© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/99 23. April 1999


Grüne: Kontroverse Diskussion auf sächsischem Landesparteitag
Pazifisten und Kriegstreiber
Paul Leonhard

Verkehrte Welt in Chemnitz: "Vom Kampfeinsatz zurück", meldete sich der sächsische Grünen-Sprecher Karl-Heinz Gerstenberg auf dem zweiten Landesparteitag seiner Partei, wo die Landesliste für die Landtagswahlen im September gewählt werden sollte. Ausgerechnet von rund 300 Parteigängern und Sympathisanten der SED-Nachfolgeorganisation PDS mußte er sich zuvor als Kriegstreiber beschimpfen lassen.

Die Kritik an dem Landeschef der sächsischen Bündnisgrünen traf den Falschen. Gerstenberg ist überzeugter Pazifist. Andererseits spiegelt sie die prekäre Situation wider, in der sich die ehemaligen Bürgerrechtler auch in Sachsen befinden. Hier wie in den anderen neuen Bundesländern lehnt die Mehrheit der Bevölkerung den Bombenkrieg der Nato im Kosovo ab. Besonders stark ist die Abneigung gegen Bomben naturgemäß in den Großstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz, in denen heute noch vielfach die Narben der alliierten Bombenangriffe des Zweiten Weltkrieges zu sehen sind.

Die PDS-Demo hatte die Bündnisgrünen zu einer Unterbrechung ihres zweitägigen Landesparteitages bewogen. Geschlossen zogen die rund 80 Delegierten zum Karl-Marx-Denkmal, um sich den Kundgebungsteilnehmern zu stellen. So hielt Gerstenberg seine Kandidatenrede vor mehr Ex-Einheitssozialisten als eigenen Parteimitgliedern.

Die Haltung der sächsischen Bündnisgrünen zum Jugoslawienkrieg stellte daher auch den Auftakt der Diskussion auf der Landeskonferenz dar. Viereinhalb Stunden diskutierten sie über den Krieg im Kosovo. Ein Antrag des Landesvorstandes plädierte für eine politische Lösung des Konfliktes. Jede diplimatische Chance müsse genutzt werden, um die militärische Auseinandersetzung zu beenden, hieß es in dem Papier. Die Bundesregierung müsse Militäreinsätzen ohne Uno-Mandat eine klare Absage erteilen. Der Luftangriff sei offensichtlich nicht geeignet, die Menschen im Kosovo vor Vertreibung und Mord zu schützen.

Bereits zuvor hatten neun Mitglieder von Bündnis 90/ Die Grünen aus Protest gegen die Nato-Angriffe auf Jugoslawien und die Zustimmung der grünen Bundestagsfraktion zu dieser Politik ihren Austritt aus der Partei erklärt.

Als Spitzenkandidatin wurde Bündnissprecherin Gunda Röstel gewählt. Als einzige Kandidatin erhielt sie allerdings nur 59 von 81 abgegebenen Stimmen. In dem Ergebnis spiegelt sich offenbar die Ablehnung des Friedensplanes von Außenminister Joschka Fischer durch eine Anzahl von Delegierten wider. Gunda Röstel hatte auf dem Parteitag für die Fischer-Vorschläge geworben. Da nützte ihr auch das Versprechen nichts, "Grünen Pfeffer unter den Sitz der Regierung" zu streuen. Die weiteren Listenplätze belegen Gerstenberg, Ines-Maria Köllner, Stefan Schönfelder und Anne-Katrin Olbrich.

Die Aussichten, daß die Grünen am 19. September den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, sehen eher düster aus. Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest Burke Incom München würde die Partei lediglich vier Prozent der Stimmen gewinnen. Bereits 1994 waren die Grünen mit 4,1 Prozent beim Wiedereinzug in den Landtag gescheitert.


 
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