© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/99 19. März 1999


Spekulationen
von Hans-Peter Rissmann

Die Nebel lichten sich, doch die Sicht wird nicht klarer. Was Oskar Lafontaine nach seinem dreitägigen Schweigen als Erklärung für seinen Rücktritt als Finanzminister und SPD-Vorsitzender geboten hat, ist bestenfalls dazu geeignet, die journalistischen Müllschlucker ruhigzustellen. Für alle anderen bleibt weiterin die Frage im Raum stehen: Warum?

Gewiß, das Polit-Mobbing Schröders und seiner willigen Helfer im Kanzler- und Presseamt mag sensiblen Naturen an die Nieren gehen. Aber Lafontaine? Der ausgebuffte Machtpolitiker hätte es nicht nötig gehabt, sich vom Niedersachsen kaltstellen zu lassen. Gewiß, das mangelhafte Mannschaftsspiel läßt sich bei dieser Bundesregierung beklagen. Auch die Fähigkeit, ein geschlossenes Bild abzugeben. Andererseits ist auch erfrischend, wenn in der deutschen Politik Gegensätze einmal offen ausgetragen werden und nicht jeder Konflikt unter den Teppich gekehrt wird. Was war dann nun der wahre Grund für den Abgang Lafontaines? Gewiß, der Wunsch vielbeschäftigter Spitzenpolitiker, mehr Zeit für ihre Familie zu erübrigen, ist nachvollziehbar. Daß Lafontaine dieses Bedürfnis allerdings zu diesem Zeitpunkt – gerade einmal viereinhalb Monate nach seiner Vereidigung als Bundesfinanzminister – ins Feld führt, ist kaum glaubhaft.

Also läßt sich zu Recht trefflich darüber spekulieren, inwiefern der dramatische Abgang Lafontaines nicht bereits von langer Hand geplant war. Es scheint ziemlich sicher zu sein, daß führende Kreise der Sozialdemokraten in das Spiel eingeweiht waren, auch grüne Führungskräfte den Braten rochen.

Ob freilich Gerüchte ernst zu nehmen sind, die von britischen Tageszeitungen kolportiert wurden, nach denen die spektakuläre Enthüllung Lafontainscher Stasi-Kontakte kurz bevorstand, ist fraglich. Immerhin wäre es ein an die Barschel-Affäre gemahnender Skandal, wenn hier mittels eines anrüchigen Deals ein delikater Fall aus der Öffentlichkeit herausgehalten werden soll. Hier müssen die Fakten schleunigst auf den Tisch. Die SPD sollte zügig die Krokodilstränen aus den Augen wischen und erklären, wie es dazu kommt, daß ein innerparteilich erfolgreicher Parteivorsitzender sang- und klanglos ins Private verabschiedet wird, ohne Aufklärung der Ursachen und Hintergründe.

Lachender Dritter könnte die PDS werden, die nun erheblich größere Chancen hat, sich der radikalen Linken in Westdeutschland als Plattform anzubieten. Die vergenscherten Grünen und verkohlten Sozialdemokraten drängeln sich schließlich in der neuen Mitte mit FDP und CDU und lassen links und rechts genügend Platz für clevere Konkurrenz.


 
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