© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/99 23. April 1999


Hans-Helmuth Knütter (Hrsg.): Europa ja, aber was wird aus Deutschland?
Chance zu neuem Selbstbewußtsein
Alexander Schmidt

Droht mit der europäischen Union der völlige politische Gau, besteht sogar die Gefahr, daß sich ein neuer "real existierender Sozialismus" entwickelt? Kann Deutschland überhaupt in einem vereinten Europa etwas gewinnen? Und was passiert, wenn der europäische Traum, wie einige andere Träume, die ihm vorausgingen, auch scheitert?

Gemeinsam mit Autoren von Alain de Benoist und Roland Baader über Christa Meves bis hin zu dem Militärhistoriker Franz Uhle-Wettler beleuchtet der Bonner Politikwissenschaftler Hans-Helmut Knütter in seinem Sammelwerk "Europa ja, aber was wird aus Deutschland" das entstehende europäische Gebilde. Eine Betrachtung, die ergibt, daß uns ein vereintes Europa fast ausschließlich Nutzen bringt – allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Mit der Anpassung an Notwendigkeiten werfen die Autoren vieles über Bord, was der deutschen Rechten bisher heilig war, um eigene Grundsatzpositionen nicht verraten zu müssen. Dem souveränen Nationalstaat wird keine lange Lebensdauer mehr zugesprochen, aus der Staatsnation wird wieder die Kulturnation. Schließlich gibt es eine europäische Idee und Versuche der Umsetzung länger als die europäische Wirtschaftsunion der Nachkriegszeit. Das Staufferreich könne man als Ansatz eines konföderativen Europas sehen, so Hartmut Fröschle. Ebenso seien die Ideen eines Staatenvereines in der Romantik, bei Ernst Jünger und Thomas Mann vorhanden gewesen, ein Modell des Dezentralen und somit der Vielfalt, von dem sich unser heutiges Europa trotz der großen Erfolge immer weiter entfernt. Die Basis dieses Staatenbundes – oder Tribalismus, in dem Alain de Benoist die Lösung für die europäische Frage sieht – ist jedoch eine tief verwurzelte nationale Identität, die bisher in Deutschland noch fehlt, aber bei einem Zusammenrücken der europäischen Staaten unabdingbar wird, damit Europa nicht als schwankendes Gebilde zusammenbricht, sondern von selbstbewußten Völkern getragen wird.

In welches Europa aber tatsächlich gesteuert wird, ist unsicher. Zwar könnten die Menschen in Europa zu einer zukunftsbezogenen Haltung zurückfinden, indem sie sich auf die europäische Idee der Freiheit und der Einzigartigkeit des Individuums beziehen und auf große Leistungen und Traditionen zurückbesinnen, aber Roland Baader sieht statt der Freiheit die Fratze des "Samtpfotensozialismus" zentralistisch aus Maastricht dämmern, der Entscheidungen immer weiter kollektiviert und Menschen entmündigt sowie durch den Versuch, eine Gleichheit zwischen den Ländern zu schaffen, Lähmung hervorruft. Dem setzt er ein dezentrales und freiheitliches Europa entgegen, in dem der Handelsmotor, durch Unterschiede gespeist, läuft.

Wenn überhaupt Vereinheitlichungen für Europa durchgeführt werden sollen, dann müßten diese in den Bereichen Einwanderungs- und Asylpolitik getroffen werden, meint Heinrich Lummer. Das Zusammenwachsen kann nicht über eine "politisch-künstliche Herführung" erreicht werden, sondern durch natürlich gewachsene Prozesse, die Dauerhaftigkeit versprechen. Deshalb müsse die geistig-moralische Wende, die Knütter für Deutschland einfordert, auch die Deutschen von ihrem obrigkeitsstaatlichen Denken lösen, fordert Gerhard Radnitzky. Die Freiheit sei kein obrigkeitsstaatliches Geschenk, sondern jedem Menschen gegeben, unwichtig, ob der Staat gewählt sei oder nicht. Das entscheidende Kriterium müsse sein, ob ein Staat interventionistisch ist oder nicht. Der Staat sei, so Radnitzky, "Treuhänder des Rechts", weil mit allen anderen Eingriffen das Selbstverfügungsrecht aufgehoben werde. Nur wenn sich jemand nicht mehr selbst helfen könne, dürfe der Staat eingreifen. Sollte sich die Politik von diesen Leitlinien verabschieden und auf europäischer Ebene eingreifend wirken, hätte das ein Scheitern der europäischen Idee zur Folge. Dabei führt er die staatlichen Rentensysteme Deutschlands und Hollands an, die im Effektivitätsvergleich mit den USA an letzter Stelle rangieren.

