© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Kaukasus: Die Vereinigten Staaten und ihr Interesse am Öl in der ehemaligen Sowjetunion
Golfregion des 21. Jahrhunderts
Michael Wiesberg

Hartnäckig hält sich bis heute das Gerücht, daß der amerikanische und der israelische Geheimdienst den türkischen Sicherheitskräften bei der Festnahme des PKK-Chefs Öcalan Hilfestellung leisteten. Diese Zusammenarbeit gibt vielen Rätsel auf. Welche Motive haben Amerikaner und Israelis, die Türken im Fall Öcalan zu unterstützen? Um die Interessenkonvergenz dieser drei Staaten verständlich zu machen, bedarf es eines größeren Exkurses.

Von hiesigen Medienkreisen unbeachtet lehnte das amerikanische Repräsentantenhaus am 17. September 1998 die Aufhebung der scharfen Einschränkungen von US-Hilfen für Aserbaidschan ab. Nach einer heftigen Debatte stimmten die Abgeordneten für die Beibehaltung der seit 1992 verhängten Sanktionen. Einflußreiche Kreise in den USA wie die Regierung Clinton, US-amerikanische Ölgesellschaften, türkische und aserbaidschanische Lobbyisten sowie maßgebliche Vertreter des amerikanischen Judentums (American Jewish Congress, B’nai B’rith, National Conference on Soviet Jewry) hatten sich für diese Aufhebung starkgemacht. Die Bedeutung dieses Vorganges verdeutlicht ein Hinweis des republikanischen Abgeordneten Sonny Callahan, der in der Aussprache im Repräsentantenhaus über die Beibehaltung oder Rücknahme der Sanktionen folgendes zu Protokoll gab:

"US-Außenministerin Albright rief mich an und sagte mir, daß die Aufhebung der Sanktionen eine der wichtigsten Maßnahmen sei, die der Kongreß für die Regierung Clinton zur Sicherung einer effektiven Außenpolitik leisten könne." Callahan war nicht der einzige Abgeordnete, auf den die amerikanische Außenministerin massiv einwirkte. So war in einer Pressemitteilung der "Armenian Assembly of America" zu lesen, Frau Albright habe immer wieder darauf verwiesen, daß die Sanktionen den amerikanischen Vermittlungsversuchen in Berg Karabach zuwiderlaufen. Damit würden aber auch die Aussichten sinken, die Reformen (insbesondere in den Bereichen Wirtschaft und Rechtsprechung) in Aserbaidschan voranzubringen. Dieser Zustand schade – so Frau Albright – dem Projekt eines Ost-West-Energietransportkorridors. Hier liegt denn auch der springende Punkt der Auseinandersetzung im US-Repräsentantenhaus.

Um zu verstehen, welche Interessen hier im Raum stehen, bedarf es einer Rückblende in die Jahre 1989/90. Der sich zu diesem Zeitpunkt abzeichnende schrittweise Zerfall der Sowjetunion führte postwendend zu einem bis heute anhaltenden Kampf um die reichhaltigen Bodenschätze (vor allem Erdöl und Erdgas), die im Gebiet des Kaukasus, des Transkaukasus und östlich des Kaspischen Meeres vermutet werden bzw. inzwischen nachgewiesen worden sind.

Neben der Ausbeutung von Erdgas und Erdöl hat unterdessen die Frage der Transportmöglichkeiten die gleiche Bedeutung erlangt wie die Rohstoffe selber. Mit Recht verweist der österreichische Abgeordnete im Europaparlament, Hans Kronberger, in seinem gerade erschienenen Buch "Blut für Öl" (Wien 1998) darauf hin, daß wer "die Pipelines" besitze, im "21. Jahrhundert auch die Macht über die Lieferländer" haben werde, "aber ebenso über die Verbraucherländer. Die Pipelines werden die Nabelschnüre der Industriegesellschaft sein, mit all ihrer Verletzlichkeit, insbesonders im Erdgasbereich, wo die Flexibilität beim Ausfall der Versorgung relativ gering" sei.

