© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Kinderschutz
Karl Heinzen

Der "Wuermeling" ist Geschichte, ein Privileg kinderreicher Familien ist gefallen. Die Zeiten, in denen mit der Bahn ein paternalistischer Mißbrauch getrieben werden konnte, sind vorbei. Jetzt bestimmen nicht mehr Beamte, was förderungswürdig ist, sondern Vorstände. Es wäre systemwidrig, der Bahn jetzt noch soziale Maximen abzuverlangen: Sie trägt eine private Rechtsform.

Die direkten Einsparungen durch das Ende dieser Kindersubventionen dürften dabei weniger ins Gewicht fallen. Der bislang bevorrechtigte Personenkreis ist ein statistisches Randphänomen und für die meisten Menschen im Alltag kaum noch wahrnehmbar. Es galt vielmehr, ein Signal zu setzen: Die Bahn will weg vom hartnäckigen Kleine-Leute-Image. "Wer kein Geld für’s Auto hat, fährt Bahn" – diesem Eindruck konnte allein über den Preis noch erfolgreich entgegengewirkt werden. Kleine Gesten sind da schon hilfreicher: Man muß Kinder ja nicht gleich von der Beförderung ausschließen, man muß ihnen diese aber nicht unbedingt auch noch schmackhaft machen. Schon das allein läßt ein Mehr an Fahrkomfort erhoffen. Geschäftsreisende müssen nicht länger um die Sicherheit ihrer Laptops bangen.

Die Bahn hat mit ihrer Entideologisierung der kinderreichen Familie gegen keinen Meinungstrend anzukämpfen – das könnte sie als Unternehmen, das sich am Markt behaupten will, auch gar nicht durchhalten. Noch wird die Entscheidung zweier Menschen, sich die Erfahrung eines Kindes zu teilen, respektiert, und noch wird dabei auch das zur Befriedigung dieses Bedürfnisses erforderliche Objekt hingenommen, da es dem Empfindungsnutzen seiner Eltern mehrt. Die gesellschaftliche Toleranz gegenüber dem Kind als Einzelfall baut auf die Vernunft der Menschen, darauf, daß sie das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens auch für ihr eigenes Fortpflanzungsverhalten beherzigen. Es muß im Bewußtsein der Betroffenen verankert bleiben, daß bereits die traditionelle Normalfamilie mit einem Prototyp als kinderreich bezeichnet zu werden verdient, da sie die Gemeinsamkeit mit der Mehrheit der Menschen, die beschlossen haben, ihr eigenes Leben zu leben, aufkündigt. Was der Gesetzgeber, eingeschnürt in überholte und doch unabänderliche Verfassungsgrundsätze, nicht vermag, muß die Gesellschaft aus eigener Kraft leisten: Paaren mit dem Wunsch zum Zusatzkind darf der Rechtfertigungsdruck nicht erspart werden. Nur so läßt sich das Risiko managen, welches das Kind für das Gelingen eines menschenwürdigen Zusammenlebens darstellt. Nicht nur die Anomalien des häuslichen Alltags sind hier in Betracht zu ziehen: Allein 1998 wurden fast 150.000 Kinder gezählt, die sich als Kriminelle herausgestellt haben. Kinder gehen die Gemeinschaft also etwas an. Wer sie in die Welt setzt, muß diese auch vor ihnen schützen können. Wer nicht strafen will, muß die Prävention suchen. Unsere Familienpolitik ist hier auf dem richtigen Weg.


 
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