© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Kosovo-Krieg: Vergessene UN-Feindstaatenklausel
Feind als Partner
René Sotier

Bei der Nato-Operation gegen Slobodan Milosevic ist Deutschland einer der aktiv beteiligten 16 Nato-Staaten. Schulter an Schulter mit französischen, britischen und US-amerikanischen stehen auch deutsche Soldaten mit Leib und Leben für Wilson’sche Werte wie Demokratie und Menschenrechte ein. Neben 14 Tornado-Kampfflugzeugen stellte Deutschland sein Staatsterritorium als operative Basis zur Verfügung (zum Beispiel Brüggen-Empt, Spangdahlem). Es wird zudem die Entsendung einer Fernmeldeeinheit sowie von Transporthubschraubern erwogen. Humanitäre Hilfeleistungen von beträchtlichem Umfang zugunsten Vertriebener begleiten das militärische Engagement.

Deutschland nimmt hierdurch nicht nur hohe Kosten, sondern auch erhebliche militärische Risiken in Kauf. Es hat dadurch seine unbedingte Verläßlichkeit als Partner der westlichen Hemisphäre unwiderlegbar unter Beweis gestellt. Nicht "nur" mit Lippenbekenntnissen oder als Finanzier. Durch die deutsche Beteiligung als Alliierter in action der ehemaligen Westalliierten des Zweiten Weltkrieges ist eine "Frontkameradschaft" zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA entstanden. Hierdurch wurde eine neue qualitative Stufe im Beziehungsgeflecht genannter Staaten beschritten. Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands zum Teil geäußerte Ängste des Auslands wurden als unbegründet widerlegt.

Dieser Nachweis unbedingter Westeinbindung indiziert nach herrschender Meinung eine honorierfähige Umkehrleistung zum verbrecherischen Treiben des einstigen Nazi-Deutschlands. Das Fortbestehen eines Relikts aus der Vergangenheit trägt dieser Läuterung jedoch nicht ausreichend Rechnung. Nämlich das der sogenannten Feindstaatenklausel. Zur Gründungszeit der Vereinten Nationen wurde die Rechtsnachfolgerin des Dritten Reichs, die Bundesrepublik Deutschland, noch als (zumindest latenter) Feind betrachtet. In der UN-Charta fand folgerichtig diese Wertung in den Artikel 53 und 107 Einzug. Die Bundesrepublik Deutschland wurde hierdurch, mit Wirkung bis heute, als Feindstaat definiert. Auch wenn aus der UN-Mitgliedschaft Deutschlands eine weitgehende Relativierung dieses Status resultiert, bleibt doch zumindest der Eindruck einer Stigmatisierung bestehen.

Dieser Status erweist sich heute als unhaltbar. Es ist denknotwendig ausgeschlossen, Alliierter in action und "Feind" in Personalunion zu sein. Zudem dürfte sich ein Berufen auf besagte "Privilegierung" seitens der Alliierten als ein Handeln entgegen selbst gesetzter (Rechts-)Tatsachen darstellen. Im Verhältnis zu diesen Verbündeten stellt sich die Feindstaatenklausel somit als vom Zeitgeschehen überholtes Paradoxon dar. Die förmliche völkerrechtliche Lage sollte insofern den tatsächlichen Gegebenheiten angepaßt werden – durch ersatzlose Streichung der Artikel 53 und 107 der UN-Charta.

Erforderlich wäre auch, daß sich derartiges im Einvernehmen mit der Russischen Förderation/Gemeinschaft unabhängiger Staaten, der Rechtsnachfolgerin der UdSSR, vollzöge. Im Verhältnis zu Rußland erweist sich die Beteiligung Deutschlands an den Nato-Angriffen jedoch gerade als schwere Belastung. Rußland sieht in der Nato-Operation eine Penetration seiner Einflußsphäre sowie einen Angriff auf seine slawisch-orthodoxen Brüder, die Serben. Hier wird man aber die Tatsache im Auge behalten müssen, daß die Nato gegen Milosevic vorgeht, um eine Vertreibung, gar einen Völkermord zu beenden. Hinsichtlich dieser Motivation herrscht wohl auch Konsens zwischen Deutschland und Rußland. Zudem erkennt Deutschland die herausragende sicherheitspolitische Kompetenz Rußlands. Es versucht mit all seiner Kraft, dieser zur angemessenen Berücksichtigung zu verhelfen. Dies konkretisierte sich im Hinwirken auf einen außerordentlichen G-8-Gipfel, eine Wiederaktivierung der UN, eine Einschaltung der EU-Regierungschefs, eine Balkankonferenz usf. zwecks Wiedereinbindung der Russischen Föderation in die Konfliktlösung. Es wurde gar der Versuch unternommen, einen deutschen Friedensplan in die Nato-Überlegungen einzubringen.

Seit seiner Wiedervereinigung suchte Deutschland auch mit der Russischen Föderation die Kooperation auf technologischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Basis. Auch auf militärischer Ebene besteht für Rußland kein zwingendes Erfordernis, das moderne Deutschland als "Feind" betrachten zu müssen. Nach dem Zustandekommen einer diplomatischen Lösung der Balkankatastrophe sollte auch die Russische Föderation von den Artikeln 53 und 107 der UN-Charta Abstand zu nehmen bereit sein.

In diesem Sinne kann man nur hoffen, daß es gelingen möge, baldmöglichst eine friedliche Lösung für den Balkan zu finden. Die "deutsche Doppelstrategie" (Außenminister Fischer), bedingungslose Bündnistreue zur Nato ergänzt durch bündnis-abgestimmte diplomatische Initiativen in Richtung Rußland, dürfte nicht die schlechteste Option hin zum Frieden sein, sofern und soweit Rußland das erforderliche Gewicht zuerkannt wird. Für letzteres käme es nicht zuletzt auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien als partnerschaftliche Mittler zwischen Nato und der Russischen Föderation an.


 
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