Kronbergers Einschätzung liefert den Hintergrund für das Engagement der USA im Kaukasus und Mittelasien, dessen Bedeutung im "Silk Road Strategy Act" zum Ausdruck kommt. Mit diesem Gesetz, mit dem eine Art Neuauflage der historischen "Seidenstraße" ins Werk gesetzt werden soll, sollen die Beziehungen zu acht früheren Sowjetrepubliken (Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan) im Südkaukasus und in Mittelasien verbessert werden. Ein wichtiger Bestandteil dieses Gesetzes betrifft die Aufhebung der Restriktionen gegenüber Aserbaidschan. Zum Hintergrund: Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan (1988–94) um die in Aserbaidschan gelegene armenische Enklave Berg Karabach hat Aserbaidschan über Armenien eine Blockade verhängt, die bis heute die Einfuhr lebenswichtiger Güter verhindert.

Diese Situation nutzten die armenischen Interessenvertreter in den USA, um ihrerseits Restriktionen von seiten der USA gegenüber Aserbaidschan durchzusetzen. Durch die Machtübernahme von Robert Kocharian in Armenien, der als "Hardliner" kompromißlos die Interessen Armeniens verficht, hat sich die Situation unterdessen weiter zugespitzt. Kocharian fordert inzwischen nicht nur einen Autonomiestatus, sondern die völlige Unabhängigkeit Berg Karabachs von Aserbaidschan.

USA wollen das russische Pipeline-Monopol beenden

Sollte es aufgrund dieser Lage zu erneuten bewaffneten Auseinandersetzungen kommen, dann wäre Aserbaidschan gezwungen, die geplante Pipelineverbindung von Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan aufzugeben. Aserbaidschan müßte statt dessen das Öl über eine bereits vorhandene Pipeline durch Rußland (Baku – Grozny ½ Noworossijks) transportieren. Damit bliebe genau das bestehen, was sowohl die USA als auch die von Rußland unabhängig gewordenen Staaten ben wollen: das russische Pipeline-Monopol. Erschwerend käme hinzu, daß die Investitionen von US-Firmen in Aserbaidschan im Konfliktfall unwiederbringlich verloren wären. Eine derartige Entwicklung käme Rußland nicht ungelegen, gehören doch Rußland und der Iran zu den wichtigsten Verbündeten Armeniens, das zwischen 1996 und 1998 für rund eine Milliarde US-Dollar Waffen von Rußland gekauft hat.

Führende Kräfte der außenpolitischen Elite in Aserbaidschan hingegen sehen ihr Land als Bestandteil eines prowestlichen Regionalblockes. Dieser Block, der auf eine strategische Verbindung zwischen dem Mittleren Osten, dem Kaukasus und Mittelasien hinausläuft, umfaßt die Türkei, Israel und Georgien. Unter Führung der USA treten diese Staaten als direkte Gegenspieler Rußlands, Armeniens und des Irans in Erscheinung. Diese Konstellation erklärt die Unterstützung der Türkei durch Israel und die USA.

Die Befürworter der Aufhebung der Restriktionen gegenüber Aserbaidschan argumentieren, daß Washington das "prowestliche" Aserbaidschan schwäche, während Rußland die prowestliche Politik von Eduard Schewardnadze (Georgien) und Hejar Alijew (Aserbaidschan) durch das Schüren ethnischer Konflikte hintertreibe, um beide Staaten in russischer Abhängigkeit halten zu können.

Die USA wünschen verständlicherweise die Befriedung der Region, damit die vermuteten Vorkommen von Erdöl und Erdgas möglichst ungehindert auf die internationalen Märkte transportiert werden können. Dabei soll Rußland als lästiger Konkurrent mit aller Macht außen vor gehalten werden. Dieses Ziel wird einmal durch die ständige Erhöhung des "Spielkapitals" erreicht, mit dem der russische "Pokerpartner" vom Tisch gedrängt wird und zum anderen durch den Bau von Pipelines außerhalb des russischen Hoheitsgebietes.

