© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


Medien: Am Wochenende feiert die "taz" ihren 20. Geburtstag
Eine Zeitung wie andere
Thorsten Thaler

Nicht mehr oft, aber immerhin manchmal noch leben in der überregionalen Berliner tageszeitung  jene Tugenden auf, die an ihren Anspruch aus Gründertagen erinnern, anders als andere Zeitungen sein zu wollen. So zum Beispiel vor vier Wochen, als der überraschende Rücktritt von Finanzminister und SPD-Chef Oskar Lafontaine mit der flapsigen Schlagzeile "Toskana, ich komme" vermeldet wird.

Oder wie zuletzt vor vierzehn Tagen in der Ausgabe zu Ostern, als die taz auf ihrer Titelseite mit der Schlagzeile aufwartet "Grüne gehen in Deckung: Kriegsparteitag Himmelfahrt", illustriert mit einem Kupferstich von 1625/27 von Matthaeus Merian dem Älteren und der Bildunterschrift "Christi Himmelfahrt nach der Apostelgeschichte. Oder vielleicht doch Joschka Fischers unaufhaltsame Entfernung von der klagenden bündnisgrünen Basis?" Doch soviel Vorwitzigkeit ist selten geworden in den letzten Jahren.

Von der ersten regulären Ausgabe am 17. April 1979 – nach vier Nullnummern – hat die taz als linksalternative radikale "Stimme der Gegenöffentlichkeit" bis zum regierungsnahen Blatt einen langen, steinigen Weg zurückgelegt. Hervorgegangen aus der "Neuen Linken", bilden sich 1978 in mehr als 20 Städten sogenannte Initiativgruppen, die das Projekt einer täglich erscheinenden autonomen Zeitung diskutieren. "Die Tageszeitung soll kein Meinungsblatt werden, das jeden Morgen der Lektüre eines bürgerlichen Nachrichtenblattes einen linksradikalen Kommentar zum Zeitgeschehen zur Seite stellt. Der Anspruch ist vielmehr, ein umfassendes Nachrichtenblatt zu machen, in dem außer den in bürgerlichen Zeitungen üblichen Nachrichten und Informationen auch solche stehen, die gewöhnlich unterdrückt oder verfälscht werden." So steht es in einem "Prospekt Tageszeitung" von 1978, der späterhin als Gründungsdokument in die Geschichte der taz eingehen sollte.

Im Jahr darauf heißt es an die Leserschaft der ersten täglichen Ausgabe gerichtet: "Wir werden versuchen, ein Blatt gegen jede freiwillige Zensur und Nachrichtensperre zu publizieren. Kein Linienblatt, aber eine linke, radikale, auch satirische Zeitung – täglich! Den unterschiedlichsten Leuten soll darin Platz gegeben werden, gegen traditionellen, distanzierenden Profijournalismus zu schreiben."

Von einer kritischen und mithin professionellen Distanz gegenüber den bevorzugten Themen ist in den ersten Jahren der taz tatsächlich wenig zu spüren: Nato-Nachrüstung, Atommüll-transporte, Hausbesetzungen, Dritte-Welt-Bewegungen, Feminismus, Volkszählungsboykott – die engagierten Zeitungsmacher der ersten Stunde sind mehr von ihrem Ehrgeiz getrieben, die Welt verbessern zu wollen, als handwerklich soliden Journalismus hervorzubringen. So erreicht die Anzahl der orthographischen Fehler schon mal die Höchstmarke von 212, wie Kritiker in jenen Jahren pedantisch nachzählen.

Der Bruch kommt für die taz 1989, markiert wird er durch drei Parameter: den Kauf einer Immobilie in der Kochstraße schräg gegenüber des Axel Springer Verlages im Bezirk Kreuzberg, die erstmalige Beteiligung der Grünen am Berliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper und den Fall der Mauer am 9. November.

Mit dem von Gründungsmitglied und Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch eingefädelten Immobiliengeschäft katapultiert sich das seinerzeit noch zu Einheitslöhnen arbeitende taz-Kollektiv nicht nur aus einer Fabriketage im Arbeiterbezirk Wedding mitten ins alte Berliner Zeitungsviertel; nebenbei bewirkt der Umzug, daß sich die taz fortan privaten Anlegern und Banken als halbwegs investitionswürdiges Unternehmen empfehlen kann.

Die Regierungsbeteiligung der Grünen setzt – ungleich stärker als nach der Wahl in Hessen 1985 – in der taz einen Prozeß des Umdenkens frei, der zu einem veränderten Selbstverständnis ihrer Rolle im Medienbetrieb führt. "Jetzt sind wir Regierungsblatt", meint die damalige Redaktionsleiterin Georgia Tornow, als sie 1989 den Dalai Lama durch das taz-Haus führt.

Der Fall der Mauer und die nachfolgende Implosion sozialistisch verfaßter Staats- und Gesellschaftsordnungen schließlich löst in der taz – wie überall auf der Linken – eine tiefgreifende Erschütterung langgehegter Selbstgewißheiten und Utopien aus.

In den Neunzigern beschleunigt sich der Wandel der taz, nicht zuletzt forciert durch häufige Personalwechsel in der Redaktionsspitze (allein mit den Ex-Chefredakteuren ließe sich eine komplette Redaktion aufbauen) und die ökonomische Dauerkrise des Blattes. Seit den Anfängen vom "Verein der Freunde der alternativen Tageszeitung e.V." finanziell gestützt, sorgt seit 1992 eine Genossenschaft für das wirtschaftliche Überleben der taz; bis Ende Januar dieses Jahres haben sich – nach mehrfach wiederholten und jeweils dramatisch inszenierten Rettungskampagnen – etwa 4.050 Leser an der Verlagsgenossenschaft beteiligt und zusammen 7,49 Millionen Mark Kapital gezeichnet.

Heute, am Vorabend ihres 20. Geburtstages, ist die taz geworden, was sie doch nie sein wollte: eine Zeitung wie alle anderen, Pflichtblatt nur noch für mitgealterte Grünen-Politiker. Die einstmals berüchtigte Sponti-Attitüde, der vorlaute, zuweilen rüpelhafte Gestus gehören – Ausnahmen bestätigen diese Entwicklung – der Vergangenheit an. Geblieben sind allenfalls noch die Lust an endlosen Debatten auf der Meinungsseite ("Die Linke und der Staat"), die eine oder andere Brutalsatire sowie gelegentliche Schlagzeilen und Bildunterschriften, die aufmerken lassen. Insgesamt aber dürfte das zu wenig sein, um auf dem hart umkämpften Zeitungsmarkt in der deutschen Hauptstadt zu einem meinungsbildenden Blatt zu werden. Die Anpassung könnte sich für die taz-Macher in ihrem dritten Lebensjahrzehnt noch bitter rächen.


 
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