© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


Kosovo: Generalmajor a. D. Schultze-Rhonhof über den Nato-Einsatz mit Bundeswehr
"Gefahr eines zweiten Vietnam"
Karl-P. Gerigk

Herr Schultze-Rhonhof, wie bewerten Sie den Bundeswehreinsatz im Kosovo vor dem Hintergrund der Erfahrungen auf dem Balkan im Zweiten Weltkrieg?

Schultze-Rhonhof: Ich meine, daß die Unruhen auf dem Balkan heute ein Problem der Gegenwart sind. Der Einsatz der Wehrmacht auf dem Balkan ist eine Frage der Geschichte. Es kommt darauf an, daß wir uns heute nach den Regeln des Völkerrechts korrekt verhalten und das tun, was jetzt auf dem Balkan getan werden muß. Wir sollten uns nicht immer von dem blockieren lassen, was vor einem halben Jahrhundert war.

Meinen Sie, was auf dem Balkan getan werden muß, ist der Einsatz von Truppen der Nato, mit deutscher Beteiligung zur Friedenssicherung oder auch zur Begrenzung Belgrads?

Schultze-Rhonhof: Die Nato hat in den letzten zwei Jahren eine neue Rolle gefunden. Eine Friedenssicherung auf dem Balkan liegt im Interesse des Bündnisses und in unserem Interesse, da eine solche Krise auch immer auf Deutschland ausstrahlt. Denken Sie nur an die Flucht von vielen Hunderttausenden Menschen aus dem früheren Jugoslawien nach Deutschland in den vergangenen Jahren. Wir haben ein berechtigtes Interesse, solche Flüchtlingsströme am Ort ihres Entstehens zu verhindern. Wir haben damit ein nationales Interesse, dort einzugreifen.

Haben wir denn auch ein Recht dazu?

Schultze-Rhonhof: Die Nato hat sich bisher noch nicht selbst mandatiert, im Kosovo einzumarschieren. Doch es ist natürlich ein legitimes Recht jedes Staates, bei einer Bürgerkriegsauseinandersetzung im Nachbarland Druck auszuüben. Ein Problem ergibt sich für die Nato erst, wenn die Serben sich endgültig weigern, ihr Befugnisse in Rest-Jugoslawien zuzubilligen, wie zum Beispiel die Überwachung eines Friedensprozesses durch Nato-Truppen im Kosovo.

Ein militärisches Eingreifen wäre doch ohne UNO-Mandat völkerrechtswidrig?

Schultze-Rhonhof: Wenn Jugoslawien in einem Vetrag zustimmt, den Frieden im Kosovo durch Natotruppen überwachen zu lassen, dann ist dies völkerrechtsgemäß. Wenn Serbien dem Druck der Nato nicht nachgibt, Bündnistruppen auf seinem Territorium zu akzeptieren, und auch kein Mandat der Uno ausgesprochen wird, kommt ein Eingreifen der Nato einem Angriffskrieg gleich. Das wäre völkerrechtswidrig.

Bei einer solchen Situation geraten die deutschen Soldaten im Kosovo dann doch zwischen die Fronten der UCK und der Serben. Ist das Risiko nicht zu groß?

Schultze-Rhonhof: Ich denke, daß die UCK und die Albaner erkennen werden, daß die Nato-Truppen, und mit ihnen die deutschen Soldaten, die Tendenz zu ihrer Autonomie stützen werden. Albaner und UCK werden sich wohl nicht gegen Nato-Truppen wenden. Sie werden in den Bündnis-Truppen eher Verbündete sehen.

Serbien hat die Nato aber offen vor einem zweiten Vietnam gewarnt.

Schultze-Rhonhof: In dem Fall, daß Serbien die Nato nicht freiwillig ins Land läßt, könnte der militärische Konflikt in der Tat zu einem zweiten Vietnam werden. Es ist erkennbar, daß die Nato mit relativ schwachen Kräften ins Land gehen will. In der Diskussion sind Truppen in einer Stärke von etwa 28.000 Mann. Damit kann man ein solches Unterfangen wahrscheinlich nicht schnell erfolgreich beenden. Alles weist darauf hin, daß die Staaten der Nato und die Regierungen im Bündnis diesen Konflikt auf kleiner Flamme kochen wollen. Auf kleiner Flamme heißt hier, daß man mit wenig Mitteln operieren will. Geringe Mittel aber können diesen Konflikt nicht schnell beenden. Auch der Koreakrieg und der Vietnamkrieg begannen mit der Entsendung von relativ wenigen Truppen. Damals mußten über einen längeren Zeitraum hinweg Soldaten und Material nachgeschoben werden, weil die gegnerische Seite sich immer darauf einstellen konnte, was die USA nacheinander ins Land brachten. Daher könnte ein Eingreifen gegen den Willen der Serben zu einem längeren Konflikt werden, in dem die Nato ständig Kräfte nachführen muß.

Sollte Deutschland dabei eine Führungsrolle in der Nato übernehmen, zusammen mit den USA?

