© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Tabu Vertreibung
von Kurt Heissig

Kämpft in Serbien das neue Europa der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes gegen das alte Europa des Nationalismus und Kommunismus? Und das mit Hilfe der USA im Rahmen der NATO? Dann wäre der Krieg so gut und richtig wie seine Ziele.

Manche Äußerungen unserer Regierungsmitglieder zu den unbeschreiblichen Greueltaten, die serbische Milizen, Militär- und Polizeieinheiten den alteingesessenen Albanern des Kosovo antun, lassen Zweifel aufkommen: Dieselben Leute, die bis heute die deutschen Vertriebenen der frühen Nachkriegszeit als Friedensstörer bezeichnen, obwohl diese nicht Rache und Vergeltung, sondern nur eine friedliche Rückgewinnung ihrer Heimat anstreben, dieselben Leute führen heute Krieg, um den vertriebenen Albanern mit Gewalt die Rückkehr und die Rückgewinnung ihres Eigentums zu ermöglichen. Nun mag man selbst Grünen oder SPD-Mitgliedern einen persönlichen Reifungsprozeß zubilligen. Aber dann hätten Joschka Fischer oder Günter Verheugen angesichts der Elendsbilder längst die Parallele zu den Vertreibungen der Nachkriegsjahre mit Lagerelend und Massakern paramilitärischer Verbände gefunden und ausgesprochen. Doch davon kein Wort! Dagegen wird die Erinnerung an den Holocaust bemüht, was weder dessen Dimensionen noch Umständen gerecht wird.

Wenn unvergleichliches verglichen und vergleichbares ausgeblendet wird, hat das Gründe. Gehen unseren Politikern Opfer aller anderen Völker mehr zu Herzen als deutsche? Nein, dahinter steht das Koordinatensystem der amerikanischen Doppelmoral: Menschenrechte und Minderheitenschutz sind darin Herrschaftsinstrumente, die nur dann in den Vordergrund gezerrt werden, wenn es den USA ins Konzept paßt. Geht es um die Kurden des NATO-Partners Türkei, dann gibt es weder Embargo noch Bomben. Und da die USA im Potsdamer Protokoll die Duldung der Vertreibungen unterschrieben hat, stehen deutsche Vertriebene ein für allemal auf der Schattenseite des öffentlichen Interesses.

Von den deutschen Politikern aber, welcher Couleur auch immer, ist Gerechtigkeit für unsere Vertriebenen nicht zu erwarten. Gegen den Krieg aber demonstrieren bei uns tatsächlich die Kräfte des alten Europa: Brave, christliche Friedensschafe gemeinsam mit den Wölfen der kreidefressenden PDS und der in Deutschland ansässigen serbischen Nationalisten. Gegen diese Kräfte muß der Krieg gewonnen werden, zusammen mit den USA, wenn auch vielleicht mit anderen Motiven. Es wäre politische Naivität, gegen die faktische Herrschaft der USA angehen zu wollen. Von unseren eigenen Politikern aber dürfen wir mehr Ehrlichkeit unserer Geschichte gegenüber fordern.


 
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