© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Streit um den Doppelpaß: Debatte im Deutschen Bundestag über doppelte Staatsangehörigkeit und politischen Extremismus
"Das Einwanderungsland Bundesrepublik gestalten"
(JF)

28. Sitzung, Bonn, Freitag, den 19. März 1999, Beginn: 9.01 Uhr. Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters eröffnet die Aussprache und gibt für die SPD-Fraktion dem Abgeordneten Michael Bürsch das Wort.

Dr. Michael Bürsch (SPD): "(...) Fraktionsübergreifende Übereinstimmung besteht darüber, daß das veraltete Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht von 1913 dringend reformbedürftig ist. Unbestritten ist auch die Notwendigkeit, den dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen umfassende politische Teilhabe zu ermöglichen. (...)

Besonders dringlich ist es, der ersten Ausländergeneration, die wir als Arbeitskräfte ins Land geholt haben und die hier seit vielen Jahren integriert ist, volle Bürgerrechte zu gewähren und die Einbürgerung zu erleichtern. (...) Sie alle wissen, daß die Regierungskoalition ursprünglich einen anderen, einen konsequenteren und auch praktikableren Gesetzentwurf vorgelegt hat. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen haben wir davon Abstriche gemacht, mit der Absicht, unserem politischen Ziel der Integration von Ausländern jedenfalls mit einem ersten Reformschritt näherzukommen. (...) Auch ohne generelle Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft macht die nun gefundene Lösung vielen ausländischen Mitmenschen ein ihnen lange vorenthaltenes, faires Integrationsangebot, als politisch und rechtlich Gleiche in unserer Gesellschaft heimisch zu werden. Das ist ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Indem wir ausreichende Sprachkenntnisse, Unterhaltsfähigkeit und Verfassungstreue von den Einbürgerungsbewerbern verlangen, machen wir außerdem deutlich, daß es eine Einbürgerung zum sogenannten Nulltarif nicht gibt. Die flexible Ausgestaltung der Voraussetzungen gewährleistet zugleich, daß sie einer Einbürgerung keine unüberwindbaren Hürden vorsetzen. (...)

Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: (...) Sie wollen künftig jedem ausländischen Jugendlichen die doppelte Staatsangehörigkeit geben. Ich habe einmal durchgerechnet, wie viele Jugendliche das betrifft. In Deutschland werden pro Jahr in etwa 100 000 ausländische Kinder geboren. Wenn ich einmal von einer geringeren Zahl ausgehe, dann werden davon etwa 60 000 ausländische Kinder eingebürgert. Wenn Sie das jetzt rückwirkend auf die letzten zehn Geburtsjahre beziehen, dann heißt das, daß mit einem Federstrich 600 000 ausländische Jugendliche eingebürgert werden.

Ich frage Sie, wie viele Ausländer nach der Kriminalitätsstatistik –

(Widerspruch bei der SPD)

– Wenn ich boshaft wäre, würde ich sagen –

(Sebastian Edathy [SPD]: Sie sind boshaft!)

– Ja, natürlich, jetzt bin ich boshaft. Was stört Sie denn daran, wenn man im Zusammenhang mit dem vorliegenden Thema auch über Kriminalität diskutiert?

(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist boshaft! - Ludwig Stiegler [SPD]: Eine glatte Verleumdung ganzer Generationen ist das! - Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wollen Sie Integration oder nicht?)

Ist man in diesem Hause nicht mehr in der Lage, bei einem solchen Thema auch über den Aspekt der Kriminalität zu diskutieren?

Ich will wissen, ob Sie sich Gedanken darüber gemacht haben, daß Sie künftig alle kleinen Mehmets hierbehalten müssen.

(Widerspruch bei der SPD)

Mit der von Ihnen vorgesehenen Regelung müssen Sie diejenigen Menschen, die in diese Gesellschaft absolut nicht passen und alles getan haben, um sich an den Rand dieser Gesellschaft zu begeben, auf Dauer behalten. (...) Wenn Sie im Hinblick auf das Thema "doppelte Staatsangehörigkeit" eine Befriedung ernstlich gewollt hätten, dann hätten Sie in Ruhe auch mit uns, mit den Kräften der Opposition, eine gemeinsame, vernünftige Handlungsweise zu finden versucht. (...) Ich kann den Menschen Ihr Vorhaben nicht erklären. Weil ich dies nicht kann, kann ich Ihren Entwurf nur für falsch halten. (...) Wenn Sie die Jugendkriminalität in unseren Großstädten in bezug auf ausländische und inländische Bevölkerung vergleichen, dann stimmt Ihre Rechnung nicht. In den Kreisen ausländischer Jugendlicher ist die Kriminalität definitiv höher. Sie haben recht – etwas anderes habe ich auch nicht behauptet –, wenn Sie sich auf die gesamte Wohnbevölkerung beziehen und dann zwischen ausländischen und inländischen Teilen vergleichen. Unter den Jugendlichen, die Sie einbürgern wollen, ist der Anteil der Kriminellen leider erhöht. (...)

Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grünen): (...) 7 Millionen sogenannte Ausländer leben in Deutschland, fast zwei Drittel schon seit über 10 Jahren, mehr als 30 Prozent bereits seit über 20 Jahren. Hunderttausend Kinder ausländischer Eltern werden jährlich hier geboren. Aber nach dem alten Ausländergesetz sind sie Fremde im eigenen Land. Wir beenden nach nunmehr 86 Jahren endlich diese Ausgrenzung. Wir machen viele von diesen sogenannten Ausländern endlich zu Inländern. (...) Dann können wir in diesem Haus endlich wie in anderen europäischen Ländern gemeinsam über das reden, was notwendig ist, nämlich darüber, wie man das Einwanderungsland Bundesrepublik gestaltet. (...)

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): (...) Ich akzeptiere und respektiere, wenn drei Viertel der Betroffenen sagen: Mein größter Wunsch ist es, Türke, Serbe, Kroate oder Bosnier bleiben zu wollen. Aber stellt eine solche Haltung für Sie ein ernsthaftes Kriterium dar, diesen Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit zu verleihen? (...)Wir sammeln Unterschriften für eine bessere Integration der dauerhaft und rechtmäßig hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer, für eine erleichterte Einbürgerung der jungen Generation und gegen die generelle doppelte Staatsbürgerschaft. Unsere Politik hat also absolut nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun.

Vizepräsident Rudolf Seiters: Frau Müller, möchten Sie darauf antworten? - Bitte.

Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, zunächst zur Unterschriftenkampagne: Sie sagen jetzt, daß es nicht Ihre Absicht gewesen sei, mit der Kampagne eine ausländerfeindliche Stimmung in der Gesellschaft zu schüren. Das konzediere ich. (...) Wenn man feststellt, daß mit einem solchen Aufruf Stimmung zu Lasten der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer gemacht wird, finde ich, muß man die Konsequenzen ziehen und eine solche Kampagne stoppen.

(...) Für mich ist entscheidend, daß wir mit dieser Reform den Einstieg in das Geburtsrecht leisten. Es handelt sich um einen ersten, rechtspolitisch historischen Schritt. Ich bin der Meinung, daß man vor diesem Hintergrund die Hinnahme des Optionsmodells akzeptieren kann. Wir werden – das habe ich hier angekündigt, und das meine ich sehr ernst; wir können das gerne gemeinsam tun - für gesellschaftliche Mehrheiten kämpfen, um das ius soli pur, ohne das Optionsmodell, zu bekommen. Ich finde, ein Einstieg ist besser, als daß es bei der alten, schlechten Rechtslage bleibt. (...)

Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): (...) Wir werden in Deutschland mit diesem Gesetz nach einer langjährigen Diskussion jetzt ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht bekommen.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Das neue Staatsangehörigkeitsrecht wird zu einer Verbesserung der Integration der dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebenden Menschen ausländischer Herkunft führen. Die Verbesserung der Integration dieser Menschen ist im Interesse unserer gesamten Gesellschaft dringend notwendig.

(Beifall des Abg. Sebastian Edathy [SPD])

Was wir heute tun, dient nicht nur den hier geborenen Kindern, sondern auch unserem nationalen Interesse. Was wir jetzt unterlassen, rächt sich in Zukunft als soziale Verwerfung.

(...) Der Staat macht ein weitreichendes Integrationsangebot. Er verlangt aber auch bewußt eine aktive Integrationsentscheidung.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Stimmt nicht!)

(...) Diese Kinder sollen von Anfang an wissen, daß sie dazugehören und Teil unserer Gesellschaft sind. Sie sollen nicht mit dem Bewußtsein aufwachsen, Ausländer zu sein. Diese Kinder sprechen Deutsch als Heimatsprache. Sie gewinnen in den Schulklassen die Vorlesewettbewerbe.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wo denn?)

Sie können die Sprache ihrer Eltern allenfalls noch mit einem deutschen Akzent. Es macht keinen Sinn, diese Kinder erst künstlich von ihren Altersgenossen abzugrenzen, um sie anschließend mit großem Aufwand und ungewissen Erfolgsaussichten wieder integrieren zu müssen.

(...) Es ist unzulässig, gewissermaßen fahrlässig, ich finde, sogar grob fahrlässig,

(Zuruf von der SPD: Vorsätzlich!)

wenn Sie den Eindruck erwecken, die in Deutschland geborenen ausländischen Kinder seien lauter kleine Mehmets. Als ob es darum ginge! Es sollen doch nicht Herr Öcalan eingebürgert werden oder Mehmets nicht mehr abgeschoben werden können. Das Entscheidende ist, daß wir durch eine Integrationspolitik dafür sorgen müssen, daß sich die Kinder nicht fanatisieren lassen, nicht fundamentalistischen Strömungen anschließen und nicht in Ghettos in den Städten zusammenschließen. Wer die Ghettoisierung in den Städten verhindern will, der muß die Ghettoisierung in den Köpfen der hier geborenen Kinder verhindern.

(Beifall bei der F.D.P., der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Widerspruch bei der CDU/CSU)

(...) Was wir heute unterlassen, das werden wir in wenigen Jahren mit Zins und Zinseszins zurückzahlen. Deshalb ist die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts mit dem Ziel einer besseren Integration der Kinder ausländischer Eltern eine nationale Aufgabe ersten Ranges.

