© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/99 12. März 1999


Pankraz,
die Bonner Doku-Soap und die fröhliche Wissenschaft

Eine neue Genrebezeichnung geistert durch die Programmzeitschriften: die "Reality-Soap", die "Doku-Soap". Doku-Soaps sind Seifenopern mit besonders viel Seife, aber faktisch ohne Oper, d. h. nicht fiktiv, sondern "wirklich", nicht "wie aus dem wirklichen Leben", sondern das wirkliche Leben selbst, das Ganze aber so dargeboten, daß der Zuschauer zunächst einmal denkt, es sei fiktiv. Und dazwischen gibt es üppige Werbeblöcke, die "Seife", deretwegen alles veranstaltet wird.

Da fährt zum Beispiel ein "Traumschiff", der Kapitän ist ein Seebär von bestem Schrot und Korn, der Oberstewart ein sonniger Schwerenöter, die Passagiere lieben oder necken sich, hin und wieder kommt mal einer beim Landgang in Schwierigkeiten oder abhanden, eine alte Dame hat Krebs und macht ihre letzte Reise – aber siehe, nichts von alledem haben die Fernsehleute erfunden, alles wird von ihnen lediglich "dokumentiert", alles ist gewißlich wahr, das "Traumschiff" ein wirkliches Traumschiff, der "Kapitän" ein wirklicher Kapitän usw. Wer hätte das gedacht!

Solche Doku-Soaps sind natürlich nur in "geschlossenen Systemen" möglich, auf Vergnügungsdampfern eben, wo für eine Weile die Wirklichkeit selber zu etwas Traumhaftem wird, einen quasi fiktiven Rahmen bekommt, in den sich alle einordnen, auch die "dokumentierenden" Fernsehleute, deren bloße Anwesenheit ja zusätzlich für Flunkerei und Simulation sorgt. Man will ins Bild kommen, man will eine Rolle übernehmen. Das einzig wirklich Reale an der Veranstaltung sind letztlich die Werbeblöcke, die "Seife". Einzig an ihrer dokumentarischen Präsenz muß niemand zweifeln.

Auch die Bonner Politik ist in den letzten Jahren immer mehr zu einem geschlossenen, sich nach außen abschottenden System geworden, zu einem Traumschiff. Und jetzt, im Zeichen der Regierung Schröder, vollzieht sich mit Riesenschritten der Übergang zur Doku-Soap. Keiner der Akteure weiß mehr genau, ob er noch wirklich der ist, der er ist, ob er nicht längst sich und den anderen nur noch etwas vormacht. Die anwesenden Fernsehleute sind voll in den Betrieb integriert, lassen nur noch die Kamera surren. Und der Zuschauer denkt nur noch: "Seife".

Freilich, das Produkt, für das geworben wird, ist nicht mehr eindeutig auszumachen. Der Kapitän und seine Stewarts machen für sich selbst Reklame, soviel scheint klar. Aber was genau soll herausgestellt werden? Der Kapitän in seiner Stellung als Kapitän? Der Kapitän in seiner Stellung als Schauspieler? Der Kapitän in seiner Stellung als permanentes Medienereignis, das sich selbst genügt und keiner weiteren Äußerungskräfte mehr bedarf? Der Kapitän als Zuschauer seiner selbst?

Bei den übrigen Zuschauern stellt sich Irritation ein, die den Unterhaltungswert der Traumreise rapide zu überschatten beginnt. Wenn die Seife schon unidentifizierbar verschäumt, so fragen sich viele, wie steht es dann mit der Dokumentation? Ist der Oberstewart, der das pralle Leben und die Mädchen so liebt, nicht vielleicht doch bloß hinter dem Geld her? Und die vielen Abgänge bei den Landausflügen? Schlagen sich hier nicht einfach immer mehr verdrossene Mitspieler von soeben in die Büsche, weil sie die Nase gründlich voll haben von dieser Art Opera?

Wer "Soap" und "Reality" ununterscheidbar vermischt, der muß damit rechnen, daß weder das eine noch das andere für voll genommen wird. Besonders gilt dies für die Politik. Sicher steckt in jedem guten Politiker ein gerüttelt Maß Schauspielerei, das ihm die Wähler glatt durchgehen lassen, das sie geradezu von ihm fordern. Doch das Resultat seines Politisierens, "das, was hinten rauskommt" (H. Kohl), wird in der Regel ganz realistisch bewertet und eingeordnet.

Je mehr einer schauspielert, desto genauer wird er früher oder später an seinen Resultaten gemessen. Und fallen die nicht so aus, wie man erhofft hat, so wird das speziell seiner vehementen Schauspielerei angekreidet, und er geht als unerträglicher Scharlatan, eben als "bloßer Schauspieler", in die Annalen ein.

Auf der anderen Seite gibt es beim Publikum eine nicht minder rüde Bewertung der genuin schauspielerischen Leistung im politischen Geschäft. Selbst Wähler, die nie ins Theater gehen, wollen jeweils Topvorstellungen sehen; daraus erklärte sich ja nicht zuletzt die dämonische Attraktion des Politschauspielers Adolf Hitler. Politiker, die mit Rücksicht auf die "Reality" vor dem ganz großen Auftritt zurückschrecken, die mit dem Schauspielfach nur ein bißchen tändeln und nicht zum vollen Profitum aufsteigen, werden gnadenlos als "Schmierenkomödianten" und "Möchtegernmimen" abgelegt.

Insofern gleicht die Doku-Soap in der Politik immer einem Ritt über den Bodensee. Zu glauben, das Medium sei in jedem Fall schon die Botschaft, ist ein fataler Irrtum. Das spricht sich jetzt auch in Bonn herum. Die Berater unseres Schauspieler- und Medienkanzlers machen bedenkliche Mienen, Termine bei Talkshows und anderen Medienspektakeln werden abgesagt oder verschoben, es herrscht ein bißchen ein Klima wie am Tag nach einer mißlungenen Premiere. Man möchte, wie aus dem Kanzleramt zu vernehmen ist, "eine präzise und realistische Analyse des Verhältnisses von aktiver Politik und medialer Präsenz im Hinblick auf politische Effektivität und Überzeugungskraft".

Schaden kann so etwas nicht. Hombach und Co. sollten u. a. bei Nietzsche nachlesen, in der "Fröhlichen Wissenschaft", unter dem Stichwort "Wie man die Menge bewegt". Dort steht es ganz unverblümt: Wer die Menge bewegen will, also in erster Linie der Politiker, der muß zwar Schauspieler sein, aber er muß vor allem "er selbst" sein, "Schauspieler seiner selbst", muß "sein Eigenes ins schier Grotesk-Deutliche übersetzen und seine ganze Person und Sache in dieser Vereinfachung vortragen". Mit Doku-Soap hätte dergleichen nur noch am Rande zu tun.


 
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