Diese Freiheit sieht der Franzose Alain de Benoist auch durch den ungezügelten Kapitalismus gefährdet, der sich vom sanften Handel verabschiedet habe. Der neue Kapitalismus will, so Benoist, den neuen Menschen – als Verbraucher, nicht als Staatsbürger. Die durch moderne Kommunikation in Auflösung begriffenen Grenzen verstärkten diese Ausprägungen noch, und der Kapitalismus, der früher wegen nicht überbrückbarer Distanzen territorial, also national gebunden war, lebt heute in der "Mc World", überall und nirgends. Eine Spielkasinowirtschaft, die ihre Erfolge aus kurzfristigen Spekulationen bezieht, trenne Kapital und Arbeit mehr und mehr. Schon eine Besteuerung von 0,05 Prozent diese Kapitals könnte diese Spekulationen eingrenzen und einen Erlös von 150 Milliarden Dollar schaffen. Soviel zum Primat der Wirtschaft.

Die Bedeutung der Familie umreißt Christa Meves, Mitherausgeberin des Rheinischen Merkur, in ihrem Aufsatz, weil es hier "um das Sein oder Nichtsein Europas" gehe. Unter der Grundvoraussetzung des angeborenen Geschlechterunterschiedes schafft sie eine Mischung aus extremen Positionen vom Liberalismus als Freiheitswächter der Familie bis zum Kollektivismus als Schutz vor familiärem Egoismus, in der sie die heutige Familie verortet. Kinder, die in einer Mischung aus "Ungeborgenheit und vorsichtiger Kargheit aufwachsen", würden zu "widerstandsfähigen, selbstbewußten Kindern". Wer schließlich in einer Familie selbst gebraucht würde, könne auch Lebenskrisen besser meistern.

Eingehend betrachtet wird auch die EU-Osterweiterung, die bei einem Scheitern des europäischen Projektes für Deutschland die einzige Rettung sein könnte. Eine starke Ostbindung könnte Deutschland in die wirtschaftliche Hegemonialstellung führen, um dem dann politisch dominierenden Frankreich entgegenstehen zu können. Das meint mindestens Gert Meier in seiner Schlußbetrachtung, was bei einem Scheitern Europas aus Deutschland werde. Um von Mittel- und Osteuropa zu profitieren, muß es aber nicht erst soweit kommen. Auch wenn eine Osterweiterung zur Folge hätte, daß der Einfluß der USA auch auf Osteuropa zunehme und daß der Komplex EU handlungsunfähig würde, betont Walter Staffa demgegenüber den "unschätzbaren Reichtum", den die mittel- und osteuropäischen Völker für ein vereintes Europa bedeuten würden. In geopolitischer Betrachtung liegt Deutschland nach dem Zusammenbruch des Sozialismus im Zentrum Europas, woraus sich eine neue Situation ergebe. Die Hanseregion Baltikum bietet für Deutschland die Möglichkeit, wieder als Ostseeanrainerstaat an Bedeutung zu gewinnen. Bindet sich Deutschland jetzt an Rußland ohne dabei die Westbindung zu vernachlässigen, können wir durch enge Zusammenarbeit das wissenschaftliche Potential im Osten für die Zukunft gewinnen.

 

Hans-Helmut Knütter (Hrsg.): Europa ja, aber was wird aus Deutschland? Hohenrain Verlag, Tübingen 1998, 416 S., geb. 49,80 Mark


 
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