© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Jubiläum: Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) feierte sein 100jähriges Bestehen
Ohne den Kanzler, aber mit Trittin
Gerhard Quast / Michael De Wet

Sein Thema hätte die "Ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft" sein sollen, doch der angekündigte Festredner zog es vor, der Jubiläumsfeier fernzubleiben – aus Verärgerung darüber, daß sich der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der am vergangenen Wochenende in der Stuttgarter Liederhalle seiner Gründung vor 100 Jahren festlich gedachte, gegen den Bau eines Sperrwerks in der Emsmündung engagiert. Hinzu kam, daß der Präsident des NABU, Jochen Flasbarth, die Befürworter des Sperrwerks gar als "gedankenlos" und "starrsinnig" bezeichnet haben soll. Da versteht der Niedersachse Gerhard Schröder keinen Spaß, schließlich hat der Kanzler selbst den ersten Hammerschlag am Sperrwerk ausgeführt.

"Ich schäme mich für den Kanzler", kommentierte NABU-Vizepräsident Michael Succow diese Zurückweisung Schröders. Das sei ein schlechter Stil angesichts der vielen Tausend ehrenamtlichen Helfer. Und Bundesgeschäftsführer Uwe Huser versicherte am Tag zuvor, daß sich der NABU "die Stimmung trotzdem nicht vermiesen" lasse. "Ich will nicht verhehlen, daß dies trifft und verletzt", gestand hingegen NABU-Präsident Jochen Flasbarth vor den über 1.000 Festaktgästen, die das Fernbleiben des Bundeskanzlers mit Buh- und "Feigling, Feigling"-Rufen quittierten.

In seiner Festansprache skizzierte Flasbarth den weiten Weg vom honorigen "Bund für Vogelschutz" (BfV) der wilhelminischen Ära bis zum heutigen modernen Umweltverband mit politischem Anspruch. Die Gründerväter und die "Gründermutter" Lina Hähnle (Vorsitzende bis 1938) – die während des Festaktes von einer Schauspielerin dargestellt eine Erklärung abgeben durfte – seien deutlich konservativ geprägt gewesen, erläuterte Flasbarth.

Daß trotzdem eine Frau den Vorsitz übernahm – zu einer Zeit, als Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten –, mag zwar erstaunen, lag aber vor allem daran, daß mangels geeigneter anderer Freiwilliger nur die damals 47jährige zur Verfügung stand. Mit entsprechender Häme quittierte die Männerwelt die Wahl einer Frau, die – wie sie selbst sagte – zwar nicht reden könne, aber trotz allem ihre ganze Kraft in die Naturschutzarbeit stecke wolle, weil sie "die rücksichtslose Ausbeutung der Natur einfach nicht mehr mit ansehen" könne. Die erste Kampagne des BfV widmete sich der Rettung der Edelreiher und Paradiesvögel, die wegen ihrer prächtigen Federn bejagt wurden. Der Erfolg gab ihr recht: In der schon damals zersplitterten Naturschutzszene wurde sie zu einer wichtigen Integrationsfigur und führte den BfV – der auf Anordnung des Reichsforstministeriums 1934 in "Reichsbund für Vogelschutz" umbenannt wurde – bis zu seiner letztendlichen Gleichschaltung im Jahre 1938.

Nach dem Krieg wurde der Vogelschutzbund unter altem Namen wieder ins Leben gerufen, später aber in "Deutscher Bund für Vogelschutz" (DBV) umbenannt. Den heutigen Namen trägt der Umweltverband seit 1990, dem Jahr des Zusammenschlusses mit dem aus der "Gesellschaft für Natur und Umwelt" hervorgegangenen "Naturschutzbund der DDR". Heute zählt der Naturschutzbund nach eigenen Angaben 245.000 Mitglieder und ist in allen Bundesländern vertreten. Das Haushaltsbudget des Bundesverbandes beläuft sich auf etwa 28,5 Millionen Mark. Der NABU finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge (12,5 Millionen), Zuschüsse (7 Millionen) und Spenden (5,5 Millionen Mark). Bundesweit betreut er über 5.000 Schutzgebiete und unterhält rund 100 Naturschutzzentren. Die Mitgliederzeitschrift Naturschutz heute erscheint vierteljährlich mit einer Auflage von 195.000 Exemplaren. Präsident ist seit 1992 der Diplom-Volkswirt Jochen Flasbarth.

Daß sich der NABU als größte Umweltorganisation Deutschlands – der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zählt 238.000 Mitglieder – auch nach dem Regierungswechsel in Bonn als "unverzichtbarer kritischer und mahnender Beobachter" staatlichen Handelns und keinesfalls als "Vorfeldorganisation" der Regierung versteht, versuchte Flasbarth auf dem Stuttgarter Kongreß deutlich zu machen: Der NABU-Präsident erhob konsequent die Forderung nach dem Ausstieg aus der Atomenergie, der Einführung einer Ökosteuer, die ihren Namen verdient, und sparte nicht mit Kritik an der gegenwärtigen Agrarpolitik: "Keine gerodete Hecke, kein zugeschütteter Teich, keine umgelegte Wiese hat auch nur einen Menschen satter gemacht." Schließlich bot Flasbarth die Mitarbeit der Umweltschützer an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Rahmen eines künftigen "Bündnisses für Arbeit und Umwelt" an.

Überraschender Redner des Festaktes war Umweltminister Jürgen Trittin, der ausdrücklich betonte, nicht als Ersatz oder Stellvertreter des Bundeskanzlers aufzutreten. Trittin unterstrich in seiner Rede, daß die neue Regierung gerade auch mit den Stimmen engagierter Naturschützer gewählt worden sei. Dieser Verpflichtung müsse sie nun auch gerecht werden. Zugleich kündigte Trittin an, daß im Haushalt die Projektförderung der Umweltverbände "erheblich erhöht" und es zur Bündelung der Natur- und Umweltschutzgesetzgebung kommen werde.

Der ehemalige Umweltminister und derzeitige Leiter des UN-Umweltprogramms UNEP, Klaus Töpfer, spannte in seinem Vortrag den Bogen von den Umweltproblemen zu den negativen Folgen der Globalisierung auch im Bereich der Kultur. Es bestünde ein unmittelbarer Zusamenhang zwischen der immer länger werdenden "Roten Liste" bedrohter Tier- und Pflanzenarten und der "Roten Liste" der von der Vernichtung bedrohten Sprachen und Kulturen. Der Globalisierung müsse der bewußte Rückgriff auf regionale Identitäten entgegengesetzt werden, erklärte Töpfer.

Auf die Festrede des "Kanzlers aller Autos" mußten die Umweltschützer zwar verzichten, nicht jedoch auf dessen Auftritt am Abend desselben Tages bei Thomas Gottschalks "Wetten, daß…?". Seine Wette verlor er und mußte deshalb die "Saal-Omi" ins 70 Kilometer entfernte Wesel nach Hause fahren. Wie man später hörte, soll die Fahrt nur bis zur nächsten Pizzeria geführt haben.


 
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