© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Entmilitarisierung
Karl Heinzen

Die Wehrpflicht muß heute als verfassungswidrig betrachtet werden, meint das Landgericht Potsdam und ruft damit am historischen Ort in Erinnerung, welche Aufgabe die Staatengemeinschaft ihren Deutschen eigentlich einst auf den Weg gegeben hatte: Die Entmilitarisierung unseres Landes steht auf der Tagesordnung – das diesbezügliche Moratorium des rot-grünen Koalitionsvertrages darf eine friedlichere Zukunft nicht aufschieben. Vertagt wurde das Thema sowieso nur, weil man den Staat nicht aus seiner Verantwortung für die statistische Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit entlassen wollte. Nach dem Abtritt Lafontaines lastet dieser Erfolgsdruck aber nicht länger auf der Regierung.

Beschäftigung ist nicht mehr ein Wert an sich. Der Müßiggang muß nicht dadurch subventioniert werden, daß man ihn in eine Uniform steckt. Nur derjenige verdient sein Geld als Soldat redlich, der sich engagiert für das totschießen läßt, was die Kompromißlösungen frei gewählter Politiker bis auf Widerruf als gerecht herausgearbeitet haben. Die Wehrpflicht belastet eine Außensicherheitspolitik, die nicht jedes Menschenleben abwägen darf, wenn sie den neuen, an uns gerichteten Erwartungen wirklich gerecht werden will. Sie verankert die Bundeswehr in der Gesellschaft: Gerade dies können wir uns nicht mehr leisten, soll denn unser Einsatz für eine neue euroatlantische Sicherheitsarchitektur mehr denn nur ein Lippenbekenntnis sein. Die Anteilnahme mit den Opfern, die die bevorstehenden Einsätze mit sich bringen werden, muß berechenbar bleiben. Die Bevölkerung muß Trost in der Gewißheit finden, daß die Betroffenen ihr Schicksal nicht besser verdienten, weil sie es sich selbst ausgesucht haben. Die Lehre aus der Geschichte kann schließlich nicht lauten, deutsche Uniformträger plötzlich zu würdigen, bloß weil sich die Hoheitsabzeichen zufällig geändert haben: Soldat bleibt Soldat. Natürlich wäre es verlockend, auch Grundwehrdienstleistenden das Erlebnis Bundeswehr im Ausland zu ermöglichen. Jenes Drittel jeder männlichen Alterskohorte, das beharrlich meint, die Wehrpflicht als solche begreifen zu müsen, könnte so einem Risiko ausgesetzt werden, das seiner unzugänglichen und verdächtigen Haltung angemessen ist. Pragmatischer ist es jedoch, lieber nicht auf einen Nutzen der Wehrpflicht zu bauen, sondern diese abzuschaffen. Eine Abrüstungsspirale könnte in Gang gesetzt werden: Da eine Freiwilligenarmee auch mit deutlich weniger Soldaten mehr Kosten verursacht, wäre sie nur in einem Umfang und mit einer Ausstattung zu finanzieren, die sich von vornherein entbehrlich für das Bündnis macht. Das Nachdenken über den Unsinn eines deutschen Militärpotentials hätte eine neue Berechtigung. Dieser zeitraubende Prozeß der Entmilitarisierung wäre aber auch abzukürzen, wenn schon jetzt nicht nur über die Wehrpflicht allein, sondern über die Bundeswehr insgesamt diskutiert würde. Vielleicht muß der Kosovo sein, um diesen Mut aufzubringen.


 
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