© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Kolumne
Sackgasse
von Klaus Hornung

Ferdinand Otto Miksche, der französische Militärschriftsteller sudetendeutscher Herkunft und mein militärstrategischer Lehrmeister, schärfte uns in den 50er Jahren immer wieder ein: "Der Atomkrieg findet nicht statt, was macht Ihr aber, wenn der Iwan mit dem Küchenmesser kommt?"

Heute steht die angloamerikanische Luftkriegsstrategie mit ihrem Prinzip des Blutsparens zwar nicht dem Iwan, wohl aber dem serbischen Haiduk mit seiner jahrhundertealten Partisanentaktik im Kosovo gegenüber, und es wiederholt sich die Erfahrung aus dem Zweiten Weltkrieg und Vietnam, daß der Luftkrieg die "Bodentruppen" nicht ersetzen kann. Die Nato hat sich grimmig getäuscht, was das Vertrauen zu ihr nach aller Euphorie in ein realistischeres Licht rücken wird.

Nach der derzeitigen Nachrichtenlage hat indes der Bodenkrieg im Kosovo faktisch begonnen oder steht doch kurz bevor. Das vielgepriesene "westliche Zivilisationsmodell" (Gerhard Schröder) mit seiner Zivilreligion der Menschenrechte, das sich oft allzu großspurig als die Lösung aller Probleme auf dem weiten Erdenrund angepriesen hat, stößt auf die Realitäten dieser Welt. Nicht nur, daß es bisher schon oft allzu selektiv, unernst und inkonsequent angewandt wurde (von den Kurden bis Afrika oder Indonesien). Jetzt wird auch deutlich, daß einem "Blut, Schweiß und Tränen" (Churchill 1940) nicht erspart bleiben, wenn der Gegner zum vollen Ernstfall entschlossen ist. Und das hat der Haidukenchef in Belgrad offensichtlich glänzend kalkuliert.

Nicht zuletzt das deutsche politische Establishment sieht sich aus Selbsterhaltungstrieb außerstande, dem Ernst des Ernstfalls gerecht zu werden. Offensichtlich reicht die Menschenrechtsrhetorik in bequem gewordenen demokratischen Konsum- und Freizeit-Gesellschaften nicht mehr bis zum Ende der Fahnenstange: Man stelle sich in diesem Konflikt nur die Europäier ohne die USA vor, um das ganze hier implizierte militärisch-politische Desaster in seiner Größenordnung zu begreifen. Das westliche Zivilisationsmodell würde hier wohl die weiße Fahne als seiner politischen Weisheit letzten Schluß hissen. Und die russische Zeitung könnte recht behalten, die in diesen Tagen meinte, die Kosovokrise könnte "die Epoche des endgültigen Niedergangs Europas einleiten". Das Fazit aus dem aktuellen Lehrstück: Den Mund mit den vielzitierten "Menschenrechten" nicht mehr allzu voll zu nehmen und aus den deutschen Nachkriegsträumen des Fundamental-Pazifismus endlich auf den Boden der historisch-politischen Realitäten und Erfahrungen zurückzukehren.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim.


 
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