(...) Wer 30 Jahre in Deutschland gelebt hat, der kennt dieses Land gut genug, um sich entscheiden zu können, ob er Deutscher sein will oder nicht. Aber bei den hier geborenen Kindern nehmen wir die Mehrstaatigkeit für eine gewisse Zeit in Kauf, weil sie eben als Minderjährige nicht selbst entscheiden können.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das Elternrecht spielt keine Rolle!)

Deswegen möchten wir, daß diese Kinder sich erst als junge Erwachsene, nach Erreichen der Volljährigkeit, zwischen der Staatsangehörigkeit der Eltern und unserer deutschen Staatsangehörigkeit entscheiden müssen.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: An den Eltern vorbei wollen Sie das machen!)

(...) Es gibt keine verfassungsrechtlich ernstzunehmenden Bedenken gegen das Optionsmodell. (...)

Ulla Jelpke (PDS): (...) Herr Zeitlmann, wer im Niveau so weit heruntergeht, wie Sie, aber auch Ihre Partei es heute wieder mit der Parole getan haben, daß der Doppelpaß dazu führe, daß Kriminelle leichter eingebürgert werden können, wer sich dazu hinreißen läßt, diese Kampagne mit der Parole zu führen, daß die Gefahren durch ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht bzw. den Doppelpaß größer seien als in den siebziger Jahren die Gefahr durch die RAF, wer Angstmache betreibt mit der Parole, daß Menschen ausländischer Herkunft dann auch das Wahlrecht haben und das Ausland die Interessen der Deutschen beeinflussen könnte, wer den Familiennachzug prophezeit und damit Angst erzeugen will, der arbeitet Rechtsextremisten ganz offensichtlich in die Arme, der fördert ein Bewußtsein, das Ausländerfeindlichkeit und Rassismus schürt und den rassistischen Mob, wie wir gesehen haben, auf die Straße bringt.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die Kampagne der CDU/CSU ist in der Tat, wie wir eben auch von Herrn Westerwelle gehört haben, politisch motiviert. Man kann der CDU/CSU nicht ernsthaft abnehmen, daß sie die Integration will, wie sie es in Teilen ihrer Anträge wieder zum Ausdruck gebracht hat. Sie knüpft vielmehr ganz gezielt und bewußt an der Unsicherheit, an dem Unwissen der Menschen an, um demagogisch gegen ein Recht der Menschen einzutreten, die hier seit Jahren leben und die eigentlich längst die gleichen Rechte haben müßten wie wir Deutschen.

(...) Ich möchte daran erinnern, daß gerade die SPD und die Grünen es versäumt haben, der Kampagne der Unionspartein massiv etwas entgegenzusetzen. Sie sind meines Erachtens sehr schnell eingeknickt. Sie haben ihren Entwurf nach der Hessenwahl sehr schnell zurückgezogen. (...)

Diese Debatte muß geführt werden und darf nicht vernachlässigt werden. Denn nur so ist meiner Meinung nach ein wirklich gleichberechtigtes Leben in diesem Land möglich, ist der Kampf gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zu führen und tatsächlich ein Stück Frieden in dieses Land einzubringen. Ich danken Ihnen.

Sebastian Edathy (SPD): (...) Die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch die Hinzufügung des Grundsatzes, daß, wer hier geboren wird und aufwächst, die deutsche Staatsbürgerschaft mit der Geburt erhält, wird eine historische Entscheidung sein, die zeitgemäß ist und die wir dringend brauchen. Es ist höchste Zeit, daß wir die Grundlage für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft und damit für die Erlangung demokratischer Teilhabechancen in unserer Gesellschaft verbreitern. (...)

Wenn Sie gleichwohl an einer solch offenkundig gegenstandslosen Unterschriftensammlung festhalten, dann offenbaren Sie damit, daß es Ihnen entgegen allen Beteuerungen nicht um die Sache oder sogar um Integration und Toleranz geht, wie es in Ihrem Antrag heißt, sondern um wahlstrategische Interessen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU])

Herr Kollege Zeitlmann – Sie schreien gerade dazwischen –, Sie haben zu Beginn dieses Jahres ein Papier erstellt, in dem es unter anderem heißt – ich zitiere –: Die rotgrünen Pläne zum Staatsbürgerschaftsrecht bereiten den Nährboden für Volksverhetzung.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Herr Kollege Zeitlmann, nach der Lektüre dieses Satzes – das war im Januar dieses Jahres – bin ich eigentlich nicht davon ausgegangen, daß das, was Sie hier formuliert haben, eine Art Selbstaufforderung an die Union sein sollte.

(...) Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten für das Linsengericht eines vermeintlichen parteipolitischen Vorteils einen Konsens aufgekündigt, der darin bestand, zum Beispiel ein so komplexes Thema wie die Fortentwicklung des Staatsbürgerschaftsrechts angemessen und mit der nötigen Sorgfalt und Sensibilität zu behandeln.(...)

Dann haben Sie die Menschen, nachdem Sie deren Ängste geweckt und instrumentalisiert haben, mit ihren Ängsten allein gelassen. Damit haben Sie dem inneren Frieden dieses Landes und dem gesellschaftlichen Klima bewußt und willentlich Schaden zugefügt.

Das ist nach meinem Dafürhalten einer demokratischen Partei völlig unwürdig.

(...) Stellen Sie hier und heute klar, daß Ihre Unterschriftenaktion sofort beendet wird!