Die Frage ist, wie lange sich die Russen – aber auch China, das in Kasachstan eine Milliardensumme investiert hat – mit einer Randrolle bescheiden werden. Rußland hat eine starke Erdöl- und Erdgasindustrie, die als "Staat im Staate" betrachtet werden kann. Diese Industrie schaut zunehmend mißmutiger zu, wie in Mittelasien amerikanische, japanische und auch europäische Erdölkonzerne die Ressourcen unter sich aufteilen. Hier braut sich aufgrund ein nicht unerheblicher Konfliktstoff zusammen. Es sei hier nur an die (bisher nicht relativierte) Drohung des russischen Präsidenten Jelzin erinnert, der vor dem Hintergrund der ersten Kriegsdrohung der USA gegen den Irak im Januar 1998 im Zusammenhang mit den Ressourcen um das Kaspische Meer von der Möglichkeit eines "Dritten Weltkrieges" sprach.

Nachdem nun die Aufhebung der Sanktionen vorerst gescheitert ist, wird Aserbaidschan als möglicher Alliierter der USA weiterhin erheblichen Einschränkungen unterliegen. Diese Entscheidung wird die interessierten Kreise in den USA allerdings nicht ruhen lassen, weil um das Kaspische Meer herum Ölfelder vermutet werden, die die des Irak und des Iran noch übertreffen sollen. Es muß allerdings bezweifelt werden, daß diese Vermutungen stimmig sind. Mit Recht wiesen Hella Engerer und Christian von Hirschhausen in einem Diskussionspapier des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung darauf hin, daß die bisher gesicherten "Vorkommen an Erdöl und Erdgas in der kaspischen Region noch nicht einmal die der Nordsee erreichen".

Dennoch haben zwölf US-Ölfirmen inzwischen zusammen bereits 35 Milliarden US-Dollar investiert. Schätzungen gehen davon aus, daß der Wert des Erdöls in dieser Region bei etwa vier Billionen US-Dollar liegen soll. Es verwundert daher nicht, daß diese US-Firmen einen großen Einfluß auf die US-Politik in dieser Region ausüben.

Nach Lage der Dinge werden die Amerikaner auch nicht zögern, den Russen als Hauptkonkurrenten zu bedeuten, daß die Mitgliedschaft beim G8-Gipfel der wichtigsten Industriestaaten und die westliche Wirtschaftshilfe nicht zu haben sei, wenn Rußland den Kaukasus weiterhin destabilisiere. Die Versuche des Iran und Rußlands, im Kaukasus verstärkt Einfluß zu entfalten, beantwortet die US-Diplomatie mehr und mehr mit einer verstärkten Zusammenarbeit mit der Türkei, Israel und ihren westeuropäischen Alliierten.

Drohende Konflikte um Ressourcen in Mittelasien

Mit welchem Nachdruck die Amerikaner ihre Wirtschaftsinteressen in Mittelasien und im Kaukasus verfolgen, zeigt das gemeinsame Militärmanöver mit Kasachstan im September 1997. Insbesondere Rußland sollte mit diesem Manöver demonstriert werden, daß die USA bereit sind, ihre wirtschaftlichen Interessen auch mit militärischen Mitteln zu schützen. Der damalige russische Verteidigungsminister Igor Sergejew reagierte auf dieses Manöver mit der Ankündigung, daß Rußland aufgrund der drohenden Auseinandersetzung um die Ressourcen in Mittelasien aufrüsten werde.

Diese sich ständig verschärfende Interessenkonfrontation ähnelt einer Wiederauflage des "Großen Spieles", das vor hundert Jahren das Britische Empire und das Zarenreich um die Machtpositionen in Zentralasien und den Mittleren Osten austrugen. Es darf bezweifelt werden, daß dieser Wettlauf um den günstigsten Zugriff auf die Rohstoffressourcen ohne Konflikte abgeht. Dafür steht für alle beteiligten Seiten zuviel auf dem Spiel. Mit einem Verlust ihrer Investitionen wird sich keine der involvierten Weltmächte abfinden.


 
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