© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Holocaust-Mahnmal: Ein neuer alter Vorschlag belebt die Diskussion
"Du sollst nicht morden"
Baal Müller

Die Chancen, daß sich der von Kulturminister Michael Naumann favorisierte Mahnmal-Entwurf des US-Architekten Peter Eisenman doch noch abwenden läßt, sind in den vergangenen Tagen deutlich gestiegen: Verschiedene Politiker und hochrangige Kirchenvertreter, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, der letzte Woche eine Entscheidung des Berliner Senats zur Mahnmalgestaltung mit den Stimmen der CDU verhinderte, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock und der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und sächsische Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer, haben sich am Wochenende gegen Eisenmans "Gedenkmehrzweckhalle" (FAZ) und für einen Vorschlag des SPD-Politikers Richard Schröder ausgesprochen.

Wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe meldet, werden die Eisenman-Gegner und Schröder-Befürworter neuerdings auch vom SPD-Präsidentschaftskandidaten Johannes Rau unterstützt. Der frühere Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Volkskammer, der seine Gedanken zum Holocaust-Mahnmal bereits im Januar in der Zeit veröffentlicht hatte, erläuterte sie daher am Montag noch einmal in der FAZ.

Seine wichtigsten Kritikpunkte am Eisenman-Entwurf sind folgende: Zum einen sei dieser aufgrund seiner bewußten Sprachlosigkeit zu unsachlich und dem Gegenstand unangemessen; er sei letztlich eher ein modernes, ja sogar "städtebaulich ästhetisches" Kunstwerk, "das ebensogut in Jerusalem, London oder Washington stehen könnte". Zum anderen orientiere sich Eisenmans Stelenfeld zu sehr an der Vergangenheit und den Opfern, weshalb es mit anderen Gedenkstätten konkurriere; und schließlich rege es Assoziationen von Gräberfeld und Friedhof an, die insofern unhistorisch seien, als es keinen Friedhof für die Opfer gegeben habe und heute auch keinen mehr geben könne.

Stattdessen solle das Mahnmal in die Zukunft weisen: "Nicht Friedhofersatz für die Opfer ist geboten, sondern eine Mahnung an die nachgeborenen Deutschen." Diese Mahnung sei konkret und verständlich zu formulieren; wobei der Theologe Schröder besonders an das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten" denkt – allerdings in der präziseren Übersetzung Martin Bubers: "Du sollst nicht morden". Ein solcher Rekurs auf den Dekalog, der für Juden, Christen und für jeden vernünftigen Agnostiker oder Atheisten verbindlich sei, unterstreiche den jüdischen Anteil an der abendländischen Kultur und habe den Vorteil der Deutlichkeit und Gültigkeit. Der immer noch nicht abgeschlossene Wettbewerb sei daher neu auszuschreiben und im Hinblick auf das fünfte Gebot zu konkretisieren.

Die Geltung des Gebotes auch in Zeiten allgemeiner weltanschaulicher Relativität (das durch die Formulierung "morden" statt "töten" auch Diskussionen um ein Tötungsrecht in bestimmten Situationen abweist) macht Schröders Vorschlag neben Eisenmans Riesenlegoland in der Tat zu dem kleineren Übel. Der Pseudo-Avantgardismus des amerikanischen Forschungs- und Gedenkbausatzes ist dagegen in seiner Beliebigkeit weder Fisch noch Fleisch. Ursprünglich allein als monumentales Stelenfeld geplant, wurde der Entwurf eines spätpostmodernen Stonehenge auf Betreiben Naumanns nachgebessert und um eine Bibliothek und Dokumentationsstätte ergänzt. Zahlreiche Kritiker waren jedoch mit seiner willkürlichen Verbindung verschiedenster Funktionen sowie der ungeheuren und hybriden, jedes vertretbare räumliche und finanzielle Maß sprengenden Gigantomanie unzufrieden. Außerdem wurden rechtliche Bedenken erhoben, weil Eisenman nach seinen Gesprächen mit Naumann bereits als Gewinner gehandelt wurde, obwohl der Wettbewerb noch gar nicht offiziell entschieden ist, und nicht zuletzt auch, weil die Kosten seines Entwurfes die in der Ausschreibung des Wettbewerbs maximal vorgesehenen 15 Millionen DM um mindestens das Zehnfache übersteigen. Insofern ist Schröders Forderung berechtigt, daß der Wettbewerb neu und unter eindeutigen und verbindlichen Bedinungen ausgeschrieben werden müsse – wenn man denn der Meinung ist, daß wir ein solches Mahnmal benötigen.

Zudem ist noch ein anderer Aspekt von Schröders Neufassung bemerkenswert: "Dieser Vorschlag hebt die jüdischen Opfer hervor, ohne andere auszuschließen" – denn die für Juden, Christen und im Grunde alle Völker gültige Weisung "Du sollst nicht morden" soll das Mahnmal in den Sprachen aller Opfer des Nationalsozialismus formulieren. Wenn aber wirklich aller Opfer gedacht und nicht nur ein riesiges Antifa-Monument der politisch Korrekten errichtet werden soll, dann stellt sich die Frage, warum die weltweit viel größere Zahl der Opfer des Kommunismus wieder einmal ausgeblendet wird. Nationaler und internationaler Sozialismus mit ihren jeweiligen Ausprägungen in ihren europäischen Schwerpunktstaaten waren beide gleichermaßen die totalitären Geißeln des 20. Jahrhunderts; ein ernstgemeintes Mahnmal hätte dies zu berücksichtigen, wenn es wirklich identifikatorisch wirken und nicht nur als moralisierendes Prestigeobjekt der politischen Klasse empfunden werden soll.

Insofern stellt Schröders Vorschlag, etwas weitergedacht, eine leichte Auflockerung der Mahnmalsdiskussion dar. Dazu paßt die jüngst vom Bund der Vertriebenen erhobene Forderung, daß auch den Opfern der Vertreibung "eine würdige und angemessene nationale Gedenkstätte" errichtet wird (JF 12/99). Auch sie, denen millionenfach Unrecht geschah, dürfen einen Anspruch auf politische Erinnerung erheben, was allerdings sehr im Gegensatz zu entsprechenden Äußerungen der rot-grünen Regierung steht.

Ein Wuchern von Gedenkstätten für Juden, deutsche Vertriebene, Sinti und Roma, Homosexuelle usw. ist freilich nicht sinnvoll: Ein integratives und wenigstens seinem Anspruch nach das ganze Volk erreichende Mahnmal sollte an alle Opfer von Diktatur, Krieg, Völkermord und Vertreibung erinnern. Mit dieser Zielsetzung wäre es auch für die Mehrheit der Menschen erträglich, die nicht zu den hauptamtlichen Gedenkrednern und Kranzabwerfern gehört und sich statt mit ewiggestriger "Vergangenheitsbewältigung" mit aktuellen Problemen beschäftigt.


 
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