© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Theater: "Die Versicherung" von Jan Müller-Wieland
Verjuxte Dialoge mit Esprit
Gerd Sauer

Das wurde auch Zeit für Jan Müller-Wieland. Lange genug hat er auf den kleinen Kammerbühnen sein Bestes gegeben. Der mit 32 Jahren schon hoch prämierte Henze-Schüler hätte schon lange auf die große Opernbühne gehört. Und da kommt er uns dann auch gleich so satirisch, wie es bei ihm schon einige Male erfolgsversprechend der Fall war. Wedekinds "Kammersänger" hat er mit den witzigsten Nuancen komisch inbrünstiger Musik vertont, und nun geht’s bei ihm noch einmal mitten hinein ins prall absurde Leben. Dafür nimmt er sich Peter Weiss als Kronzeugen. Der hat noch nichts von Beckett gewußt und dennoch fast schon im Sinne des Meisters gedichtet. "Die Versicherung" brachte er 1952 in Schweden heraus, wohin er 1939 übersiedelt war. Den Theatern in Schweden war das Stück zu fremd; erst Jahre später kam es zur Uraufführung. Noch im Exil in Schweden hatte Weiss paramilitärische Zwangsvorstellungen karikiert. Auch in der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Tyrannen Oberwasser. Ein Polizeipräsident läßt sich in seiner Eigenschaft als "Hausbesitzer und Bürger" gegen Unbill von draußen versichern. Dafür gibt er ein großes Fest, aber nichts da mit der Friedlichkeit, die Gäste haben sich in der Folge in "Doktor Kübels Privatklinik" mit allerlei Zivilisationskrankheiten herumzuschlagen.

Die Frau des Polizeipräsidenten wird von Kübels wahnwitzig durch die Gegend trampelnden Sohn entführt. Den Familienhund rafft‘s bald dahin, und zum Schluß werden gar noch Polizeipräsident und Kübel an den Verhältnissen kirre. Der erste versteht gar nichts mehr und letzteren erkennen die übrigen Polizeigewalten nicht wieder. Die Welt wendet sich neuen Autoritäten zu, denn draußen herrscht Revolution.

Soweit so vielfältig. Peter Weiss läßt wenig groteske Situationen außer Acht, aber geht in seiner Absurdität mitunter einen Schritt zu weit. Die Situation steht im luftleeren Raum, die Länge des Stückes läßt zudem manchen Gag verpuffen. Und auch Müller-Wielands Komposition tut sich da am schwersten, wo die Handlung nicht weitergehen will. Kammermusikalische Feinheiten setzt er da ein, wo die verjuxten Dialoge merklich Esprit verströmen. Er bringt einen Samba, Tangos und Gassenlied, dann wieder zitiert er Deutschland- und DDR-Hymne. Und zum Schluß darf gar noch die entführte Frau des Polizeipräsidenten aus der Mülltonne eine kleine Reminiszenz an Tosca erweisen.

Das Blech bekommt bei Müller-Wieland viel zu tun, und das Darmstädter Orchester unter Franz Brochhagen wirft sich auch bravourös in die Schlacht in das nur in Teilen geglückte Werk. Über Strecken verströmt die Partitur dieselbe Ratlosigkeit wie die Weiss-Vorlage, und dann sind musikalische Wiederholungen oft nötig. Jonathan Moore läßt in seiner Inszenierung standesgemäß Pathos verbreiten. Jede Figur ist von ihrer eigenen Wichtigkeit sichtbar überzeugt und offeriert auch im absurden Umfeld große Gefühle.

Viel klinisches Weiß ist an den Wänden eingesetzt, in Conor Murphys Bühnenbild geht es in Kübels Laboratorium oder zu Hause beim Polizeipräsidenten durchaus naturalistisch zu. Einzig kleine Versatzstücke gemahnen ans Unwirkliche. Kübel (ein tragikomischer Heißsporn: Hans-Joachim Porcher) ist merkwürdigerweise zur Nachtruhe unter Tassen gebettet. Die Sänger agieren mit Lust: Hubert Bischof als stimmstarker Polizeipräsident, Doris Brüggemann als von der Libido übermannte Gemahlin. Und Hans Christoph Begemann zeigt als furios und glänzend intonierend über die Bühne strampelnder Leo, daß man auch als beschränktes Weichei zwischen starken Männern Erfolg haben kann.

Demnächst wird Müller-Wieland sich wieder von einer etwas ruhigeren Seite zeigen. In der Wiener Kammeroper steht im Januar 2000 seine Oper "Das Märchen der 672. Nacht" auf dem Programm. Und dafür, daß es da nicht so hektisch zugeht, wird auch seine Gattin Birgit Müller-Wieland sorgen, die nach dieser leisen Hofmannsthal-Novelle das Libretto erarbeitet.


 
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