© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Helma Brunck: Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus
Aus dem Dornröschenschlaf erweckt
Christian Uebach

Einen "unideologischen, aber sachlich tragfähigen Beitrag zum Wiederaufbau" wollte die Deutsche Burschenschaft nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland leisten. Sie stand, Helma Brunck zufolge, im November 1918 der sich konstituierenden Republik aufgeschlossen gegenüber. Mit ihrem jüngst veröffentlichten Werk "Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus", mit welchem Brunck im Jahr 1996 promovierte, legt die Historikerin die erste wirkliche Gesamtdarstellung der Entwicklung des Dachverbands der Deutschen Burschenschaft (D.B.) zwischen den Jahren 1919 bis 1935 vor.

Der Zusammenbruch der Monarchie im November 1918 und die ins Wanken geratende bürgerliche Weltordnung riefen, so führt Helma Brunck in das Thema ein, bei vielen Korporierten eine Stimmung der Entwurzelung und der Desorientierung hervor. Das betraf vor allem die elitär und ständisch orientierten Corps. Die Burschenschaften ihrerseits wurden mit dem Ende des Ersten Weltkriegs aus einer Art politischem Dornröschenschlaf erweckt, in den sie während der Kaiserzeit gefallen waren. Durch den Wandlungsprozeß der politischen Ordnung Deutschlands sah sich ein Großteil der Burschenschafter berufen, an ihre Tradition des 19. Jahrhunderts anknüpfend die politischen Verhältnisse mitzugestalten.

Die Aufgeschlossenheit der Burschenschafter gegenüber dem neuen Staat gründete, so Bruncks These, in der Hoffnung, daß die deutsche Nationalversammlung eine Abkehr vom kleindeutschen Gedanken des Kaiserreiches mit sich brächte. Zum Ausdruck gebracht wurde dieser Wunsch durch die Verschmelzung der Deutschen Burschenschaft mit dem Rüdesheimer Verband Deutscher Burschenschaften und der Burschenschaft der Ostmark, dem österreichischen Dachverband, im Jahr 1919. Die dann tatsächlich erfolgende Abwendung eines Großteils der Burschenschafter von der Weimarer Republik sieht Brunck als Folge der Unterzeichnung der Verträge von Versailles und St. Germain, in denen der österreichischen Nationalversammlung ein Anschluß "Deutsch-Österreichs" und des Sudetenlands an das Reich untersagt wurde.

Das nun wiedererwachte politische Engagement unter den Mitgliedsbünden der D.B. äußerte sich zu Beginn der 20er Jahre durch vermehrtes Engagement in studentischen Selbstverwaltungsorganen, durch verstärktes Bemühen um eine allgemein-politische Bildung der Mitglieder sowie in der Grenzlandarbeit. Letztere gestaltete sich durch Reisekontakte einzelner Bünde zu Auslandsdeutschen, zum Beispiel im Sudetenland oder in Westpreußen, wobei, nach Meinung der Autorin, dieser Grenzlandarbeit kein durchschlagender Erfolg oder wesentlicher politischer Einfluß beizumessen war. Wirksamer waren hingegen die Bemühungen Deutscher Burschenschafter, deutsche Universitäten in vom Reich abgetrennten Gebieten vor "Überfremdung" zu bewahren. So konnte zum Beispiel durch das Abhalten von Tagungen und öffentlichen Kundgebungen in Danzig die "Polonisierung" der Danziger Universität abgewendet werden. Im politischen Profil der Deutschen Burschenschaft gegenüber der Unsicherheit vermittelnden Weimarer Republik sieht Brunck den Hauptgrund für das Erstarken der D.B. zum größten deutschen Korporationsdachverband während der 20er Jahre.

Unter Rückgriff auf die Tradition des Wehrhaftigkeitsgedankens Johann Friedrich Jahns schildert Brunck die Aufnahme von wehrsportlichen Maßnahmen in der D.B. als Ersatz für die abgeschaffte Wehrpflicht. Im Verlauf der 20er Jahre wurde der Erfolg des Wehrsports in Wettkämpfen auf Verbandsebene gemessen. Der Wehrhaftigkeitsgedanke gipfelte in der sogenannten "Wehrhaftmachung", die ab 1927 auf Verbandsebene diskutiert wurde und auf dem Burschentag 1930 zur Gründung des dachverbandseigenen "Wehramtes" führte. Dieses Amt organisierte unter anderem Wehrausbildungslager für die Mitgliedsbünde und unterhielt eigene Segel- und Motorflugschulen.

Die Ausbreitung des völkischen Gedankens unter den Mitgliedern der D.B. in den 20er Jahren sieht Brunck ebenfalls in der Tradition der Urburschenschaft gründend. In diesem Zusammenhang erläutert sie die Vorstellungen Johann Friedrich Jahns und Ernst Moritz Arndts, die im Volk eine Gemeinschaft sahen, die sich unabhängig von staatlichen Grenzen auf gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache begründet. Das völkische Denken vieler Burschenschafter in den 20er Jahre wurzelte, nach Brunck, im nicht erfüllten Wunsch nach staatlicher Einheit aller Volksdeutschen und der "Bloßstellung nationaler Macht" durch die Friedensverträge. Das völkische Gedankengut wurde, so die Autorin, von Burschenschaftern hochstilisiert, fand aber auch Anklang bei den Mitgliedern anderer Korporationsverbände, so zum Beispiel dem Verein Deutscher Studenten (VDSt) oder dem Kösener Corps (KSCV).

Das Verhältnis der Burschenschaft zum Nationalsozialismus beleuchtet Helma Brunck sehr differenziert. Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) erfuhr ab 1927 unter seinem stellvertretenden Geschäftsführer Hans Glauning einen "radikalen Aufwind". Glauning war Burschenschafter, und er sah zahlreiche Berührungspunkte zwischen dem NSDStB und der burschenschaftlichen Bewegung, so zum Beispiel im völkischen Gedankengut oder im Bestreben, gesellschaftliche Standesschranken abzubauen. Vielen jungen Burschenschaftern imponierten die kämpferischen Aktivitäten des NSDStB, und das NS-Studententum gewann zunehmend an Einfluß auf die Verbindungen. Schon früh wurden in der D.B. jedoch auch Bedenken gegenüber dem totalitären Charakter des Nationalsozialismus geäußert, vornehmlich von Seiten der Altherrenschaft. Dennoch weist Brunck anhand von Burschentagsbeschlüssen vom Ende der 20er Jahre die wachsende Orientierung der D.B. hin zur NS-Ideologie nach. Dies äußerte sich zum Beispiel durch die Aufnahme des Prinzips der Persönlichkeitserziehung zum Führer in die Satzung des Verbands.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten war für viele junge Burschenschafter mit großen Hoffnungen auf die staatliche Verwirklichung burschenschaftlicher Ziele der Weimarer Zeit, wie zum Beispiel der sozialen Volksgemeinschaft, verbunden. Die D.B. bekannte sich 1933, wie auch andere Korporationsverbände, zu Adolf Hitler. Auf dem Burschentag im Juni dieses Jahres wurde das Demokratieprinzip zugunsten des Führerprinzips abgeschafft. Führer der D.B. wurde der überzeugte Nationalsozialist Otto Schwab. Dieser wollte zwar an den Grundsätzen der Burschenschaften nicht rütteln, sie aber dem NS-Staat anpassen, worin er die einzige Chance der Bestandssicherung des Verbands unter dem neuen Regime sah. Helma Brunck bewertet die Einführung des Führerprinzips in der D.B. als Auslieferung des Verbands an die NS-Willkür.

Einwände aus den Reihen der Alten Herren konnten nicht verhindern, das Schwab per "Führerbrief" zum Wintersemester 33/34 die Umgestaltung des Verbindungslebens hin zur Kasernierung der Aktiven und zur Einführung des Führerprinzips anordnete. Bei vielen Burschenschaften riefen diese Maßnahmen sowie die Einschränkung der Freiheit der Lehre durch den NSDStB an den Hochschulen Widerstand gegenüber der nationalsozialistisch orientierten D.B.-Führung Otto Schwabs hervor. Zahlreiche Bünde spalteten sich von der D.B. ab und bildeten einen eigenen Dachverband, der sich ab 1935 "Alte Burschenschaft" nannte. Dem Gleichschaltungsdruck der Nationalsozialisten konnte die D.B. nicht standhalten. Im Oktober 1935 wurde sie aufgelöst und die Mitgliedsverbindungen als Kameradschaften dem NSDStB untergeordnet.

Problematisch erscheint an der Ausarbeitung Helma Bruncks die Tatsache, daß sie zwar zu Beginn des Buchs auf die traditionell verschiedenen Grundhaltungen der einzelnen Mitgliedsbünde der D.B. hinweist, bei ihrer Synthesenbildung jedoch oftmals Haltungen einzelner Bünde im Hinblick auf die gesamte Burschenschaft verallgemeinert. Der Autorin gelingt es andererseits jedoch hervorragend, die Verbandsgeschichte durchweg in den Zusammenhang der allgemeinen Geschichte einzuordnen. Durch den permanenten Rückgriff auf die Entwicklung der burschenschaftlichen Weltanschauungen seit 1815 verleiht sie ihrer Arbeit ferner "eine tiefe Perspektive und ein besonderes Profil", wie es Winfried Baumgart in seinem Vorwort formuliert. Die wissenschaftlich-objektive Motivation, die in Bruncks Arbeit zu erkennen ist, läßt die äußerst lesenswerte Studie ferner aus der Flut der Tendenzschriften diffamierender Absicht zum Thema Korporationen hervorstechen.

 

Helma Brunck: Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Universitas, München 1999, 360 Seiten, 68 Mark


 
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