Dr. Thomas Schäuble, Minister (Baden Württemberg): (...) Der wesentliche Punkt meines Vorwurfes ist: Rotgrün will nach wie vor die Bevölkerung täuschen, wenn Sie sagen, Sie seien zu einem Kompromiß – welcher Art auch immer und warum auch immer – bereit. Das stimmt nicht. Denn daß Sie andere Absichten haben, wird daran deutlich, daß schon heute ganz unverhohlen gesagt wird, der jetzige Kompromiß sei natürlich nicht der letzte Schritt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Noch wichtiger ist für mich persönlich die Tatsache – darin kommt die von Rotgrün beabsichtigte Tarnung, die Täuschung noch deutlicher zum Ausdruck,

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Na, na, na!)

daß Sie wissen müßten: Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf, dieses Optionsmodell, wird eben nicht nur zu einer zeitlich beschränkten, sondern zu einer dauerhaften doppelten Staatsangehörigkeit führen. Das ist der Kern meines Vorwurfs.

(...) Es glaubt wohl niemand, man könne Hunderttausenden von jungen Menschen nach mehr als 20 Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit wegnehmen, wenn sie nicht auf ihre ererbte verzichten. (...) Ich gehe davon aus: Dies alles ist nicht nur uns bekannt; das ist auch Ihnen bestens bekannt. Daher mein harter Vorwurf: Es geht Ihnen nicht um einen Kompromiß; vielmehr wollen Sie die besorgte Bevölkerung mit einem Placebo beruhigen. Das ist die Wahrheit.

Dabei setzen Sie darauf, daß die Folgen, nämlich die dauerhafte doppelte Staatsangehörigkeit, erst in vielen Jahren – frühestens in 13 Jahren, bei denjenigen, die erst noch geboren werden, frühestens in 23 Jahren – sichtbar werden und daß sich nach so langer Zeit niemand mehr gegen die bekannte normative Kraft des Faktischen wehren kann. (...)

Wir brauchen bessere Möglichkeiten, um ausländische Straftäter leichter auszuweisen und abzuschieben. Das ist ein Grundanliegen der überwältigenden Mehrheit unserer Bevölkerung. Das liegt auch im Interesse der überragenden Mehrheit der anständigen Ausländer.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind jedenfalls kein anständiger Inländer!)

Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (...) Ich begrüße es ausdrücklich, daß wir dieses sensible Thema heute morgen in dieses Haus zurückgeholt haben. Das Thema Ausländereinbürgerung gehört nicht auf die Straße. Auch wenn Sie hier heute noch einmal betont haben, die Unterschriftenaktion weiterführen zu wollen, möchte ich an Sie appellieren, ja ich möchte Sie sogar wegen des Friedens im Lande bitten: Stellen Sie diese Unterschriftenaktion ein!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage das nicht deswegen, weil uns die Unterschriftenaktion parteipolitisch geschadet hätte, sondern weil wir wissen, daß auf dem Boden von Verunsicherung, von Verängstigung, auch von Ablehnung gegenüber den Fremden und dem Fremden Stimmungen entstehen und Geister aus der Flasche geraten, die wieder einzufangen wir alle uns gemeinsam bemühen müssen. (...)

Die eigentliche Differenz zwischen der alten und der neuen Regierung besteht in der Tatsache, daß sich die neue Regierung der Realität stellt und sagt: Deutschland ist zu einem Einwanderungsland geworden; dementsprechend werden wir die Gesetze gestalten.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: "Einwanderungsland" müssen Sie immer wieder sagen! Das ist ganz wichtig!)

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich das kulturelle Gesicht dieses Landes tatsächlich verändert hat: Es ist unser Land, in dem Sabrina Setlur als "Beste nationale Künstlerin" geehrt wird; es ist unser Land, in dem die Top-Nachrichten von Yasemin Kalkan im "Bericht aus Bonn" präsentiert werden; es ist unser Land, in dem ein junger Mann mit dem urdeutschen Namen Yueshi Lai beim Landeswettbewerb "Jugend forscht in NRW" einen ersten Preis erringt; es ist unser Land, in dem die deutsche Goldhoffnung bei den Taekwondo-Weltmeisterschaften Fadime Karatas heißt. (...)

Christine Lambrecht (SPD): (...) An der Schwelle zum 21. Jahrhundert wird nach 86 Jahren das alte wilhelminische Staatsbürgerschaftsrecht mit seiner völkischen Philosophie des deutschen Blutes durchbrochen.

Zum erstenmal tritt das in den meisten Staaten der Europäischen Union und in den meisten demokratischen Ländern der Welt gültige Ius soli, das Territorialprinzip, an seine Seite. (...) Ich sehe darin ebenso wie Peter Struck einen Einstieg, einen ersten Schritt zu einer grundlegenderen Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die in Zukunft unumgänglich sein wird. Wir werden weiterhin um eine gesellschaftliche Mehrheit für eine grundlegendere Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts werben. (...)

Die Union geht nach rechts. Die CDU/CSU hat beschlossen, die umstrittene Unterschriftenaktion fortzuführen. (...) Meine Damen und Herren, Sie polemisieren mit dieser Unterschriftenaktion weiterhin gegen eine generelle Hinnahme der sogenannten doppelten Staatsbürgerschaft, und das, obwohl das in dem vorliegenden Gesetzentwurf überhaupt nicht mehr enthalten ist. (...)

