© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Otto von Habsburg: Die paneuropäische Idee. Eine Vision wird Wirklichkeit
Überschäumender Optimismus
Baal Müller

Angesichts der jüngsten Skandale der Brüsseler Eurokratie wirkt der Titel des neuen Buches von Otto von Habsburg reichlich optimistisch. "Ideen" und "Visionen" haben zudem oft einen etwas hohlen Klang, denn allzu häufig hat man diese Worte schon aus dem Munde von Politikern vernommen, denen es an Ideen gewöhnlich mangelt. Bei Otto von Habsburg ist dies freilich anders: Er hat eine ganze Reihe neuer und interessanter Ideen zu bieten, kein "abgeschlossenes Programm", sondern "Denkanstöße", die dem Leser mitteilen wollen, daß es Chancen für ein starkes Europa jenseits des bloßen Wirtschaftsraumes Euroland gibt. Die größte Stärke Europas sieht Otto von Habsburg nicht in der ökonomischen Macht, mit der wir die USA bereits "eingeholt, ja vielfach überholt" hätten, sondern in den kulturellen, den "wirklichen Reichtümern": "Es ist klar, daß noch immer der größte Vorteil Europas seine Wissenschaft, seine Schulen, Universitäten und Forschungsinstitute sind." Bedroht seien diese Fortschrittsmotoren allerdings durch die allgewaltige Bürokratie, die mit der geistigen auch die weitere wirtschaftliche und politische Entwicklung der EU blockiere. Otto von Habsburg macht daher einige Vorschläge, wie die aktuelle, durch eine schleichende Entdemokratisierung gekennzeichnete Krise zu überwinden sei: So empfiehlt er eine Umstrukturierung des Europarates und die Verlängerung seiner Mandatsdauer, eine Abschaffung des blockierenden Vetorechts für die einzelnen nationalen Regierungen und eine stärkere Unabhängigkeit der EU-Kommission von den Regierungen der Länder. Desweiteren plädiert er für eine zügige Aufnahme der osteuropäischen Staaten in die EU, da sie kulturell zu Europa gehörten und ihren Heldenmut durch die Abschüttelung des kommunistischen Jochs bewiesen hätten; schließlich wendet er sich grundsätzlich gegen den Zentralismus, der die gewachsenen und regional verwurzelten Kulturen veröden lasse, und die Bürokratie, deren Wuchern nicht zuletzt aus der Doppelbelastung von Politikern als Mandatsträgern und Parteifunktionären resultiere. Während sich Bismarck noch für Wochen zur geistigen Sammlung auf sein Gut habe zurückziehen können, müsse ein heutiger Politiker im Flugzeug die von seinen Beamten vorgefertigten Akten überfliegen, wodurch die Bürokratie die demokratisch legitimierte Macht allmächlich usurpiere. Das Ergebnis dieser Entwicklung sei Politikverdrossenheit, Wahlenthaltung oder Sympathie für extremistische Parteien.

Vieles davon ist bekannt, und die meisten Leser werden ihm lebhaft zustimmen. Auch sind einige politische Inkorrektheiten enthalten: So sieht der Autor die Armut mancher Entwicklungsländer nicht im Kolonialismus, sondern im darauffolgenden Sozialismus begründet; auch wendet er sich gegen die einseitige Darstellung der früheren spanisch-portugiesischen Herrschaft in Südamerika, während er andererseits den bis in die Gegenwart andauernden Rassismus in Nordamerika moniert. Außerdem kritisiert Otto von Habsburg den bei uns herrschenden Diskurs, der homosexuelle Paare als Opfer angeblicher sexueller Repression betrachtet und dabei verschweige, daß sie, da sie kein Kind erziehen müßten und doppelt verdienten, finanziell besser gestellt seien als normale Familien. Letztere bezeichnet er sehr bewußt als "normal", um angesichts der demographischen Entwicklung gesellschaftlich sinnvolles Verhalten vom Hedonismus derjenigen zu unterscheiden, "die nur die Lust, aber keine Kinder wollen". Hier könnte zwar einiges über den Hedonismus auch vieler sexuell "normal" Entwickelter oder über die Leistungen Homosexueller auf anderen Gebieten gesagt werden; grundsätzlich aber ist Otto von Habsburgs Mut zu unpopulären Differenzierungen sehr zu loben.

Interessant sind auch seine allgemeinen Bemerkungen zur Demokratie: Er tritt zwar für ihre Belebung auf europäischer Ebene ein, hält sie aber trotzdem nicht für die in einem absoluten Sinne beste Staatsform, sondern nur für die unseren heutigen Bedürfnissen angemessenste. Die Staatsform hat für ihn nur "eine verhältnismäßig sekundäre Bedeutung"; sie ist kein "Grundsatz", sondern ein "Instrument", um Frieden, Recht und Freiheit zu gewährleisten. Dieses aber könne in unterschiedlichen Zeiten auch in unterschiedlichen Systemen geschehen. Insgesamt plädiert er unter Berufung auf Edmund Burke für "gemischte Staatsformen" mit mehreren Quellen der Autorität.

Ein wenig vom alten Reichsgedanken mit seiner föderalen und subsidiaren Struktur ist in dem Buch des 1912 geborenen Sohnes des letzten österreichischen Kaisers noch lebendig. Vielleicht sieht er manches etwas zu optimistisch, wenn er die Chancen für eine "herrliche Zukunft" beschwört oder gar einen neuen Stil, vor allem im Osten, heraufziehen sieht; vielleicht vereinfacht er anderes zu sehr, wenn er mit Dostojewskij sagt, daß "ohne Gott alles erlaubt" sei; vielleicht schätzt er auch die Bedrohung der europäischen Kultur durch Globalisierung und Amerikanisierung zu gering ein – dennoch gelingt es ihm, die geistige Ausgestaltung Europas anzudeuten: Wir brauchen mehr Abend- und weniger Euroland.

 

Otto von Habsburg: Die paneuropäische Idee. Eine Vision wird Wirklichkeit, Amalthea, Wien/München 1999, 240 Seiten, 34 Mark


 
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