© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


Kosovo-Krieg: Die Amerikaner haben sich verschätzt
Der Preis des Todes
Alain de Benoist

Dieselben humanitären Organisationen, die im August 1995 dem Schicksal Hunderttausender serbischer Flüchtlinge aus der Krajina noch vollkommene Gleichgültigkeit entgegenbrachten, eilen den albanischen Flüchtlingen aus dem Kosovo zu Hilfe, die heute gegen ihren Willen in den Darstellungskrieg verwickelt werden. Währenddessen fallen die Bomben der Nato auf Belgrad und andere Großstädte Jugoslawiens. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs wird eine europäische Hauptstadt von Bomben zerstört. Das Jahrhundert endet, wie es begann: mit einem Krieg auf dem Balkan.

Doch dieser Krieg hat seine Bedeutung bereits geändert. Es geht nicht länger, wie noch vor kurzem behauptet wurde, um die Erzwingung der Rückkehr Präsident Milosevics an den Verhandlungstisch. Von nun an geht es darum, sein Land zu verwüsten und die Serben in die Knie zu zwingen. Denn die Serben geben nicht nach, und genau dies kann der Westen nicht begreifen. Die Machthaber in Washington sind gewöhnt, die gesamte Weltbevölkerung als Möchtegern-Amerikaner zu betrachten, und nicht in der Lage, sich vorzustellen, daß jemand anders reagieren könnte, als sie selbst es tun würden. In ihrer Naivität bilden sie sich ein, die "Vernunft" regiere die Welt. Als Utilitaristen glauben sie an das "Zuckerbrot-und-Peitsche"-Prinzip.

Zu Anfang war die Situation aus ihrer Sicht eindeutig: Man bombardiert Serbien, und die Serben ergeben sich. Das Kräfteverhältnis untermauerte dies: Was kann ein kleines Volk von zehn Millionen Einwohnern gegen die enorme Kriegsmaschinerie der weltweiten Hypermacht ausrichten? Jeder Widerstand war offensichtlich unvernünftig. Doch die Serben sind nicht "vernünftig". Sie sind so unvernünftig, daß sie sich acht Jahrhunderte lang der ottomanischen Herrschaft widersetzten, alldieweil die Albaner massenhaft zum Islam konvertierten. Die Amerikaner, die Konflikte als Hollywood-Szenen mit "Guten" und "Bösen" sehen und der Geschichte keinerlei Bedeutung zumessen, wissen dies zweifellos nicht. Aber sie hätten zumindest aus den Bombardierungen Vietnams, Afghanistans und des Iraks etwas lernen können. Sie hätten lernen können, daß es im Gegensatz zur Allmacht der Technologie auch eine Macht der Energie und der Bereitschaft zum Widerstand gibt. Diese Macht ist zweifelsohne weniger spektakulär, aber manchmal übertrumpft sie alle anderen. Auch dies können die Amerikaner nicht nachvollziehen, da sie der modernen Vorstellung verfallen sind, nichts sei schlimmer als der Tod. In Serbien stehen sie nun Männern und Frauen gegenüber, die noch glauben, daß es Wichtigeres gibt – Dinge wie Vaterland, Heimat oder die Ehre eines Volkes, für die es sich lohnt, sein Leben zu lassen, um sie zu gewinnen oder zu bewahren. Daher rührt die Vorstellung der Amerikaner, daß Milosevic nicht bloß ein Mann ist, der eine verabscheuenswürdige Politik betreibt, sondern eine Verkörperung des Bösen. Die Konsequenz dieser Vorstellung ist, daß gegen das Böse alle Mittel recht sind: Wenn man im Namen der "Menschlichkeit" Krieg führt, läßt es sich nicht vermeiden, daß man dem Gegner die Menschlichkeit abspricht.

Politiker und Regierungschefs sind heutzutage der öffentlichen Meinung hörig, die wiederum der Vorstellung verfallen ist, es gebe nichts Schlimmeres als den Tod, und deshalb nicht zulassen kann, daß die "boys" in einen Konflikt verwickelt sind, bei dem sie ums Leben kommen könnten. Diese Haltung ist offenkundig unrealistisch. Sie ist noch dazu unlogisch – wer gegen das Böse kämpft, sollte zumindest bereit sein, ihm die größtmögliche Treue zum Guten entgegenzusetzen, nämlich das Heldentum.

"Die Bestimmung dieses virtuellen Soldaten, dieses Soldaten, der keiner mehr ist", sagte Jean Baudrillard sehr richtig, "ist das Abbild des zivilisierten Menschen, dem Einsatzbereitschaft und kollektive Werte weitgehend abhanden gekommen sind und dessen Leben für nichts in der Welt aufs Spiel gesetzt werden darf. (...) Das Individuum, wie wir es geschaffen haben, ist jener letzte Mensch, den Nietzsche beschwört. (...) Dieser letzte Mensch kann genau deswegen nicht mehr geopfert werden, weil er der letzte ist. Niemand hat mehr das Recht, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, seitdem sich dieses auf seinen Nutzwert und sein materielles Fortdauern beschränkt." (Libération vom 17. Juli 1995)

Die politische Klasse spricht weiterhin davon, "Europa aufzubauen", während sie sich eifrig an der Zerstörung eines europäischen Landes beteiligt. Jedoch kann zur Zeit niemand absehen, wohin dieser Krieg noch führen wird. Am Ende aber muß der Preis des Todes immer von irgend jemandem gezahlt werden.


 
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