© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Unverzichtbar
Karl Heinzen

Keine Regierung kann sich darauf verlassen, daß ein Krieg die Bevölkerung automatisch hinter sie schart. Es bedarf der Mittler, die sich auch für eine auf den intellektuellen Nachvollzug politischen Geschehens stolze Minderheit die Muße nehmen, um ihr den unauflöslichen Zusammenhang zwischen pazifistischem Ziel und bellizistischem Weg am eigenen Beispiel nahezubringen. Da die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte, muß sie gegen Widerstände verändert werden: Diese realistische Einschätzung stand am Anfang des langen Marsches in die Regierungsverantwortung, sie darf nicht ausgerechnet jetzt über Bord geworfen werden, wo man an der Bürde des schweren Amtes Gefallen gefunden hat. Es ist gerade einmal zwei Jahrzehnte her, daß der Widerstand gegen die Nato-Nachrüstung scheiterte. Nun darf wenigstens Milosevic als ein weitaus schwächerer Gegner nicht durchkommen.

Die ritualisierte Verachtung, die Joseph Fischer entgegenschlägt, zeugt also von einem unterentwickelten Instinkt für das, was Politik in einer Demokratie ausmacht. Sie ist der Ausweis eines anachronistischen Rigorismus, der nur in gesellschaftlich untergeordneten Positionen überwintern konnte. Immer mehr Menschen sind aber nicht länger gewillt, sich in dieses ungünstige Licht zu setzen. Sie streben nach einem Weg aus den engen Mauern ihrer Einstellung. Joseph Fischer hilft ihnen, einen solchen zu finden. Damit hat er sich um diese Menschen, die gut und gerne seine Gefährten hätten bleiben können, und zugleich um sein deutsches Vaterland verdient gemacht.

Und doch gibt es die Momente der Enttäuschung im Berufsleben des Außenministers. Sie standen ihm auf seinem Gipfeldebüt in Washington ins Gesicht geschrieben. Jeden sensiblen Menschen nimmt es mit, wenn zwischen den Zeilen wenig zu lesen ist. Er hofft, die Diskrepanz zwischen dem, was gedacht, und dem, was gesagt wird, höchstpersönlich ausloten zu dürfen, und verzweifelt, wenn die Motive so eindimensional sind, wie sie sich darstellen. Insofern haben Joseph Fischer seine ersten Ausflüge in die große Politik nichts Neues bieten können. Fast jeder grüne Parteitag wartete bislang mit mehr Doppelbödigkeit auf als jene Gipfel von EU und Nato, die der Außenminister über sich ergehen lassen mußte. Die permanente Unterforderung beschwört jedoch die Gefahr vorzeitiger Amtsmüdigkeit herauf. Schon auf dem Sonderparteitag im Mai könnte sich bei Joseph Fischer die Erkenntnis einstellen, daß seine Talente am falschen Ort nicht zur Geltung kommen. Es wäre aber bedauerlich, wenn er es sich – so wie Oskar Lafontaine – zu einfach machte: Längst schon kann unser Gemeinwesen nicht mehr auf ihn verzichten. Gerade dann, wenn der Glaube an die Gültigkeit von politischen Inhalten schwindet, ist es nämlich wichtig, daß sich die Kontinuität an Personen festmachen läßt. Darin liegt die Chance für eine humane Politik, die sich den wechselnden Zielen der Zeit verpflichtet weiß.


 
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