© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Kosovo-Krise: Es wird nur eine politische Antwort auf das Balkan-Problem geben
Blindflug auf Belgrad
Dieter Stein

Am Krieg scheiden sich die Geister. In Deutschland befinden sich diejenigen, die Zweifel am Sinn des Balkan-Einsatzes der Nato hegen, immer noch in der Minderheit. Ohne Frage spielt es eine erhebliche Rolle, daß eine rot-grün-geführte Regierung im Amt ist und dadurch selbst die klassische pazifistische Fraktion – bis auf die PDS – neutralisiert ist.

Der Exodus der Kosovo-Albaner, die offenbar mit ähnlichen Mitteln aus ihrer Heimat vertrieben werden, wie es den Ostpreußen, Schlesiern, Pommern und Sudetendeutschen 1945 geschah, läßt niemanden kalt. Gerade die Deutschen fühlen sich aufgrund ihres verwandten Schicksals zur Hilfe aufgefordert. Dennoch: Es reicht nicht, daß ein Krieg "gut gemeint" ist. Es sollte eine Verhältnismäßigkeit der Mittel geben, Einsatz und Wirkung in einem adäquaten Verhältnis stehen, die Folgen absehbar sein und wesentliche Ziele auch erreicht werden. Im Moment bewegt sich der Kosovo-Krieg allein im Bereich der Demonstration guten Willens, während sich die durch ihn ausgelösten humanitären, politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen, finanziellen Probleme unkontrolliert ausweiten.

Bedenken gegen den Nato-Einsatz zu haben, bedeutet noch lange nicht, ein Pazifist zu sein. Man sollte genau hinhören, wer besonders laut über "Bodentruppen", "Luftschläge", "Vergeltungsmaßnahmen" und "Implementierungen" philosophiert. Hier begeistern sich über Nacht einst überzeugte Antimilitaristen für das teuerste Spielzeug der Welt: die Armee.

Auf der anderen Seite äußern sich bemerkenswert viele alte Wehrmachtssoldaten, die zum Teil auch auf dem Balkan gekämpft haben, für einen Stopp des Natoeinsatzes: Helmut Schmidt, Alfred Dregger, Rudolf Augstein – um nur die prominentesten zu nennen. Sie wissen, in welches komplizierte und verworrene Geflecht nationaler Konkurrenz hier durch die schneidigen Sandkasten-Militärs eingegriffen wird.

So meint der alles andere als natokritische Alfred Dregger, den die SPD früher gerne als "Stahlhelmer" beschimpft hat: "Ein Krieg, der das Gegenteil dessen bewirkt, was er politisch bezwecken sollte, muß beendet werden." Und Rudolf Augstein äußert zur bisherigen Führungsrolle der USA in der Nato: "Das mag bisher so gewesen sein, aber bleiben darf es so nicht. (...) Sie mögen ganz Belgrad in Schutt und Asche legen, es wird nichts helfen. Mit jedem Bomber wird man einen Rosinenbomber mitschicken müssen, weil Hunger und Elend drohen."

Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen. Jetzt herrscht das Gesetz des Krieges. Der Krieg gegen Serbien wird seit zwei Wochen geführt. Die Unfähigkeit der Europäer zu einer eigenständigen Militäraktion ist eine politische Katastrophe für diesen Kontinent. Den USA die Initiative des Handelns in dieser Region überlassen zu haben, ist ein politischer Fehler, ebenso wie die Brüskierung der Russen, denen eine gewichtige Rolle bei der Schlichtung des Balkan-Konfliktes zuzubilligen wäre.

Nun ist es das Pragmatischste und realpolitisch Sinnvollste, den begonnenen Krieg gegen Serbien zügig zu Ende zu bringen. Deutschland und die europäischen Nato-Partner haben militärisch interveniert und damit Verantwortung für die betroffenen Menschen übernommen. Ein sang- und klangloser Rückzug ohne Beseitigung der Folgen ist nicht mehr drin.

Ein militärisch gesichertes Protektorat Kosovo – ohne Beteiligung deutscher Soldaten! – ist jetzt die einzige Chance, die Region zu befrieden. Wenn die Europäer bei Sinnen sind, schließen sie die USA davon aus und ziehen die Russen mit ins Boot. Deutschland und die anderen europäischen Staaten sollten es sich abschminken, gegenüber den Ländern des Balkans wie eine Kolonialmacht aufzutreten, die notfalls mit Gewalt die Menschen zum Guten bekehrt. Den beteiligten Völkern, insbesondere den Serben, weiteren Gesichtsverlust zuzufügen, ist historisch ignorant und politisch falsch. Wir Deutschen sollten am besten wissen, welche Wirkung es erzeugt, wenn man ein Volk zu den größten Schweinen aller Zeiten erklärt. Das Versailler Diktat baute gegenüber den Deutschen auf dieser Prämisse auf.

Bonn zieht aus dem Krieg übrigens unfreiwillig einen makabren Vorteil: Der Krieg auf dem Balkan entlastet die angeschlagene Regierung Schröder innenpolitisch enorm. Wen interessiert das Steuerchaos, wer fragt nach der drohenden Einführung des Doppelpasses, wen kümmern noch die Hintergründe des Lafontaine-Rücktritts? All dies verschwindet hinter einem Gewitter von Bildern aus dem Kosovo-Krieg. Hoffentlich findet Schröder keinen Geschmack an der amerikanischen Devise, durch Krieg von innenpolitischen Problemen abzulenken!


 
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