Schultze-Rhonhof: Eine Führungsrolle Deutschlands an der Seite der USA wird immer den Argwohn unserer großen europäischen Alliierten hervorrufen. Das trägt sicherlich nicht zu einem Frieden in Europa bei. Wenn Serbien eine Nato-Friedenstruppe in Jugoslawien zuläßt, ist ein deutsches Engagement sicherlich sinnvoll und entspricht der gewachsenen Verantwortung des geeinten Deutschlands auch in Europa. Wenn sich Serbien allerdings einer Stationierung von Nato-Truppen verweigert, darf Deutschland nach dem eigenen Grundgesetz nicht an Aktionen teilnehmen. Nach Artikel 26 GG haben wir uns die Teilnahme an Angriffskriegen selbst untersagt.

Ist eine stärkere Rolle der Europäer auf dem Balkan mit eindeutiger Verteidigungsidentität dem Frieden dienlich?

Schultze-Rhonhof: Ich halte die Nato nach wie vor für das bessere Verteidigungs- und Handlungsinstrument. Bei uns Europäern ist bislang nicht erkennbar geworden, daß wir eine eigene Verteidigungsidentität entwickelt haben. Die politischen Ambitionen der Franzosen und Engländer sind immer noch andere als die der Deutschen. Die Franzosen und Engländer haben nach wie vor Ambitionen der Einflußnahme in ihren ehemaligen Kolonien, zum Beispiel zur Sicherung ihrer "Vorrechte" an dortigen Bodenschätzen.

Deutschland verfolgt vergleichbare Interessen mit militärischen Mitteln überhaupt nicht. Deutschland hat seit dem Zweiten Weltkrieg eine große Scheu, von militärischer Macht Gebrauch zu machen. Das sind unterschiedliche Erfahrungen.

Glauben Sie, daß die USA eine eigene Rolle Europas aus geostrategischem Interesse auf dem Balkan blockieren wollen, wie Zoran Jeremic zur JUNGEN FREIHEIT gesagt hat?

Schultze-Rhonhof: Ich glaube das nicht. Die Amerikaner wären eher froh, wenn wir das Problem auf dem Balkan selber lösen könnten.

Ist der Einsatz deutscher Soldaten auf dem Balkan Ihrer Ansicht nach ein Schritt hin zu weltweiten Einsätzen?

Schultze-Rhonhof: Ich glaube nicht, daß das schon ein Eintritt in weltweite Einsätze ist. Wir Deutsche empfinden zunehmend eine europäische Identität. Aus diesem Grund müssen wir auch Verantwortung in Europa mittragen. Verantwortung vor allem für Frieden und Stabilität innerhalb unseres nun erweiterten politischen Lebensraumes. Serbien gehört nun einmal geographisch zu Europa, und wenn wir eigene Truppen dorthin entsenden, bedeutet das noch lange nicht, daß wir auch den Schritt zu weltweiten Engagements tun müssen.

Wie ist in dieser Frage das Grundgesetz auszulegen?

Schultze-Rhonhof: Es darf eine gewisse Schwelle in der Jugoslawienpolitik nicht überschritten werden. Stimmt Milosevic der Stationierung von Natosoldaten nicht zu, dann stehen wir vor der Barriere des Grundgesetzes. Wir dürfen unsere eigenen Verfassungsbestimmungen nicht verletzen. Wenn wir ohne eine Zustimmung aus Belgrad mit Kräften der Bundeswehr in Jugoslawien einmarschieren würden, und sei es auch zum Schutz der Kosovo-Albaner, dann wäre das nach dem Völkerrecht eine Eröffnung des Krieges durch uns. Wir wären in diesem Fall der Angreifer. Damit hätten wir überdies ein paar Hunderttausend Auslandsjugoslawen in Deutschland und in den übrigen Nato-Ländern zu Feindstaatlern gemacht. Die könnten dann durch das Kriegsvölkerrecht geschützt unter Einhaltung bestimmter Regeln Krieg in Deutschland und den anderen Ländern führen, zum Beispiel Eisenbahnstrecken unterbrechen, Brücken sprengen und Kraftwerke beschädigen. Das derzeitige Verhalten von ein paar PKK-Kurden in Deutschland, mit denen wir nicht einmal im Krieg stehen,sollte uns doch eine Warnung sein. Schreiten wir mit der Nato ohne Zustimmung aus Belgrad im Kosovo ein, überträgt sich dieser Konflikt wahrscheinlich ins Innere der europäischen Staaten. Das können wir im Prinzip nicht wollen.

 

Gerd Schultze-Rhonhof ist Generalmajor a.D. der Bundeswehr, geboren 1939 in Weimar, trat 1959 in die Streitkräfte. Zuletzt war er Befehlshaber des Wehrbereichskommandos II und Kommandeur der 1. Panzerdivision. Im März 1996 schied er auf eigenen Wunsch vorzeitig aus dem Dienst aus.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen