© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


Unbemannte Flugkörper: Europa scheint wieder einmal den Anschluß zu verpassen
Konjunktur himmlischer Spione
Ronald Gläser

In der Nacht zum Donnerstag vergangener Woche hat die amerikanische Luftwaffe über Jugoslawien eines ihrer unbemannten Flugzeuge, auch Drohnen genannt, verloren.

Drohnen transportieren hochauflösende Digital- oder Infrarotkameras und senden die Bilder live an die Bodenstation, dienen also meist der Aufklärung des Geländes hinter den feindlichen Linien. Nach dem Abschuß des US-Piloten Gary Powers über der Sowjetunion 1960 hatte die amerikanische Luftwaffe mit der Entwicklung solcher unbemannter Flugkörper begonnen.

Im Vietnamkrieg kamen erstmals Drohnen vom Typ Lightning Bug zum Einsatz. Im Golfkrieg setzten die Amerikaner erneut unbemannte Aufklärungsflugzeuge ein. Neuere Modelle haben sogar die Größe von mittleren Passagierflugzeugen und können sich sogar gegen feindliche Jäger zur Wehr setzen oder Angriffe auf Bodenziele ausführen. Der 1995 von der US-Luftwaffe in Dienst gestellte Global Hawk hat eine Spannweite von 35 Metern und wiegt 3,5 Tonnen. Er operiert in einer Höhe von bis zu 20.000 Metern und kann 42 Stunden in der Luft blieben. Das versetzt das US-Militär in die Lage, ihn von Florida aus bis nach Jugoslawien fliegen zu lassen, wo er mehrere Stunden lang aufklärt, um anschließend auf einem naheliegenden Stützpunkt (wie der Türkei oder Italien) zu landen. Kleinere Drohnen, die fast an Spielzeugflugzeuge erinnern und nur eine Spannweite von zwei bis fünf Metern haben, werden von Bodentruppen zum Ausspähen gegnerischer Artilleriestellungen eingesetzt. Als Bodenstation dient ein gewöhnlicher Laptop. Auch das in Mazedonien stationierte Drohnen-Bataillon der Bundeswehr verfügt über 16 Flugkörper vom Typ CL289.

Aber nicht nur für das Militär sind unbemannte Flugkörper von Nutzen. Mittlerweile hat sich eine ganze Industrie entwickelt, die Drohnen für die zivile Nutzung anbietet. Der Schwerpunkt liegt dort, wo man auch in der Rüstungsindustrie schon federführend ist: in Amerika. Rund um San Diego produzieren ein gutes Dutzend Firmen unterschiedliche Drohnen, von denen viele Aufgaben in der zivilen Luftfahrt ausüben. Das Volumen dieses Wachstumsmarktes läßt sich derzeit mit etwa 600 Millionen Dollar beziffern.

Unbemannte Flugkörper werden beispielsweise von den Betreibern großer Pipelinenetze dazu eingesetzt, diese zu überwachen. Saudi-Arabien baut gerade seine Drohnen-gestützte Pipelineüberwachung aus. Der russische Energieversorger Gazprom, der über ein Drittel der weltweiten Erdgasreserven verfügt, plant ebenso, seine Pipelines durch computergesteuerte Drohnen überwachen zu lassen. Brücken, Dämme, Überlandleitungen oder Naturschutzgebiete – alles ließe sich kostengünstiger als bisher durch unbemannte Flugkörper überwachen. Die Filmindustrie kann Stuntszenen risikofrei herstellen. Verkehrsleitsysteme könnten sich ebenso Drohnen zunutze machen.

Fachkreise sehen einen neuen Markt in seiner Entstehungsphase. Allerdings befindet sich diese Branche noch "im Embryostadium" (US-Regierung). Doch während die Clinton-Administration nun auch die zivile Nutzung von Drohnen nachhaltig fördert, hinken die europäischen Staaten wieder einmal hinterher. Der Luft- und Raumfahrtetat der Bundesrepublik hat sich seit Mitte der 90er Jahre fast halbiert. US-Regierung und Luftfahrtindustrie dagegen haben die Zeichen der Zeit erkannt, und schon heute sind die Amerikaner im Bereich der unbemannten Luftfahrt ebenso führend wie mit ihren Nachrichtensatelliten und dem GPS-System.


 
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