© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


Geburtstag: Der Schriftsteller und Bestseller-Autor Hugo Claus wird 70
Flämische Befindlichkeiten
Mina Buts

Knapp anderthalb Jahre war Hugo Claus alt, als er im Oktober 1930 einem Geschwisterkind Platz machen mußte und von seinen Eltern in ein Pensionat gesteckt wurde. Erst nach Kriegsausbruch holten die Eltern ihr Kind heim, ließen es – ziemlich erfolglos – wechselnde Schulen besuchen, bis er dann mit siebzehn dem Elternhaus endgültig den Rücken kehrte. Immerhin, durch diese Kindheit sah sich Claus zum Schriftsteller prädestiniert: "Eine unglückliche Jugend ist doch für einen Schriftsteller eine Gunst der Götter".

Claus verdiente sein erstes Geld als Fassadenmaler, verfaßte nebenbei Gedichte und Artikel, die er der Nieuw Vlaams Tijdschrift zur Veröffentlichung anbot. Offen für alle Anregungen suchte er während eines Aufenthaltes in Paris Kontakt zu Surrealisten und Existentialisten, schloß sich der neoexpressionistischen Künstlergruppe "Cobra" an und gab gemeinsam mit Louis Paul Boon, Jan Walravens und Remy van de Kerckhove eine avantgardistische Zeitschrift mit dem Titel Tijd en mens. Tijdschrift van de nieuwe generatie heraus.

Nach Paris folgten einige Jahre in Rom, immer auch in der Hoffnung, seine Gefährtin und spätere Ehefrau, die Schauspielerin Elly Overzier, könne dort avancieren.

Bereits mit seinem Romandebüt, dem 1950 erschienenen "Metsiers", handelte Claus sich den Ruf eines "Wunderkindes" ein, sein schriftstellerisches Werk umfaßt unterdessen weit mehr als einhundert Veröffentlichungen.

Eine Einordnung dieses Werkes ist dabei kaum möglich: Claus hat sich in allen literarischen Genres versucht und selbst innerhalb eines Genres gibt es für Claus keine Festlegung: "Also schrieb ich bald einen Roman in der Art von Courths-Mahler wie ‘De koele minaar’ (Der kühle Liebhaber), bald einen experimentellen Roman wie ‘Schole Nostra’, später einen Unterhaltungsroman wie ‘Het jaar van de kreeft’ (Das Jahr des Krebses)." Diese Experimentierfreude kennzeichnet auch sein dramatisches und lyrisches Werk: "Tancredo infasonic" (1952) und "De Oostakkerse Gedichten" (1955) waren radikal experimentell, in seinen Theaterstücken präsentiert er sich mal modernistisch in "Mama, kijk, zonder handen!" (Mama, schau, ohne Hände, 1959), mal romatisch in "Een bruid in de morgen" (Die Reise nach England, 1955), mal naturalistisch in "Suiker" (Zucker, 1958) und "Vrijdag" (Freitag, 1969), mal postmodern in der Bearbeitung von antiken Tragödien Senecas (Thyestes, Oedipus, Phaedra), Euripides’ (Orestes) und Aristophanes’ (Lysistrat). Auch als Maler und Filmemacher hat sich Claus versucht.

Die beiden Romane "De verwondering" (Die Verwunderung, 1962) und "Het Verdriet van Belgie" (Der Kummer von Flandern, 1983) dürften als seine Hauptwerke gelten. In ihnen erweist sich Claus als Meister der Anspielung, des Rezitierens, des Wortspiels und läßt immer wieder seine reichen Literaturkenntnisse aufblitzen.

Claus unternimmt in diesen Werken eine kritische, aber eben auch durchaus amüsante Analyse der flämischen Gesellschaft, wobei er sich insbesondere an der flämischen Kollaboration während des Zweiten Weltkrieges und am beschränkten Katholizismus der Flamen stößt. Die autobiographischen Züge sind hier unübersehbar; ob er selbst aber der Hitlerjunge gewesen ist, den er im "Kummer von Flandern" schilderte, bleibt offen. Seine eigene anfängliche Begeisterung für die Deutschen im Zweiten Weltkrieg schlug – nach seinem eigenen Bekunden – in Verachtung um, als sich deren Niederlage abzeichnete.

Auch der "verlogene Katholizismus" in Flandern, mit dem er schon in seiner Jugend Bekanntschaft gemacht hatte, zieht sich wie ein rotes Band durch sein Werk.

Trotz der kritischen Einstellung gegenüber dem kleinbürgerlichen, katholisch-nationalistischen Milieu seiner Heimat ist Claus dort der am meisten gelesene flämische Autor der Nachkriegszeit. Kein niederländischsprachiger Autor der Nachkriegszeit wurde so oft übersetzt, keiner erhielt so viele Auszeichnungen. Für Theater bekam Claus bereits viermal, für Prosa und Lyrik jeweils einmal den belgischen Staatspreis, 1986 wurde er mit der höchsten Auszeichnung seines Sprachgebietes, dem Niederländisch-flämischen Staatspreis für Literatur, geehrt. Am 7. April feierte der Chronist flämischer Nachkriegsbefindlichkeit seinen 70. Geburtstag.


 
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