Besetzern und Geiselnehmern auf "Kuhhändel" eingelassen hätten. Als gehörten diese nicht zur "De-Eskalation", die den Liberalen üblicherweise doch so heilig ist. Erst höhlt man Justiz und Polizei aus, dann macht man sie zu Sündenböcken.

Bei allem markigen Geschrei wird gerne vergessen, daß sich die politisch Verantwortlichen durch Tatenlosigkeit die Suppe selbst eingebrockt haben. Das gilt für den früheren Innenminister Kanther, der erst medienwirksam die PKK verbot und anschließend mit Öcalan ein Stillhalteabkommen des Inhalts schloß, daß die PKK auf Anschläge verzichtet und dafür unbelästigt Deutschland als Aktionsbasis Nummer eins ausbauen kann. Das gilt ebenso für die Regierung Schröder, die nach der Vollstreckung des gleichwohl aufrechterhaltenen internationalen Haftbefehls gegen Öcalan durch die Italiener aus Furcht vor dem mit einiger Verzögerung nun doch ausgebrochenen Kurden-Aufstand auf die Auslieferung verzichtete und damit aller Welt signalisierte, wie schwach und erpreßbar Deutschland in Wahrheit ist.

Nach den Kurden-Krawallen 1994 und 1996 wurden bereits mit nahezu identischer Diktion harte Konsequenzen angekündigt und mit viel Pomp das Ausländerrecht "verschärft". Ergebnis: Viele wurden ausgewiesen, aber ganze vier Kurden wurden aufgrund der Unruhen tatsächlich abgeschoben (so CSU-Beckstein). Telegene "Schnellverfahren" wie in Baden-Württemberg sind Augenwischerei. Die Abschiebebestimmungen im Ausländergesetz sind in erster Linie Abschiebeschutzbestimmungen. Wer sich als PKK-Aktivist hervorgetan hat, ist praktisch nicht loszuwerden, da ihm in der Türkei Folter droht. Im Klartext: Je ärger sich einer hier aufführt, desto sicherer darf er bleiben.

Die "Europäische Menschenrechtskonvention" stellt keinen Freibrief für Bürgerkriegsaktivitäten dar. Bei aller Sympathie für das bedrängte kurdische Volk: Deutschland ist nicht Ort zur kriegerischen Klärung dieser Frage.


 
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