© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/99 23. April 1999


Schweiz: Verfassungsreferendum bringt gravierende Neuerungen
Eidgenossen ist gestrichen
Philippe P. Märgerle

Am 18. April 1999 wurde dem Schweizer Souverän der Entwurf einer neuen Bunderverfassung vorgelegt. Die eidgenössische Verfassung istseit der Gründung des Landes als moderener Bundesstaat 1848 erst ein einziges Mal total revidiert worden (1874). Seit damals hat es zwar zahlreiche Teilrevisionen gegeben, allgemein herrschte jedoch Einigkeit, daß die Bundesverfassung von 1874 trotz ihrer kleinen Schönheitsfehler – so werden zum Beispiel auch Wanderwege auf der Stufe dieses Grundgesetzes geregelt – ein solides Fundament des direkt-demokratischen, föderalen und neutralen Kleinstaates bilden würde. Der neue Vorschlag wurde nun mit 59 Prozent der Stimmen und von 13 der insgesamt 23 Kantone gutgeheißen.

Die weigehend vom abgetretenen CVP-Bundesrat Arnold Koller, der vor seiner Zeit als Bundesrat Professor für Verfassungsrecht war, geprägte Neufassung war auf weiter Strecke unbestritten und so haben auch sämtlich Bundesratsparteien (Sozialisten, Christdemokraten; Freisinnig-Demokraten und Schweizerische Volkspartei SVP) die Ja-Parole beschlossen. Die in rechtskonservativen Kreisen befürchtete Streichung der Anrufung Gottes in der Präambel, die beginnt "Im Namen Gottes des Allmächtigen", ist ausgeblieben. Hingegen enthält der nur drei Wochen vor der Abstimmung verschickte Entwurf einige Änderungen, die sowohl im rechten Flügel der SVP als auch bei kleineren Rechtsparteienen und -organisationen auf Widerspruch stießen. Der extremen Linken gingen pikanterweise just diese Änderungen jedoch zuwenig weit, so daß auch die kommunistische Partei der Arbeit und einige andere Splittergruppen die NEIN-Parole beschlossen hatten.

Normalerweise hatten die Stimmbürger für nur einen neuen Verfassungsartikel bzw. eine einzelne Gesetzesvorlage bereits drei bis vier Wochen Zeit. Diesmal jedoch sollen sie die Meinung bilden. Dieses Vorgehen führte zu einer Beschwerde altehrwürdiger Exponenten aus dem rechtsbürgerlichen Lager an den Bundesrat und das Bundesgericht, die freilich abgeschmettert wurde. Der Inhalt der neuen Verfassung erinnert dann auch unweigerlich an den Inhalt des Parteiprogramms aus dem linken Teil des politischen Spektrums: Anstatt vom "Schweizervolk" ist neu lediglich von eine nicht näher definierten Bevölkerung die Rede, anstelle von "Vaterland" und "Schweizer Nation" heißt es neu nur noch "Land" und auch das Wort "Eidgenossen" sucht man vergeblich. Doch neben diesen eher symbolischen Änderungen enthält die neue Verfassung auch einige substantielle Neuerungen, die vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen wären. In Artikel vier wird das Rechtsgleichheitsgebot dahingehend geändert, daß nicht mehr nur alle "Schweizer", sondern "alle Menschen vor dem Gesetz" gleich sind. Völkerrechtliche Konventionen und Pakte werden für das Bundesgericht und die anderen rechtanwendenden Behörden und Kantone zwingend vorgeschrieben, Völkerrecht also höher gestellt als das – weltweit einmalige – Initiativrecht der Schweizer Stimmbürger. Die geplante Streichung des Artikels 18 der bisherigen Verfassung, wo es über das Wehrwesen heißt: "Die Waffe bleibt in den Händen des Wehrmannes" untergräbt die Wurzeln des Selbstverständnisses vieler Schweizer Soldaten, welche im Ausland stets dafür bewundert wurden, daß sie ihr Gewehr nach Hause nehmen durften und nach erfüllter Dienstpflicht behalten konnten. Kinder sollen hingegen von nun an "ihre Rechte im Rahme ihrer Urteilsfähigkeit selbst ausüben" können. Indem der Staat durch die Verfassungsänderung zur Garantie dieser Kinderrechte verpflichet wird kann er künftig in die Erziehung der Eltern eingreifen. Zukünftig soll die traditionelle Familie auch durch folgenschwere Umdefinition abgeschafft werden: "Die Familie ist eine Gemeinschaft von Erwachsenen und Kindern." (Art. 41) Liest man dies zusammen mit der geplanten Änderung von Artikel 8, wonach niemand wegen seiner Lebensform diskrininiert werden darfmüssen alle Lebensformen mit Kindern akzeptiert werden. Mit der Abschaffung des Elternrechtes wird die Familie als Grundlage des Staates und als Keimzelle der Demokratie abgeschafft.

Doch ein Trostpflaster war für die Nationalkonservativen der Wahlausgang in Zürich, Luzern und Tessin. In diesen drei Kantonen fanden zeitgleich mit der eidgenössischen Abstimmung Legislativ und Executivwahlen statt. Geradezu erdrutschartig gewanndabei die Stramm rechte SVP: In Zürich konnte sie ihren Stimmenanteil von 21 auf 28,5 Prozent steigern; im 180köpfigen Kantonsrat ist sie neu mit 62 anstelle von bisher mit 40 Sitzen vertreten und löst damit die jahrzehntelang domnimierende Freisinnig-Demokratische Partei FDP ab, die in Zürich ihre Hochburg hatte. Die FDP verlor elf Sitze und verfügt nur noch über 35 Mandate. Doch die SVP-Gewinne gingen nicht nur auf Kosten der anderen Bürgerlichen, denn die CVP gewann sogar zwei Sitze hinzu und verfügt nun über 13 Kantonsräte. Die Sozialisten und die Grünen konnten sich nicht halten, so daß es in Zürich für die nächsten Jahre nicht nur mehr sondern auch rechtere Rechte gibt.


 
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