Sie stehen damit in der übelsten und unseligsten Tradition der deutschen Rechten in diesem Jahrhundert. Sofort nach dem Start der Unterschriftenaktion haben die Republikaner, die DVU und die NPD lauthals Beifall geklatscht und angekündigt, Ihnen inhaltlich und organisatorisch unter die Arme zu greifen. Ich würde mich für diesen Zuspruch und solche politischen Bündnispartner schämen.

(...) Die Väter und Mütter der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland haben eine demokratische und freiheitliche Gesetzgebung geschaffen, in der Taten wie Volksverhetzung unter Strafe gestellt wurden. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß maßgebliche Teile der CDU/CSU im Begriff sind, diesen Konsens zu verlassen. Man ist heutzutage in der CSU stolz darauf, wenn DVU-Chef Frey erklärt, seine Partei werde nicht zu den bayerischen Landtagswahlen antreten, weil die CSU alle Voraussetzungen einer Rechtspartei in seinem Sinne erfülle. Die CDU/CSU hat die Orientierung an der Mitte aufgegeben. Die Union geht nach rechts!

Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU): (...) Sie sollten nur an einer Stelle etwas vorsichtig sein: wenn Sie über rechtsradikale Parteien diskutieren. Sonst fällt mir ein, daß die von Ihnen zitierte DVU anläßlich der Niedersachsenwahl im vergangenen Jahr aufgerufen hat, Gerhard Schröder zu wählen. (...)

Frau Kollegin Beck, es ist schön, daß dieses Land so vielfältig ist. Aber man muß auch darauf achten, daß ein solches Land zusammenbleibt, daß es ausländerfreundlich bleibt. Da haben Sie nun wirklich einen Fehler gemacht. Nicht wir haben das Thema Doppelpaß auf die Tagesordnung gesetzt, sondern Sie glaubten vor der Hessen-Wahl, Sie könnten Stimmen gewinnen, wenn Sie das Thema ansprechen. Aber Sie haben sich geirrt, und es wird Zeit, daß Sie zur Kenntnis nehmen, was in dieser Frage die Mehrheit in diesem Land will.

(...) Integration durch einen Paß – das ist der ideologische Glaube an die Macht bürokratischer Entscheidungen. (...)

Otto Schily, Bundesminister des Innern: (...) Daß Modernisierungsbedarf hinsichtlich des Staatsangehörigkeitsrechtes besteht, wird von allen Seiten des Hauses anerkannt. (...) Leider muß ich auch aus der heutigen Debatte den Eindruck gewinnen, daß die CDU/CSU in dieser Frage zu großen Teilen nicht dialogfähig ist. Ich muß das so sagen im Hinblick auf einige Äußerungen, mit denen Sie zum Beispiel immer wieder versucht haben, das Thema Staatsangehörigkeitsrecht mit der Frage der Verfassungstreue und mit Kriminalitätserscheinungen zu verbinden. Sie wissen ganz genau, daß Sie da an bestimmte Emotionen rühren, die diese Debatte verdunkeln können. Lassen Sie sich einmal von kirchlichen Kreisen sagen, daß man mit diesem Thema so nicht umgehen darf.

Jeder Mensch kommt unschuldig auf die Welt, nicht als Fanatiker, nicht als Verbrecher. Deshalb kann es einem deutschen Kind deutscher Eltern geschehen, daß es leider zu einem Verbrecher wird. Es kann einem deutschen Kind deutscher Eltern geschehen, daß es leider zu einem Fanatiker wird, wie wir zum Beispiel an den Skinheads erkennen. Wollen wir darauf so reagieren, daß wir die Jugendlichen, die diese Fehlentwicklung erfahren haben, ausbürgern? Ist das Ihre Vorstellung von Demokratie und Verfassung? (...)

Auch die in unserem Gesetzentwurf enthaltenen Einbürgerungserleichterungen sollten im Sinne einer umfassenden Integrationspolitik als Angebot zur gleichberechtigten Teilhabe an die erste Generation der bei uns lebenden Bürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft verstanden werden. Sicherlich kann ein umfassendes Integrationskonzept nicht allein auf die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts beschränkt werden. Aber die Staatsangehörigkeitsreform ist ein wesentliches Element einer umfassenden Integrationspolitik. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist sogar mehr als das: Sie ist der Kern eines umfassenden Integrationskonzeptes, weil Integration – davon bin ich fest überzeugt – nur gelingen kann, wenn den Bürgerinnen und Bürgern ausländischer Herkunft über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland ermöglicht wird.

(...) Wer im übrigen beständig den vermeintlichen Integrationswillen beteuert, aber zugleich durch fragwürdige Aktionen Ausländerfeindlichkeit schürt und damit die Spaltung der Gesellschaft vertieft sowie seinen eigenen Worten zuwiderhandelt, sie quasi dementiert, kann in dieser Debatte nicht als glaubwürdig gelten.(...)

Wer die Bedeutung des gesellschaftlichen Friedens erkannt hat, muß sich um Verständnis und Ausgleich bemühen sowie von den alten Horrorbildern verabschieden. Ich habe noch die Worte des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im Ohr, als er – leider – von der "homogenen, nicht durchraßten Gesellschaft" gesprochen hat. Manches, was heute geäußert wurde, ist ein böser Widerhall dieser schlimmen Worte. (..)

