© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/99 02. April 1999


Über 600 Jahre Kampf: Warum Serbien nicht auf den Kosovo verzichtet
Begründung eines Mythos
Kai Guleikoff

Den Kosovo bezeichnet der nationalbewußte Serbe als das Herz des visionären Großserbiens. Der Mittelpunkt des Kosovo ist wiederum das Amselfeld mit der Hauptstadt Pristina. Auf dem Amselfeld fand am 28. Juni 1389 die bis heute sagenumwobene Schlacht statt, die zur Heiligsprechung des Ortes durch die serbisch-orthodoxe Kirche führte und den Amselfeld-Mythos begründete.

Serbiens Aufstieg zur dominierenden Macht auf dem Balkan begann in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts durch den Niedergang des Byzantinischen Reiches. Es gelang der Zusammenschluß aller serbischen Stämme. Die größte Ausdehnung erreichte Großserbien unter König Stephan IV. Dusan (1331–1355) unter Einbeziehung Südbosniens, der dalmatischen und albanischen Küste, Makedoniens, Mittelgriechenlands und Bulgariens. 1346 ließ sich Stephan IV. zum "Zaren aller Serben und Griechen" krönen. Die Serben hatten den geschichtlichen Höhepunkt ihrer politischen Macht erreicht. Nach dem Tode des einzigen serbischen Zaren blieb der Thron unbesetzt. Die Osmanen nutzten dieses Machtvakuum und stießen nach Südosteuropa vor. Bereits 1371 wurden Südserbien und Makedonien türkisch. Der serbische Fürst Lazar rief die Serben zum Widerstand auf und sammelte ein Heer auf der Ebene bei Pristina, dem Amselfeld. Die verbündeten Bosnier stellten sich ebenso zur Schlacht wie die Ritteraufgebote der Kroaten, Albaner, Walachen und Bulgaren. Etwa 25.000 Verbündete erwarteten die über 40.000 Türken und deren Vasallen unter dem Oberbefehl von Sultan Murad.

Wie in allen Glaubenskriegen üblich, war die Schlacht am Veitstag des Jahres 1389 für beide Seiten sehr verlustreich und lange Zeit unentschieden. Der Serbenführer Lazar geriet im Verlauf der Schlacht in Gefangenschaft der Türken. Die Verbündeten konnten das Amselfeld nicht behaupten und erlitten eine katastrophale Niederlage. Als Sultan Murad als Sieger das Schlachtfeld besichtigte, tötete ihn ein serbischer Ritter, der verwundet zwischen den Toten gelegen haben soll. Daraus entstand in der Volksdichtung der serbische Held Milos Obilic, der während der Schlacht in das Befehlszelt des Sultans vordrang, ihn dort erdolchte und von den Wachen erschlagen wurde.

Eine weitere Sage erzählt vom "Mädchen von Kosovo", das sich nicht scheute, den oft verstümmelten Schwerverwundeten Wein als Stärkung zu verabreichen, und ihnen damit das Leben erhielt. Aus dem vielen vergossenen Blut sei auch die Blume entstanden, kosovski bozur genannt, eine Blume ähnlich der Pfingstrose, deren dunkelrote Farbe die heiligen Stätten am monumentalen Denkmal in Gazi Mestan und um das Kloster Gracanica begrenzt.

In den der verlorenen Schlacht folgenden fünf Jahrhunderten türkischer Herrschaft,mußten die Serben zweimal, 1690 und 1737, den Kosovo verlassen. Die Albaner, die inzwischen mehrheitlich die Religion des Siegers angenommen hatten, durften die verlassenen Dörfer und Städte übernehmen. So entstand die Erzfeindschaft zwischen den christlich gebliebenen Serben und den mohammedanischen Albanern, die fast 90 Prozent der Bevölkerung im Kosovo ausmachen.


 
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