© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/99 16. April 1999


CD: EBM
Europäische Wurzeln
Ulli Baumgarten

Daß es jenseits des anglo-amerikanischen Pop-Universums, gefüllt mit solchen Langweilern wie Mariah Carey, Michael Jackson, Madonna et. al., auch noch Musik mit originären europäischen Wurzeln gibt, dringt kaum ins Bewußtseins des durchschnittlichen Hörers. Selbst wenn er sich dessen doch noch erinnern sollte, reduziert er diese "europäische" Musik vornehmlich auf Modern Talking, Mr. President und andere, die sich letztendlich in nichts vom genauso seelenlosen US-Pop unterscheiden.

Um so erfreulicher ist es, wenn man dann Musik zu hören bekommt, die nicht nur eigenständig ist, sich also auf europäische Wurzeln besinnt, sondern auch noch qualitativ – verglichen mit anderen Industrieprodukten – von einem anderen Stern zu kommen scheint.

Die französische Gruppe Forbidden Site, die schon mit ihrem Debut-Album "Sturm und Drang" in der Metal-Szene für Furore sorgte, veröffentlichte dieser Tage ihr zweites Album "Astralgeist". So wie sich das Erstlingswerk "Sturm und Drang" letztendlich der Kategorisierung "Metal" entzog, so ist auch die neue CD wieder viel zu komplex, als daß sie sich unter solch einer Rubrik subsumieren ließe.

Die in Französisch, Deutsch, Latein und Englisch gehaltenen Texte sind allesamt durchdrungen von abendländischer Literatur und Poesie – diesmal wagen sich Forbidden Site in einem ihrer Lieder sogar an den Theaterrevolutionär Antonin Artaud – sowie dem Streben nach Stärke, Wahrheit und Schönheit.

Musikalisch gesehen haben sich die vier Franzosen gegenüber dem Erstling noch einmal gewaltig gesteigert, haben sich noch mehr vom klassischen Okkult-Metal, dem sie ohnehin nie ganz angehörten, gelöst und statt dessen konsequent einen eigenen Weg beschritten. Was an Forbidden Site so besticht, ist die Leidenschaft, die einem in jedem ihrer Lieder begegnet; würde es nicht so abgedroschen klingen, könnte man sagen, daß die Lieder wirklich mit "Herzblut" geschrieben wurden.

Sicherlich ist das keine Musik, die leicht zu konsumieren ist, worauf dieses Quartett mit seinem elitären Anspruch wohl auch kaum Wert legen dürfte, aber es belegt die Qualität, die in Teilen der "Schwarzen Szene" zu finden ist. (Solistitium Records, Postfach 1210, 26802 Moormerland)

Aus Deutschland kommt das Unternehmen Dreizack. Ihr Erstlingswerk ist betitelt "Lüge wird Wahrheit, Frieden ist Krieg" und zollt damit Tribut an George Orwells Roman "1984" und dessen prophetischen Blick in eine Gesellschaft der totalen Überwachung und Umwertung aller Werte.

Musikalisch umgesetzt wird diese Absicht mit Hilfe harter Elektro-Rhythmen, die einem nicht nur die Kopfhörer um die Ohren fliegen lassen, sondern auch musikalisch etwas zu bieten haben. Es liegt natürlich in der Natur der Sache, daß elektronische Musik wie EBM hart und aggressiv ist, man erinnere sich an alten Scheiben von Front 242 oder DAF, aber Unternehmen Dreizack zeigen, daß Härte und Aggressivität auf der einen und Intelligenz und Tanzbarkeit auf der anderen Seite einander nicht ausschließen müssen.

Ebenso wie die beim selben Musiklabel produzierende Gruppe Feindflug dürften auch Unternehmen Dreizack  ihren Weg in die deutschen alternativen Charts machen. Zu wünschen wäre es ihnen.


 
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