© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Nato-Gipfel: Die plüschige Selbstinszenierung des Bündnisses fiel ins Wasser
Grenzen der Vormacht
Hans Brandlberger

Es gab kein rauschendes Fest in Washington, aber die Stimmung war ungetrübt. Die Nato beging ihr Jubiläum in jener Zurückhaltung, die der Kosovo-Konflikt gebietet. Die ursprünglich als plüschige Selbstinszenierung der USA und ihres Präsidenten konzipierte Zusammenkunft geriet zu einem Arbeitsgipfel gewohnter Strenge. Den 18 Partnern der Führungsmacht blieb die ihnen zugedachte Statistenrolle im Spektakel erspart.

Die Militäraktion gegen Jugoslawien stand zwar im Vordergrund, verdrängte aber all das, was über die vergangenen Jahre mühsam ausgelotet und vorbereitet worden war, nicht von der Tagesordnung. Die Nato hat sich ein neues strategisches Konzept gegeben und damit jenes fortgeschrieben, das 1991 auf dem Gipfel von Rom als Reaktion auf das Ende des Kalten Krieges formuliert worden war. Überraschungen sind in ihm nicht enthalten: Die Allianz bekräftigt die schon in ihrem Gründungsdokument von 1949 ausgedrückte kollektive Beistandsverpflichtung, in die nun auch die neuen Mitglieder Polen, Tschechien und Ungarn einbezogen sind. Sie hält an ihrem Zweckoptimismus fest, in jedem Staat der nördlichen Hemisphäre zwischen Vancouver und Wladiwostok einen Partner zu sehen, solange dem kein unübersehbares Fehlverhalten entgegensteht.

Zugleich stellt sie klar, daß sie im euro-atlantischen Raum keine als bedrohlich aufzufassende Krise hinnehmen will. Wo die Prävention versagt oder zu spät kommt, behält sie sich den Einsatz militärischer Mittel im Krisenmanagement vor. Auch davon ist in der Nato schon seit längerem die Rede, doch traute man bislang bloß einzelnen Mitgliedern, insbesondere den USA, die erforderlichen Kapazitäten zu. In Jugoslawien steht nun das Bündnis als Ganzes auf dem Prüfstand, ob es dem eigenen Anspruch auch gerecht wird – politisch und militärisch.

Die Einigkeit des Bündnisses ist durch den Gipfel gefestigt worden: Aus diesem Resümee des amerikanischen Präsidenten war weder Enttäuschung noch Understatement herauszuhören. Man hat abgesegnet und verhandelt, was man bereits absegnen und verhandeln wollte, als eine Zuspitzung des Kosovo-Konfliktes noch nicht zu befürchten war. Man ist sich zugleich aber bewußt, daß über alle Ergebnisse von Washington schon nach einer Beendigung dieses Konfliktes die Zeit hinweggegangen sein kann. Darüber lohnt es sich aber nicht, Klage zu führen. Selbst wenn sich der euro-atlantische Raum tatsächlich in das Korsett einer Sicherheitsarchitektur zwingen ließe: Das 21. Jahrhundert ist nicht dazu verurteilt, krisenhaft zu werden, bloß weil alle Vorbereitungen nicht schon 1999 abgeschlossen werden konnten.

Die Nato hat sich entschieden, in diesem 21. Jahrhundert unverändert eine Schlüsselrolle zu spielen. Dies wird ihr unbeschadet davon gelingen, wie sie aus ihrem Engagement auf dem Balkan herauskommt. Ein Gesichtsverlust wird dabei kaum zu vermeiden sein, wenn man nicht das Risiko in Kauf nehmen möchte, daß der Konflikt ausufert und jeder Kontrolle entgleitet. Weder das Image der Nato noch die selektive Durchsetzung von Menschenrechten noch das Schicksal der Kosovo-Albaner rechtfertigen den Preis, den eine militärische Invasion in Serbien mit sich brächte. Diese Logik muß gelten, auch wenn sie von Slobodan Milosevic ausgerechnet und ausgenutzt werden kann. Diese Logik erlaubt es aber, mit Luftangriffen und einem Embargo das Regime in Belgard so lange zu zermürben, bis es sich zu jenen Konzessionen bereit findet, die für das Bündnis unverzichtbar sind. Die Rückkehr der Flüchtlinge und eine durch ausländische Militärpräsenz gewährleistete Garantie ihrer Sicherheit dürften dieses Minimum charakterisieren.

Die Nato hat sich damit abgefunden, daß eine Lösung nicht ohne einen Vermittler erzielt werden kann, der gute Aussichten hat, als einziger von dem Konflikt zu profitieren. Rußland bindet Serbien an sich, indem es der Nato unmißverständliche Grenzen ihres Handelns setzt und signalisiert damit vor allem, daß es als europäischer Machtfaktor keineswegs ausgeschaltet ist. Die Nato kann immerhin so tun, als hätte sie dies längst geahnt: Die besonderen Beziehungen zu Moskau waren zumindest ein Lippenbekenntnis. Nun zeigt sich, daß es ohne russische Kooperation wohl tatsächlich keine Sicherheit auf unserem Kontinent gibt. Die neue Einsicht in die Grenzen der eigenen Möglichkeiten wird die Nato davon abhalten, sich auf unrealistische Ambitionen festzulegen.


 
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