Die Auseinandersetzung um das neue Staatsangehörigkeitsrecht hat uns eine Debatte beschert, an der man vor allen Dingen eines lernen kann: Wir wissen nicht, wer zu uns gehört, oder, anders formuliert, wir wissen nicht, wer wir sind. Ich für meinen Teil habe auf beide Fragen eine einfache Antwort: Zu uns gehört, wer die Verfassung und deren Grundwerte achtet und unsere Gesetze einhält. Zu uns gehört, wer sprachfähig ist. Zu uns gehört, wer sich mit dem gesellschaftlichen Leben in Deutschland auf seine eigene Weise ohne Leitkultur verbinden will. Wer wir sind, erkennen wir an der Würde jedes einzelnen Menschen, die zu achten und zu schätzen uns durch Art. 1 des Grundgesetzes aufgegeben ist.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Bekämpfung des politischen Extremismus – Drucksache 14/295.

Manfred Grund (CDU/CSU): (...) Die Demokratie legitimiert sich letztlich aus der Identifizierung der Bürger mit dem Gemeinwesen, mit unserer Verfassungsordnung.

Wir benötigen die Bereitschaft der Bürger, an der Bewahrung dieser Ordnung mitzuwirken. Dabei hat der Staat Orientierungshilfen zu leisten. Doch nicht nur der Staat allein ist zur Orientierung, zur Sinnstiftung aufgerufen. Es ist notwendig, daß sich Kirchen, Verbände und Gewerkschaften an dieser Diskussion beteiligen und daß Jugendlichen und Heranwachsenden insbesondere an den Schulen Werte vermittelt werden.

In einer freien und offenen Gesellschaft wie der, in der wir leben, müssen politischen Extremen Werte wie Toleranz, Kreativität und konstruktive Leistungsbereitschaft entgegengestellt werden. Wenn über politischen Extremismus diskutiert wird, dann fängt die Sprachverwirrung bereits mit der Bezeichnung und mit der Abgrenzung an. Wo ist die Trennlinie zwischen "extrem", "extremistisch" und "radikal"? Allzuoft und allzu leichtfertig wird die Bezeichnung "politisch extrem" als Kampfbegriff verwandt, und sie dient einer politischen Etikettierung.

(...) Uns bleibt die Erkenntnis: Extremismus ist nur aus der Mitte der Gesellschaft heraus zu bekämpfen. Die politische Mitte muß zu den Rändern hin integrieren, sie darf aber nie mit Extremen paktieren. (...)

Eine herausragende Bedeutung behält die Partei des Demokratischen Sozialismus. Ihr Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie bleibt weiterhin unbestimmt und zweideutig. Nach wie vor hält die PDS den außerparlamentarischen Kampf für entscheidend.

(Zurufe von der PDS)

Es bleibt festzuhalten: Die Bekämpfung des Extremismus hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn der Staat bereit ist, Extremisten und Gewalttätern von links und rechts gleichermaßen entschlossen entgegenzutreten. Unsere Mitglieder dürfen sich nicht auf die Ränge einer "Zuschauerdemokratie" zurückziehen. Der mündige Bürger und die aktive Bürgergesellschaft müssen Extreme und Extremisten in die Schranken weisen. Dazu wollen wir von der CDU/CSU mit diesem Antrag einen Beitrag leisten.

Ute Vogt (SPD): (...) Sie haben nur die Gelegenheit genutzt, sich über allgemeine Strömungen auszulassen, die Ihnen nicht passen. Sie haben keinen Ton zu dem gesagt, was wir uns zueigen machen müssen, nämlich eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie gehen wir damit um, daß extremistische Strömungen unsere Demokratie bedrohen? (...)

Aber wenn die Frage angesprochen wird, wie wir die Leute beteiligen können, wie wir die Arbeit des Parlaments so gestalten können, daß die Menschen mehr teilhaben können, wäre aus meiner Sicht etwas ganz anderes notwendig, zum Beispiel zu sagen: Wir eröffnen den Menschen auch die Möglichkeit zur direkten Beteiligung. Dabei hat sich die Fraktion der CDU/CSU bisher ganz massiv zurückgehalten. Sie sammeln Unterschriften; aber Sie sind nicht bereit, die Menschen wirklich abstimmen zu lassen. Wenn man eine Grundgesetzänderung in Richtung auf die Möglichkeit eines Volksentscheides oder der direkten Mitbestimmung durchführen würde, wäre das ein Beitrag, mit dem man die Absicht umsetzen könnte: Wir wollen wirklich, daß die Menschen Demokratie mitgestalten. Jedenfalls wäre das ein größerer Beitrag, als wenn man nur davon spricht, daß die Menschen verstärkt an der Arbeit des Parlaments teilnehmen sollen, weil sie das nach der jetzigen Verfassungslage, zumindest was die direkte Parlamentsarbeit angeht, nur als Zuschauer tun können. (...)

Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (...) Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als wollten Sie mit der Vorlage dieses Antrags die Verantwortungslosigkeit Ihrer Unterschriftenkampagne und den Schaden, den Sie damit in der Gesellschaft angerichtet haben, in einem Wasserfall von Floskeln ertränken. Das wird Ihnen aber nicht gelingen; vielmehr können Sie sich die praktischen Konsequenzen nicht ersparen. Eine erste praktische Konsequenz aus der heutigen Diskussion wäre, daß diese Unterschriftenkampagne sofort definitiv eingestellt wird.

(...) Das, was Sie Extremismus von links und rechts nennen, sind zwei ganz unterschiedliche Phänomene. Ich will hier keineswegs die Begehung von Straftaten beschönigen; jede Straftat muß mit der notwendigen Konsequenz verfolgt werden. Aber es besteht schon ein Unterschied, Kollege Grund, ob sich Gewalt in erster Linie gegen Menschen richtet und sich auf Ideologien stützt, die geradezu zu Gewalt und Vernichtung herausfordern, wie es im rechtsextremen Bereich der Fall ist, oder ob es sich weitgehend um Sachbeschädigungen oder Verstöße gegen das Versammlungsrecht handelt. (...) Ich gehe davon aus, daß es in diesem Haus unbestritten ist, daß der Rechtsextremismus derzeit das gravierende Problem darstellt.

(...) Da reicht es dann nicht aus, in einem solchen Antrag mit gesetzten Worten niederzulegen, man wolle – ich zitiere erneut – "die Akzeptanz der repräsentativen Demokratie erhöhen". Da ist auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ein Bekenntnis zum Faktum der multikulturellen Gesellschaft notwendig und nicht die Fortsetzung einer diskriminierenden Unterschriftenkampagne.

(...) Wir halten im Kampf gegen Rechtsextremismus wenig von Strafverschärfung und Einschränkungen der Rechte der Bürgerinnen und Bürger, die letztlich immer einen Schritt in den autoritären Staat bedeuten. Unsere Politik zielt vielmehr darauf ab, die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu stärken und den demokratisch eingestellten Menschen Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, Zivilcourage und selbstverantwortliches Handeln zu stärken und zu unterstützen.

Nicht weniger, sondern mehr Demokratie ist der richtige Weg zur Bekämpfung des Rechtsextremismus.

Roland Claus (PDS): (...) Offenbar hat Sie bei der Abfassung des Antrages ein starkes Harmoniebedürfnis getrieben. Ich weiß zwar nicht, woher bei Ihnen dieser Hang kommt; bei uns kann ich mir das immer erklären, bei Ihnen nicht. Dennoch meine ich, die Unionsfraktion war wohl darum bemüht, partout einen Text vorzulegen, dem alle, aber auch wirklich alle im Bundestag zustimmen können. (...)

Erst ganz zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen, kam mir der Gedanke, die CDU/CSU könnte uns, die PDS, gemeint haben. Darüber habe ich lange nachgedacht. Aber auch nach längerem Grübeln fiel mir hierfür kein Anhaltspunkt ein. Auch die Rede des Kollegen Grund betrachte ich eher als Werbung für uns und nicht als einen ernsthaften Anhaltspunkt für meine letzte Vermutung.

So kam ich zu dem Schluß – dabei habe ich all meine Redlichkeit zusammengenommen –, daß die CDU/CSU diesen Antrag völlig frei von Hintergedanken und Verdächtigungen, also redlich vom Scheitel bis zur Sohle, stellt. Wenn man so will, ist dies ein Antrag wie das Schwert Karls des Großen: lang, breit, aber auch unheimlich flach.

Deshalb schlage ich vor, diesen Antrag nicht erst zu überweisen, sondern sofort über ihn abzustimmen. Bei so viel Einigkeit könnten wir uns das Recht und die Freiheit nehmen, dem Antrag zuzustimmen oder ihn abzulehnen. Das Ergebnis wäre dasselbe.

»Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Wer den politischen Extremismus wirklich bekämpfen will, muß dies in beiden Richtungen tun. Das wurde mit Recht bereits betont. Die rechtsextremen Parteien sind in Deutschland derzeit – glücklicherweise – von eifersüchtigem Konkurrenzdenken geprägt. Deswegen ist es ihnen bisher nicht gelungen, eine einheitliche Sammlungsbewegung herzustellen, obwohl knapp 50 000 Personen dieses rechtsextremistische Potential bilden.

Bei der vergangenen Bundestagswahl ist es den drei rechtsextremen Parteien, der DVU, den Republikanern und der NPD, trotz millionenschwerer Wahlkampfkonzepte, Postwurfsendungen und Plakataktionen mit extremistischen Parolen nur gelungen, 3,3 Prozent der Zweitstimmen zu erreichen. In absoluten Zahlen sind das 1,6 Millionen Stimmen.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Viel zuviel!)

Das ist noch keine ernsthafte Bedrohung für die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch - um hier einen falschen Zungenschlag zu vermeiden - werden die Verfassungsschutzbehörden diese rechtsextremen Splitterparteien auch weiterhin sehr sorgfältig zu beobachten haben.

Wir müssen diese schrecklichen Simplifikateure von rechts ebenso bekämpfen wie jene von links.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Oh!)

Wir müssen den demokratischen Grundkonsens der Gründerväter unseres Grundgesetzes wieder wachrufen. Ihnen war klar, daß es zwischen demokratischen Parteien einerseits und Extremisten andererseits Trennungslinien gibt. Der Rechtsextremist braucht den Linksextremisten und umgekehrt. Sie brauchen sich gegenseitig wie die Luft zum Atmen. (...)

