© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/99 26. Februar 1999


Forschung: Die deutsche Mikroelektronik auf dem Weg zur Weltspitze
Technischer Quantensprung
Rüdiger Ruhnau

Fahrzeugbau und Maschinenbau, Elektrotechnik und Datentechnik, eines haben die vier Branchen gemeinsam, sie sind abhängig von Chips, den winzigen Plättchen aus dem Element Silizium. Geradezu atemberaubend ist der Fortschritt in der Halbleitertechnik, insbesondere bei der zunehmenden Miniaturisierung. Die Chips-Industrie hat eine jährliche Wachstumsrate von 14 Prozent, das Marktvolumen in Deutschland beträgt zirka 15 Miliarden Mark.

Der beispiellose Siegeszug der elektronischen Bauelemente begann vor 50 Jahren, als es dem Physiker William Shockley und seinen Mitarbeitern in den Labors der US-Telefonfirma Bell gelang, den ersten Transistor herzustellen. Shockley und seine Mitarbeiter erhielten dafür 1956 den Physik-Nobelpreis. 1959 gelang es der Wacker-Chemie im bayerischen Burghausen, die erste Anlage zum Zonenschmelzen von Reinstsilizium zu erstellen. Heute nimmt die Wacker Siltronic GmbH die dritte Position auf dem Weltmarkt für Wafern ein. Die Wafer sind dünne runde Scheiben aus superreinem Silizium, vollkommen staubfrei und absolut eben. Die PC-Firmen stellen daraus ihre elektronischen Halbleiter-Bauelemente her, wie Mikroprozessoren und Speicherbausteine. Auf den Wafern können mehrere Chips gleichzeitig programmiert werden.

Silizium gehört neben dem Element Germanium zu den bekanntesten Halbleitern. Im Gegensatz zu den Metallen erhöhen Halbleiter bei Energiezufuhr die elektrische Leitfähigkeit. Ersetzt man im Silizium einige Atome durch Fremdatome (Dotierung), dann steigt die Leitfähigkeit um ein Vielfaches an. Für eine Chip-Produktion werden zirka 200 unterschiedliche Prozeßchemikalien benötigt, um aus den Si-Scheiben in rund 500 Prozeßschritten die High-Tech-Chips zu produzieren.

Silizium ist nach dem Sauerstoff das meistverbreitete Element. Es kommt aber im Unterschied zum homologen Kohlenstoff nur in gebundener Form vor, zum Beispiel als Seesand oder Quarz SiO2. Bei der technischen Herstellung wird SiO2 mit Koks reduziert und über das Zwischenprodukt Chlorsilan in polykristallines Silizium überführt. Für die Wafer-Herstellung muß das Silizium ein perfektes Kristallgefüge besitzen. Die Wacker GmbH erreicht dies mit dem "Czochralski"-Verfahren: In das bei 1.420 Grad Celsius verflüssigte Silizium wird ein Impfkristall getaucht, an den sich Siliziumatome zu einem meterlangen "Einkristall" anlagern, den eine fast fehlerlose Kristallstruktur auszeichnet.

In Dresden arbeitet seit drei Jahren die von der Siemens AG betriebene modernste Chip-Produktion Europas. Dort sollen nach den Worten des Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer die technischen Voraussetzungen für eine "Chip-Fabrik der Zukunft" geschaffen werden, denn bisher existiert weltweit keine Anlage für die Herstellung von Chips auf der Basis von 300-Millimeter-Wafern. Die Produktpalette von Wacker umfaßt nur Silizium-Scheiben mit Durchmessern von 100 bis 200 Millimeter, je größer aber der Durchmesser, desto mehr Chips mit kleineren Strukturbreiten können gefertigt werden. Das in Dresden geplante Projekt "300 plus" erfordert ein Investitionsvolumen von etwa drei Milliarden Mark. Auch die kapitalmächtigen Halbleiterfirmen Intel, Motorola (beide USA) und Nec (Japan) setzen für die Zeit nach der Jahrtausendwende auf den 300 Millimeter-Wafer und Strukturbereiche von 0,18 Mikrometern.

Die ehrgeizigen Ziele von Siemens will man in Kooperation mit Motorola verwirklichen. Der Bund hat eine Förderungsspritze von knapp 200 Millionen Mark zugesagt. Der Übergang zur 300-Millimeter-Fertigung gilt als technischer Quantensprung in der Halbleiterproduktion, da die erforderlichen Ausrüstungen und Verfahrensschritte erst noch entwickelt werden müssen. Ein Problem sind die ultrareinen Naßchemikalien. Um extrem reine Silizium-Oberflächen zu bekommen, verwendet man hochreine Salpetersäure-Flußsäure-Gemische und Laugen. Viele weitere chemische beziehungsweise fotolithografische Schritte sind erforderlich, um die komplexe Mikrostruktur eines Chips zu erhalten. Das Dotieren mit Fremdatomen, das Belichten über eine Maske entsprechend der Struktur, das Entwickeln und Abätzen verlangt Prozeßchemikalien mit äußerster partikulärer Reinheit. Grundsätzlich werden diese Chemikalien in geschlossenen Systemen verwendet. Ebenso müssen die eingesetzten Gase über ppb-Qualität verfügen, wofür wiederum spezielle Apparaturen notwendig sind.

Die Reinstsiliziumtechnologie steht am Beginn einer enormen Wertschöpfungskette. Rohsilizium kostet etwa fünf Mark pro Kilogramm, die daraus produzierten Reinstwafer haben schon den tausendfachen Wert. Trotz äußerster Sorgfalt bei der Herstellung ist mehr als ein Zehntel aller gefertigten Chips defekt und muß ausgesondert werden. Bei weiterer Verkleinerung der integrierten Schaltkreise wird es immer kostspieliger, die Fehlerrate in erträglichen Grenzen zu halten.

Obwohl die deutsche Industrie im Maschinen- und Anlagebau führend ist, trifft dies für die Maschinen der Halbleiterfertigung nicht zu. Die hochqualifizierten Apparaturen für die vollautomatisierten Chip-Fabriken stammen meistens aus den USA, wo Applied Materials Inc. Marktführer ist. Dichtauf folgen die Japaner, die den Vorsprung der Amerikaner wettgemacht haben und heute eine komplette Infrastruktur für Halbleitertechnik besitzen. Das hat andererseits zu einer Überkapazität geführt, die mitverantwortlich für die derzeitige Rezession in den asiatischen Ländern ist. Es besteht allerdings Hoffnung, daß man in Deutschland die Wichtigkeit auch der Zulieferindustrie für die Chip-Fertigung erkennt und Reinstchemikalien wie Wolframhexafluorid, Gallium, Arsen oder Bor mit einem "Zehn-Neuner"-Reinheitsgrad zu liefern imstande ist. Immerhin hat die Siemens Microelectronics Center GmbH angekündigt, auf den 64-Megabite-Chip noch im Jahre 1999 den 256-Megabite-Speicher folgen zu lassen.


 
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