© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/99 09. April 1999


CD: Udo Jürgens
Wahlpropaganda
Holger Stürenburg

Mit der kommenden Jahrtausendwende beschäftigen sich derzeit nicht nur allerlei Copmputertechniker, Wahrsager und Sektengurus, sondern auch viele Musiker. So ist zum Beispiel Princes "1999" (16 Jahre nach dessen Entstehung) wieder in aller Ohren (und dies meist in scheußlichen Techno-Remixes), die Backstreet Boys nennen ihr kommendes Album schlicht "Millennium", und Udo Jürgens hat in diesen Tagen ebenfalls seinen musikalischen Beitrag zum Ende des 20. Jahrhunderts vorgelegt. "Ich werde da sein" ist kein herkömmliches neues Jürgens-Album, wie sonst jedes Jahr, gefüllt mit gelungenen Popsongs und zeitkritischen Schmankerln, sondern erstmals seit elf Jahren wieder ein Konzeptalbum, ja fast Mini-Musical, das oft näher bei Klassik denn bei Pop angesiedelt ist und dessen Lieder wie miteinander verworben scheinen.

Viele Prominente tummeln sich neben dem Österreicher und seiner Tochter Jenny, die mal wieder mit ihrem Vater duettiert. So liest der "große Bellheim" aus der "Via Mala", Mario Adorf, einen Prologtext nach einer fast 14minütigen Rockoper "Die Krone der Schöpfung", in der sich Jürgens – begleitet von dem Berliner Philharmonikern – auf seine pathetisch-wortreiche Weise kritisch mit der Erschaffung der Welt auseinandersetzt. Zuvor kündigt Jürgens im Titellied "Ich werde da sein" die kommende Tournee an, die im Sommer/ Herbst 2000 stattfindet, sich jedoch bereits im Vorverkauf befindet und unter dem Motto "Mit 66 Jahren" (so alt wird Jürgend endlich im Jahre 2000) ihn durch über 40 Städte Deutschlands und Österreichs führen wird. "Tausend Jahre Glück" ist ein rockiges Liebeslied, das textlich bereits als erster lyrischer Klassiker des neuen Jahrtausends gelten kann ("Wer hat Dich erdacht? – Welche Laune des Himmels? / Wer hat Dich gemacht – zum Wunder, das geschah?"), während "Alles, was gut tut", musikalisch und lyrisch wie ein (sehr gelungener) Werbeslogan eines Fitneß-Centers Mitte der 80er Jahre wirkt. Ein bißchen peinlich hingegen ist die Slow-Tempo-Ballade "Offen für alles", die durchaus von Jürgens bevorzugter Partei "Liberales Forum" (LIF) und deren Frontfrau Heide Schmidt als Hymne im Nationalratswahlkampf eingesetzt werden könnte, obgleich wohl nicht einmal Heide "Ich-hasse-den-Jörg-Haider" Schmidt jemals so viele linksliberal-politisch korrekte Phrasen in nur 4 Minuten und 22 Sekunden genutzt hat. Nach der gelungenen Ballade "Bring’ ein Licht ins Dunkel" (neues Titellied der gleichnamigen, meist recht "wütend und betroffenen" ORF-Spendenshow) beginnt der orchestrale Teil des 16-Lieder-Albums mit schweren Hymnen der Sorte "Tanz auf dem Regenbogen", "Beziehungs-Weise" und des bereits erwähnten Monumental-Medley "Krone der Schöpfung".

Udo Jürgens, der im Schnitt alle halbe Jahre ein neues Album auf den Markt bringt, hat noch niemals ein "ganz schlechte" Platte aufgenommen, aber immer wieder mittelmäßige. "Ich werde da sein" hingegen ist seit 1995 sein erstes richtig überzeugendes Werk, das sämtliche seiner kompositorischen und arrangementbezogenen Fähigkeiten zeigt. Nur sollte er in Zukunft vielleicht darauf achten, in seinen Texten nicht zu sehr Wahlpropaganda für die österreichische Spielart der Liberalen zu betreiben, und sich statt dessen lieber auf sein bekannte Mischung aus Romantik, Melancholie und Wortspielen beschränken, die seit Jahrzehnten seine Anhänger begeistert.


 
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