Vieles deutet darauf hin, daß das Demonstrationsgeschehen in Deutschland leider radikaler und gewaltbereiter wird,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird seit 40 oder 50 Jahren erzählt!)

ausgelöst auch durch die importierten Konflikte des Ausländerextremismus. Wenn diese Prognose zutreffend ist, werden die Grenzen der Demonstrationsfreiheit klar zu ziehen sein. (...) Das linksextremistische Potential besteht derzeit aus 34 000 Personen. Davon sind 6 000 genauer zu beachten, weil sie zum anarchistischen Spektrum, zur sogenannten autonomen Szene gehören. Dieser Kreis hat durch Gewaltbereitschaft, Brandanschläge, Sachbeschädigungen bundesweit auf sich aufmerksam gemacht. In ihren Wahnvorstellungen kämpfen diese Anarchisten gegen das kapitalistische System, für eine herrschaftsfreie Gesellschaft, gegen die von ihnen so genannte Atommafia. (...)

Deswegen, Herr Ströbele, bin ich besonders empört darüber, daß auf allen drei Ebenen – Bundesebene, Landesebene und kommunale Ebene – Parlamentarier der Grünen ebenso wie der PDS klammheimlich Sympathie für diese autonome Szene haben. (...)

Hans-Werner Bertl (SPD): (...) Ist Ihnen allen wirklich klar – ich sage Ihnen, meine Herren von der CDU/CSU, das jetzt sehr ernsthaft – in welch schlechte Gesellschaft Sie in den letzten Wochen und Monaten geraten sind? Sie haben ohne Wenn und Aber um der reinen Machtsicherung willen eine unselige Diskussion in diesem Land vom Zaun gebrochen und dabei entweder nicht gemerkt – was übrigens genauso schlimm ist –, zu welcher Polarisierung Sie beigetragen haben, oder Sie haben es bewußt in Kauf genommen. Es war Ihnen auch egal, wer Sie vereinnahmt hat.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Uns hat niemand vereinnahmt!)

(...) Da bejammert Schönhuber in Nation und Europa, Ausgabe 2/99 – eine eindeutig rechtsextreme Publikation –, "daß CDU/CSU mit ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ein weiteres Mal das Bröckeln des rechten Randes anstreben".

In der JUNGEN FREIHEIT verbreitet sich in diesem Jahr Herr von Stetten, und in der Ausgabe 7/99 dieser rechtsextremen Zeitung gibt Ihr Fraktionskollege Martin Hohmann ein Interview und bekräftigt – jetzt Originalton –, daß die nationale Karte bei der Hessen-Wahl gestochen und den Sieg gebracht habe. Und weiter Originalton – es wird jetzt ganz spannend –: "Die Moralkeule sauste nieder, aber siehe, sie tat gar nicht weh." Wie recht er übrigens hat, denn er beschreibt Ihre Resistenz gegen diejenigen, die Sie gebeten haben, eine solche Aktion zu unterlassen. (...)

In der Ausgabe 4/99 der gleichen Publikation läßt sich Ihr Kollege Wolfgang Zeitlmann – wir haben ihn heute morgen hier erlebt – über "regierungsamtlichen Unsinn im Ausländerrecht" aus. Ich habe noch viel mehr Fundstellen; ich nenne sie Ihnen alle. In der Ausgabe 45 vom letzten Jahr ist sogar der Justizminister aus Sachsen zu lesen, der sich – es ging um die Diskussion von Walser und Bubis – darüber verbreitet, daß Ignatz Bubis nicht nur sich selbst, sondern auch dem Ansehen der Juden in Deutschland geschadet habe.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Ich frage mich ganz ernsthaft: Wie können Sie, wenn Sie hier einen solchen Antrag einbringen, in solchen Publikationen, die gleichzeitig in wüsten Angriffen über die ehemalige Präsidentin des Deutschen Bundestages, unsere Kollegin Frau Süssmuth, herfallen, Äußerungen verbreiten oder verbreiten lassen? Merken Sie das alles nicht? Nehmen Sie das nicht zur Kenntnis? Schauen Sie nur noch in eine Richtung?

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechts blind!)

Haben Sie einmal ins Internet gesehen, wie die Republikaner ihre Anhänger zur bedingungslosen Unterstützung Ihrer Unterschriftenaktion auffordern? (...) Der Republikaner-Chef Rolf Schlierer meint: "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung." (...)

Das ist der Grund, warum Ihr Antrag zu kurz greift. Er ist vordergründig; er ist nicht ehrlich. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Natürlich muß aus unserem Parlament Widerspruch gegen jede Form von Extremismus kommen. Dabei brauchen wir keine Rechts-Links-Diskussion.

Wir brauchen von dieser Stelle aus den Widerspruch gegen Ausgrenzung und Gewalt gegen jeden Menschen und gegen jede Minderheit. Unsere Aufgabe ist es, eine stabile und an den Menschenrechten orientierte Republik für die Menschen in unserem Land als Wert erfahrbar zu machen. Es ist dabei notwendig, auch im Parlament Klartext zu reden – vielleicht auch einmal schonungslos. (...)


 
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