© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/99 23. April 1999


Energieressourcen: Wachsende Schlüsselstellung der Türkei
Globales Schachspiel
Michael Wiesberg

Nach Berichten der US Information Agency (USIA) unternimmt die Regierung Clinton derzeit im Rahmen der "Initiative Kaspisches Becken" massive Anstrengungen, um die zentralasiatische Region, insbesondere aber das Gebiet um das Kaspische Meer, infrastrukturell zu entwickeln und politisch zu stabilisieren. Richard Morningstar, ein enger Ratgeber von Präsident Clinton und Minister für die Angelegenheiten der Kaspischen Region, nannte in einer Rede vor der Cambridge Energy Research Association (CERA) vom 7. Dezember 1998 insgesamt vier Ziele, die die USA in Zentralasien verfolgen. Generell ziele die Politik der USA auf eine Stärkung der Unabhängigkeit der neuen zentralasiatischen Staaten und auf die Beförderung politischer und ökonomischer Reformen. Um die Wahrscheinlichkeit regionaler Konflikte zu senken, würden die Amerikaner versuchen, die ökonomischen Bindungen zwischen diesen Staaten zu intensivieren, die in ihrer bisherigen Geschichte zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form miteinander kooperiert haben. Schließlich diene das Engagement der Amerikaner nach den Ausführungen Morningstars der Sicherung von Energievorräten für die USA und angeblich auch ihrer Verbündeten, indem sichergestellt werde, daß das geförderte Erdöl und Erdgas frei auf den internationalen Märkten gehandelt werden könne. Darüber hinaus gehe es den Amerikanern in dieser Region natürlich um die Steigerung der geschäftlichen Aktivitäten der dort engagierten US-Unternehmen. Um diese Ziele erreichen zu können, so Morningstar, sei es aus Sicht der USA notwendig, daß kein einziger der involvierten Staaten jemals eine Monopolstellung gegenüber US-Firmen erreiche.

Von der durch die USA angestoßenen Initiative sind die Türkei, Georgien, Aserbaidschan und Armenien auf der westlichen Seite des Kaspischen Meers sowie Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan auf der östlichen Seite betroffen. Phillip Kurata, Redakteur bei der USIA, bezeichnete den Bau einer Ost-West-Pipeline von den Erdöl- und -gasfeldern der ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken in die Türkei als zentralen Bestandteil der US-Strategie in der kaspischen Region. Diese Trassenführung würde sowohl russisches als auch iranisches Territorium aussparen. Zu diesem Zweck ist der Bau einer "Main Export Pipeline" (MEP) geplant, mit der ca. 45 Millionen Tonnen Rohöl jährlich von Baku (Aserbaidschan) über Georgien nach Ceyhan (Türkei) transportiert werden sollen. Diese Pipeline wird auch Israel als Energiequelle dienen, schreibt Kurata, das derzeit unter der Führung der USA eine strategische Partnerschaft mit der Türkei aufbaue.

Darüber hinaus unterstützen die USA den Bau einer transkaspischen Erdgas-Pipeline (TCP), die Erdgas von Turkmenistan durch das Kaspische Meer, über Aserbaidschan sowie Georgien in die Türkei transportieren soll. Welchen Stellenwert die hier skizzierten Vorhaben auch für Israel einnehmen, zeigt die Tatsache, daß es den Israelis gelungen ist, einen ehemaligen Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes, Yosef A. Maiman (53), als Berater des Staatspräsidenten von Turkmenistan, Saparmurat Niyazov, zu installieren. Turkmenistan gilt als der Staat mit den drittgrößten Erdgasreserven der Welt. Insbesondere Maimans Wirken wird zugeschrieben, daß die Ziele der USA und der Israelis in Zentralasien entscheidend vorangekommen sind. Auf Betreiben von Maimon unterzeichnete Niyazov, wenn auch nur widerwillig, im Februar einen Vertrag, in dem der Bau einer Pipeline zwischen Turkmenistan und der Türkei festgelegt wird. Als Mittler zwischen den US-Firmen und den Turkmenen agierte Maimon, der darüber hinaus erreichte, daß die geplanten Pipelines weder Rußland noch den Iran durchqueren. Russen und Iraner zogen sich daraufhin aus diesem Projekt verärgert zurück. Die Russen planen jetzt in Kooperation mit der italienischen Firma ENI SpA und der niederländischen Firma ABN-Amro Holding NV ein konkurrierendes Projekt, das eine Pipeline zwischen dem Schwarzen Meer und der Türkei vorsieht.

Auf einer Pressekonferenz verkündete Maiman unterdessen, daß das "Große Spiel" um die Energiereserven in Zentralasien überall stattfinde. Wer die Transportwege kontrolliere, der kontrolliere die Ressourcen, sagte Maiman auf einer Pressekonferenz in Herzliyah in Israel, wo sich sein Büro befindet.

Daß die Amerikaner die Russen und Iraner unter allen Umständen aus dem "Großen Spiel" heraushalten wollen, hat vor allem zwei Gründe: Einerseits wollen die Amerikaner ausschließen, daß Rußland jemals wieder als ernsthafter Konkurrent der USA in Erscheinung treten. die Iraner andererseits sind geschworene Feinde der Amerikaner.

Welchen Stellenwert Zentralasien für die Amerikaner einnimmt, zeigt die von der U.S. Trade and Development Agency (TDA) angekündigte Reise (30. April bis 7. Mai 1999) der amerikanischen Botschafter von Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, der Türkei, Turkmenistan und Usbekistan im Verein mit amerikanischen Geschäftsleuten nach Zentralasien. Diese Reise soll dazu dienen, amerikanische Geschäftsleute über die Entwicklungen in Zentralasien zu informieren. TDA-Direktor Grandmaison begründete die Reise damit, daß die Pipelines die treibenden Kräfte der ökonomischen Entwicklung in der zentralasiatischen Region seien. US-Unternehmen seien entscheidend an der Entwicklung der Infrastruktur beteiligt, mittels derer Erdgas und Erdöl gefördert werden kann. Die Reise der amerikanischen Botschafter wird weiter mit dem starken Engagement von US-Unternehmen begründet, die nach den Worten von Grandmaison überall dort beteiligt seien, wo bedeutende infrastrukturelle Entwicklungen stattfänden.

Die Entwicklungen in Zentralasien müssen auch im Zusammenhang mit dem derzeitigen Konflikt auf dem Balkan gesehen werden. NATO-Generalsekretär Solana, der sich in den vergangenen zwei Jahren zweimal im Kaukasus aufhielt, erklärte vor kurzem, daß Europa nicht wirklich sicher sei, wenn die Staaten des Kaukasus außerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur blieben. Das Kosovo spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. So gab US-Außenministerin Madeleine Albright in einer Rede vor der renommierten Brookings Institution am 6.April 1999 zu Protokoll, daß das Kosovo eine Hauptarterie zwischen Europa, Asien und dem Mittleren Osten sei. Dessen Stabilität berühre direkt die Sicherheit der amerikanischen Alliierten Griechenland und der Türkei im Süden sowie der neuen Allierten Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik im Norden.

Es verwundert daher nicht, daß die Amerikaner im März 1999 eine auf vier Jahre terminierte Initiative starteten, die ein Budget von insgesamt 30 Millionen Dollar umfaßt. Mit dieser Initiative soll die Infrastruktur von Albanien, Bulgarien sowie Mazedonien entwickelt werden. Für die Umsetzung dieser Initiative zeichnet die TDA verantwortlich. In der Begründung der TDA für dieses Projekt steht zu lesen, daß die Staaten des südlichen Balkan und ihre regionalen Nachbarn (z.B. die Türkei) diesen Ost-West-Korridor im zunehmenden Maße als internationalen Korridor ansehen. Dies deshalb, weil er die Regionen um das Schwarze und um das Kaspische Meer miteinander verbinde. Es geht also in der Substanz um die Anbindung der kaspischen Staaten an Westeuropa. Daß Serbien mit seinen ethnischen Konflikten im Kosovo diesen Plänen hinderlich im Weg steht, ergibt sich aus dem Gesagten. Vor diesem Hintergrund kommt den Amerikanern der Kosovo-Krieg nicht ungelegen. Einmal wird durch diesen Krieg ihre Einflußzone auf dem Balkan ausgedehnt. Zweitens ist mit einer langanhaltenden Truppenpräsenz der Amerikaner und ihrer Alliierten im Kosovo zu rechnen, da die Serben eine Autonomie oder gar Unabhängigkeit des Kosovo nicht hinnehmen werden. Diese Truppenpräsenz ermöglicht den Amerikanern wie in der Golfregion die Möglichkeit massiver Einflußnahme, die sie dazu nutzen werden, die Entwicklung in ihrem Sinne voranzutreiben.


 
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