© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/99 26. März 1999


Werner Fuld: Das Lexikon der Fälschungen. Lügen und Verschwörungen aus Kunst, Historie und Literatur
Die Menschheit will betrogen werden
Hans-Jörg von Jena

Es gibt Bücher – soll man sie Sachbücher nennen? –, die eigentlich Auflistungen gleichen. Das berühmteste unter ihnen ist vermutlich das periodisch erscheinende "Guiness-Buch der Rekorde". In Deutschland waren Anfang der achtziger Jahre, teilweise übersetzt, teilweise in Weiterführung und Nachahmung des amerikanischen Vorbilds, "Rowohlts Bunte Liste" oder "Rowohlts Indiskrete Liste der Ehen, Verhältnisse, Amouren und Affären berühmter Männer und Frauen" verbreitet. In den letzten Jahren hatten ein "Lexikon der populären Irrtümer" und auch die "Universalgeschichte der ganz gewöhnlichen Dinge" von Charles Panati buchhändlerischen Erfolg. Solche lexikalisch geordneten Sammelbände befriedigen in doppeltem Sinne die Neugier. Sie vermitteln Informationen und sie kommen einer ins Historische ausgeweiteten Klatschsucht entgegen. Meist sind sie vergnüglich zu lesen.

"Das Lexikon der Fälschungen" gehört in diese Reihe und gehört doch nicht ganz dazu. Werner Fuld, der geachtete Literaturkritiker (dem eine wichtige Monographie über den nach wie vor ziemlich unbeachteten Erzähler Wilhelm Raabe zu danken ist), stellt nicht einfach Sachliches, Sensationelles und Anekdotisches zusammen, auch wenn all dies in seinem Lexikon reichlich vorkommt. Er ist, kopfschüttelnd und in alphabetischer Reihenfolge, den Phänomenen der Legendenbildung und des Illusionsbedürfnisses auf der Spur. Betrug und Fälschung sind in den meisten Fällen strafbare Handlungen. Aber sie treffen keineswegs ausschließlich auf arme, gutgläubige Hereingelegte. Nur allzu oft kommen sie einem heimlichen oder offensichtlichen Bedürfnis entgegen. Daß die Welt betrogen sein will, wußte schon die Antike.

Fälschungen kommen in allen Lebensbereichen vor. Ihre Zahl und ihre Wirksamkeit hat in unseren Tagen eher zu- als abgenommen (wenngleich sie in aller Regel schneller als früher entlarvt werden). Wen wundert es? Nur scheinbar ist ja die Welt immer durchschaubarer geworden. Die ungeheure Fülle an möglichen Informationen, die kein Mensch mehr aufnehmen kann, und ebenso die Komplexität des Wissenswerten verführt dazu, Zuflucht bei einfachen Lösungen zu suchen. Das von der Religion nicht mehr ausreichend gedeckte Glaubens- und Vertrauensbedürfnis kommt hinzu. Fälschungen füllen eine Lücke.

Sie taten es früher schon. Dreiste Lügen und Entstellungen haben nicht selten welthistorische Folgen gehabt. So ist die angebliche "Konstantinische Schenkung" des Kirchenstaats an den Bischof von Rom geradezu die Grundlage der weltlichen Machtstellung des Papstes gewesen. Aber auch Hamburg hat sich die Privilegien einer "Freien und Hansestadt", wie es sich heute noch nennt, durch eine Fälschung cleverer Kaufleute selber verschafft. Die Menschenopfer der Azteken, die jüdischen Ritualmorde oder die "Protokolle der Weisen von Zion" waren gefährliche Erfindungen, weil sie Vorurteile schürten, die zu Verachtung und Blutvergießen führten.

Zäh hält sich noch immer die Behauptung, deutsche Fürsten hätten mit dem Blut ihrer an England vermieteten Soldaten ihr Luxusleben finanziert. Sie paßte so gut in den Kampf gegen den Absolutismus wie das angebliche "Recht der ersten Nacht", das sich nirgends nachweisen läßt. Vor allem aber sind es die nationalen Gründungslegenden, die bis heute mit verdächtigem Eifer gepflegt werden. Den Freiheitshelden Wilhelm Tell hat es jedoch so wenig gegeben wie den jüdischen Heldenkampf mit Selbstmordende in Masada, den Thermopylen am Toten Meer. In Prag umgeht man die Frage nach der Echtheit der Königinhofer Handschrift alter böhmischer Urkunden nach wie vor, obwohl doch schon Masaryk hier für Aufklärung gesorgt hat. Daß Mussolini nicht von dem Partisanen Audisio, sondern vom späteren KPI-Generalsekretär Luigi Longo erschossen wurde oder Maos Gedichte großenteils Plagiate sind – solche Erkenntnisse zerstören bewußt konstruierte Irreführungen. Der Kommerz regierte bei der Fälschung der Hitler-Tagebücher: die Illustrierte Stern zahlte 23 Millionen Mark für die 58 Hefte und Kujaus Fünf-Millionen-Anteil ist •bis heute nur zum Teil wieder aufgetaucht.

Man hat Kunst gefälscht seit dem alten Ägypten, bei Dürer oder Corot bis zu van Gogh oder Dali. In der Nachkriegszeit rettete den Holländer Hans van Megeren sein Geständnis, er habe ein von ihm unterschlagenes Vermeer-Gemälde bloß kopiert, vor der Todesstrafe wegen Kollaboration. Und der Lübecker Lothar Malskat täuschte mit dem angeblich unter Übermalungen wiederentdeckten Totentanz in der Katharinenkirche fast alle Experten.

Und in der Literatur? Ossians Gesänge stammten von James Macpherson. Abälärds und Heloises leidenschaftlicher Briefwechsel ist das Werk eines einzigen Autors. Daß Karl May nie in Amerika war, weiß man. Aber auch André Malraux, Frankreichs Kulturminister unter de Gaulle, hat sich seine Heldenvita in China und in der Resistance großenteils zusammenphantasiert.

Es werden Banknoten gefälscht und Arzneimittel, Geigenzertifikate und Bildmaterial, Talkshow-Prahlereien und Reliquien. Selten geht es dabei so heiter zu wie im Falle des erfundenen Diplomaten Edmund F. Dräcker, dessen Personalakte jahrzehntelang durch die Dienststellen des Auswärtigen Amtes kreiste, oder des ebenso fiktiven "Dichters und Tonsetzers" Gottlieb Theodor Pilz, der noch in Killys Literatur-Lexikon mit Respekt gewürdigt wird. Mit Gewinn und Vergnügen zu lesen sind jedoch Werner Fulds aufmerksame Beobachtungen allemal.

 

Werner Fuld, Das Lexikon der Fälschungen. Lügen und Verschwörungen aus Kunst, Historie und Literatur, Eichborn-Verlag, 320 Seiten, 44 Mark


 
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