© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Die FDP vor der Wahl
von Alexander Schmidt

Die Freien Demokraten stehen fünf Monate nach der für sie verlorenen Bundestagswahl vor ihrer wahrscheinlich größten Chance, auf der bundespolitischen Bühne aus der reinen Mehrheitsbeschaffungspartei hin zur richtungsweisenden freiheitlichen Partei zu werden – wenn sie die Umbrüche in der Gesellschaft erkennen, Konsequenzen daraus ziehen und den sich abzeichnenden Wandel in der deutschen Politik mitvollziehen.

Glauben nach einer Emnid-Umfrage zwei Drittel aller Erwachsenen daran, daß der Staat für sie verantwortlich sei, ist diese Idee nicht einmal bei 50 Prozent aller Jugendlichen vertreten. Traditionell konservative Werte wie Leistung, Durchsetzungsvermögen, Freiheit und Pflicht erleben eine Renaissance. Die Grünen bekamen die Wende schon bei der Hessenwahl zu spüren. Obwohl noch deutlich überrepräsentiert, hat sich der Anteil der Grünen-Wähler unter den18 bis 30 jährigen halbiert und liegt noch bei elf Prozent. 40 Prozent aller Jungwähler entschieden sich statt dessen für die Christdemokraten, sechs Prozent für die Republikaner und fünf Prozent für die FDP.

Jetzt muß die FDP auf ihrem Bundesparteitag Ende Mai in Bremen eine Entscheidung treffen, die entweder dazu führt, daß der linksliberale Flügel kurzfristig in den Rausch der Regierung gerät oder sich die konservativen Liberalen durchsetzen. Die erste Entscheidung hätte unter Umständen den Wiedereinzug der FDP in die Regierungsverantwortung zur Folge – mit dem Preis, sich als vierte Linkspartei im Bundestag zu etablieren, ohne jedoch den beschriebenen Trend zu achten und damit in absehbarer Zeit wieder in die Bedeutungslosigkeit zu sinken. Obwohl Generalsekretär Guido Westerwelle, der FDP-intern bereits als Nachfolger Gerhardts gehandelt wird, schon in sozialdemokratischen Kreisen nicht unbeliebt ist und regelmäßige Gespräche mit Innenminister Otto Schily (SPD) führt, überraschte seine Reaktion bei den kurdischen Krawallen. In einem offenen Brief an Schily wirft er den Landesjustizbehörden versagen und mangelnde Durchsetzungskraft vor. Westerwelle zu der von der PKK einberufenen Pressekonferenz: "Solche Vorgänge erwecken den Eindruck, wir lebten in einem Nachtwächterstaat."

Die FDP steht also vor der Entscheidung: Ist ihnen der Moment der Macht soviel wert, daß sie frei nach Goethe um ein "Verweile doch, Du bist so schön" bitten, dann zahlen sie mit dem Verlust von Zukunftsperspektiven. Finden die Liberalen zurück auf den "rechten Weg", kann sich die FDP langfristig so stabilisieren, daß das Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr ausreicht, um die Parteispitze in Siegestaumel zu versetzen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen