© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/99 02. April 1999


Nato-Angriff auf Serbien: Die Tragödie des Balkans ist Dokument eines politischen Bankrotts
Ein Krieg um Europa
Michael Wiesberg/Dieter Stein

Bundesregierung und Bundestag haben Deutschland in einen der riskantesten Konflikte seit Ende des Zweiten Weltkriegs geführt. Deutschland zieht – im Rahmen des nordatlantischen Bündnisses – in seinen ersten Krieg seit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945. Der unter Nato-Flagge von Deutschland, Italien, Großbritannien, Frankreich und den USA geführte Luftangriff auf Serbien ist ein leichtsinnig begonnener Krieg, der Folgen haben wird

- Der Angriff unter Führung der USA ist ein politischer Bankrott Europas. Die tragenden Länder der Europäischen Union – Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland – waren unfähig und nicht willens, eine eigenständige Initiative zur Stabilisierung des Balkans als europäische Angelegenheit zu organisieren.

- Deutschlands Ruf als möglicher Schlichter in Mittelost- und Südosteuropa ist zerstört, antideutsche Affekte bei den Serben werden für Generationen zementiert.

- Das proklamierte Ziel, eine "humanitäre Katastrophe" im Kosovo abzuwenden, wird nicht erreicht. Statt dessen vertreiben die Serben im Schatten der Nato-Luftangriffe die Kosovo-Albaner um so rücksichtsloser aus ihrer Heimat.

- Flüchtlingsströme werden sich als Folge des Konfliktes in die EU-Staaten und insbesondere Deutschland ergießen und das Migrantenproblem zusätzlich verschärfen.

Der Krieg gegen Serbien reißt darüber hinaus dem saturierten, im Wohlstand selbstgerecht gewordenen Deutschland die Maske vom Gesicht. Vergessen die Lichterketten, vergessen die Warnungen vor "übersteigertem Nationalismus" und "Fremdenfeindlichkeit". Instinktlos weiden sich deutsche Medien am Krieg gegen den "Schlächter", den "Wahnsinnigen", den "Verrückten" Milosovic. Rauschhaft wird der Zuschauer im Fernsehen mit den von Militärs zensierten Bildern gefüttert. Deutsche Journalisten stellen sich derzeit ein beschämendes Urteil aus.

Grünenpolitiker, die Bundeswehrsoldaten als Mörder beschimpfen, SPD-Politiker, die die zur Farce gewordene Wehrmachtsaustellung eröffnen, denken großsprecherisch über Einsatz von "Bodentruppen" auf dem Balkan nach, als ob es dabei um die Sicherung eines Castortransportes ginge.

Ob es einem paßt oder nicht: Gregor Gysi hatte vergangene Woche recht, als er im Bundestag sagte: "Wenn man einen Krieg führt, ohne selbst angegriffen worden zu sein, dann ist das ein Angriffskrieg und kein Verteidigungskrieg. Genau diesen verbietet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland."

Der Ausgang dieses Militärabenteuers, das nach Berechnungen der FAZ täglich rund 500 Millionen DM verschlingt, ist völlig ungewiß. Zudem ist der Einsatz sinnlos. Militärexperten hatten vor einer Beschränkung auf Luftwaffeneinsätze im Kosovo gewarnt und dazu geraten, von Anfang an Landstreitkräfte bereitzustellen. Diese Experten wußten, daß die Reaktion der Serben auf die Luftangriffe der NATO in einer "Nacht der langen Messer" münden wird.

Die Konzeptionslosigkeit seitens des Westens im Hinblick auf eine mögliche territoriale Ordnung auf dem Balkan wird mit jedem Tag, an dem dort gebombt wird, deutlicher. Dieser Tatbestand muß um so nachhaltiger irritieren, weil sich insbesondere die USA in der Vergangenheit nie gescheut haben, mißliebige Staatsmänner entweder zu stürzen oder gar zu ermorden. Auf dem Balkan hingegen hat bisher das Prinzip Langmut dominiert. Frankreich und England ließen sich in ihrer Serbienpolitik mehr von der möglichen Gefahr einer erneuten deutschen Einflußnahme auf dem Balkan leiten als von Menschenrechtsfragen.

Ganz anders sind die Interessen der USA auf dem Balkan gelagert. Der ehemalige Sicherheitsberater der Regierung Carter, Zbigniew Brzezinski, umriß in seinem Buch "Die einzige Weltmacht" ungeschminkt die geopolitischen Ambitionen der USA, die die maßgebenden Prinzipien der US-Außenpolitik wiedergeben. Als wichtigste Aufgabe der USA heute beschreibt Brzezinski die Niederhaltung von neuen Herausforderern insbesondere im eurasischen Großraum. Entscheidend ist es aus seiner Sicht, bestimmte Staaten (wie Deutschland oder Japan) zum einen als Vasallen in die Schranken zu weisen und zum anderen in ihrer für die USA dienlichen Funktion zu sichern.

Vorrangiges Ziel ist aus Sicht der USA der Zugriff auf die Energievorräte nicht nur im Nahen Osten, sondern auch der Zugang und die Kontrolle der in den neuen Staaten Zentralasiens und des Kaspischen Beckens vermuteten riesigen Energie- und Rohstoffreserven. Bezeichnenderweise spricht Brzezinski in diesem Zusammenhang vom "eurasischen Balkan", aus dem Rußland, das hier seine traditionelle Einflußsphäre zu behaupten trachtet, herausgehalten werden soll.

In der Logik Brzezinskis liegt die Befriedung des Balkan somit nicht im Interesse der USA. Mit Recht stellte der ehemalige Bundesforschungsminister Andreas von Bülow fest, daß die "geopolitische Zugangszone des industriellen Europa zum energie- und rohstoffreichen eurasischen Balkan nicht im Interesse der verdeckten, realen amerikanischen Außenpolitik" liege. Das Handeln der USA im Kosovo, sekundiert von Großbritannien, einem inkonsequenten Frankreich und einem hilflos seine Rolle suchenden Deutschland, bestätigt die Thesen von Bülows. Die USA sind vorrangig daran interessiert, auf dem Balkan eine spannungsgeladene und damit von außen manipulierbare Bruchzone zu erhalten.

Diese geopolitischen Interessen der USA erklären die Widersprüchlichkeit des Kosovo-Krieges. Ein Verbleib der Kosovo-Albaner in der jugoslawischen Staatengemeinschaft ist nach Lage der Dinge ferner undenkbar geworden. Darüber hinaus wird es von Tag zu Tag wahrscheinlicher, daß doch Bodentruppen eingesetzt werden müssen, um die verbliebenen Kosovo-Albaner vor weiteren Übergriffen der Serben zu schützen. Damit aber wird das Konflikt-Potential auf dem Balkan ad infinitum fortgeschrieben. Die Amerikaner hätten damit ihr Ziel erreicht: Der Balkan bleibt ein dauernder Konfliktherd, auf dem unter Umständen auch das Blut deutscher Soldaten vergossen werden muß, um eine "Friedensordnung" nach amerikanischer Vorstellung durchzusetzen.

Es wird allerhöchste Zeit, daß die europäischen Staaten zu einer gemeinsamen Politik finden, die europäischen Interessen entspricht. Das ist eine Aufgabe der die Ratspräsidentschaft führenden deutschen Regierung. Der Nato-Angriff auf Serbien dient aber weder dem deutschen noch dem europäischen Interesse und sollte deshalb sofort beendet werden. Der russische Verhandlungsweg könnte hingegen der erste richtige Schritt sein. Man sollte das Schlichten des Balkan-Konfliktes den räumlich Betroffenen überlassen.


 
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