© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/99 30. April 1999


Parteitag der CDU in Erfurt: Delegierte beraten über politischen Kurs der Union
Lauer Kampf um die Mitte
Ines Steding

Vor den Eingangstoren des CDU-Parteitages werden die Besucher mit Flugblättern auf ein weitgehend ausgespartes Thema hingewiesen: Ost-Alteigentümer plädieren für die Rückgabe dessen, "was sich in der Hand des Staates befindet". Doch innerhalb der lichten Hallen des neuen Erfurter Messezentrums geht es darum dann nicht, vielmehr soll drei Tage lang das alles überwölbende Motto "Mitten im Leben" prägen und zwar nach den typischen Gepflogenheiten eines Parteitages.

Eigens für den Zweck gewählte Delegierte nehmen sich der – von den Führungsgremien vorgegebenen – Themen und Fragen der Zeit an und setzen sie in Beziehung zum gehegten Schatz der Grundüberzeugungen ihrer politischen Formation. Idealiter ist es eben auch ein Geschäft, dessen Ertrag öffentlicher Ansehenszuwachs ist, nicht zuletzt meßbar im Votum des Wahlvolks. So siedelte die CDU ihren Parteitag in Erfurt an, wohl nicht außer acht lassend, daß im September in Thüringen ein neuer Landtag gewählt wird.

Während im "Plenarsaal" in Reden und Aussprachen um Aufbruch und Entwürfe gerungen wird, werben in den Wandelhallen Unions-Gliederungen wie die Frauen Union und Junge Union, die Wirtschaft- und Mittelstandsvereinigung sowie derWirtschaftsrat mit allerlei Werbemitteln um ihre focussierende Sicht der Dinge. Die noch recht jung formierten "Bürgerrechtler in der CDU" fehlen das erste Mal mit eigenem Stand. Sind sie im allgemeinen Brei auf- oder aber untergegangen?

Geschäftig geht es zu. Der immanente Anspruch, historische Wendemarken zu setzen, treibt an: manch ein Delegierter jongliert mit den 3-Tages-Würden schon so gekonnt wie die Vorbilder in natura, die Politiker. Diese sitzen "mitten im Volk", der Delegiertenstatus in einer großen Volkspartei hat etwas von vorgelebter Gleichheit an sich; alle Alter, Schichten und Berufe müssen sich ertragen. Und natürlich werden an der Basis auch die Helden der Vergangenheit gesichtet, jene ehemaligen Minister und Staatssekretäre sowie die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, deren Vertreibung aus Macht und Ämtern nach der verlorenen Bundestagswahl am 27. September vergangenen Jahres das bürgerliche Lager so benommen machte, was vorbei ist. Rot-grüner Dilettantismus, die gewonnene Landtagswahl in Hessen im Februar und aktuelle demoskopische Umfragen füllen die Segel mit neuem Selbstbewußtsein.

Um so mehr richten sich die Blicke auf den neuen Unionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble. Wieviel differentia specifica vermag er vorzugeben, um inhaltlich die Oppositionsrolle, so wie in Ansätzen geschehen, weiterhin mit Nachdruck auszufüllen? Und dies in Anbetracht des alles überschattenden Krieges auf dem Balkan?

Bei letzterer Thematik vermögen sich die CDU und damit Schäuble in der Tat nicht durch eine grundsätzlich abweichende Meinung von der rot-grünen Regierung zu profilieren, aber immerhin wurden mit der mehrheitsgetragenen Ablehnung eines Einsatzes von Bodentruppen und der geforderten parlamentarischen Einbindung aller Entscheidungen die Pflöcke so eingerammt, daß der Union schon bald wieder das Zepter im Diskurs zufallen könnte.

Der nicht von allen in der Partei geliebte Ex-Generalsekretär Heiner Geißler schlug eindrucksvoll die Brücke zwischen Nato-Doppelbeschluß und dem momentanen Kampfeinsatz. Er widerlegte die These des SPD-Politikers Egon Bahrs, wonach der Friede der höchste Grundwert sei. Wenn dies stimme, so Geißler, hätte Hitler die ganze Welt erobern können, ohne daß ihm jemand entgegengetreten wäre. Friede sei nur möglich, wenn Freiheit und Gerechtigkeit garantiert seien. Zuvor hatte der gerade aus dem kosovarischen Elend zurückgekehrte Rupert Neudeck in plastischer Sprache die Richtigkeit von Geißlers Überlegungen dargestellt.

Aber ansonsten: Schäuble liebt es vage, Rilkes Grabinschrift "Rose, oh reiner Widerspruch" hat da mehr Vitalität. Ganz im Sinne einer konservativen Volkspartei muß auch nicht alles neu erdacht werden, bisweilen ist eine leichte Überholung vonnöten. So gibt es durchaus Ansätze bei der Flexibilisierung der Arbeit oder der Förderung von Familien. Doch dann heißt es in Schäubles Rede beispielsweise auch: "Wer sich seiner selbst gewiß ist, bleibt offen für den anderen. An diesem Punkt entscheidet sich die Bereitschaft für die Integration ausländischer Mitbürger." Für die harte Arbeit vor Ort sicher keine letzte Weisheit.

Ähnlich gelagert ist es bei den stoffschweren "Erfurter Leitsätzen": "Wir wollen überlegen, wie die Bürger auf den verschiedenen politischen Ebenen noch besser in die demokratische Verantwortung einbezogen werden können." Auf einem programmatischen Parteitag hätte man ganz gerne hier zum Für und Wider einer unverbindlichen Postkartenaktion oder eines Volksentscheids gehört.

In einer kurzen, aufmerksam registrierten Stellungnahme reagierte der frisch gebackene hessische Ministerpräsident Roland Koch auf die in Erfurt alles durchdringende Unzufriedenheit der Delegierten über die inhaltlichen Lauheiten, indem er "der Partei der Mitte, um mehrheitsfähig zu werden, klare Positionen" empfahl. Therapieverdächtig andererseits mutete an, wie perfekt verdrängt war, daß bei zuviel Defaitismus die Handlungsimpulse eben aus Bayern gesendet werden – wie am Dienstag der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber in seiner kämpferischen Rede eindrucksvoll unter Bewies stellte

Am Ende des ersten Tages erschien dann, nachdem stundenlang zuvor darüber gemunkelt wurde, der weltbereiste Helmut Kohl; und während er mit betont tempotreibendem Gang, im Riesenpulk vom ineinander verhakten Mikrogestänge und geschulterten Kameras, ihn mit Fragen überstürzenden Reportern, noch immer relativ gut sichtbar, das Klatschdéfilé seiner Anhänger in den Messehallen abschritt, da war die CDU endlich "mitten im Leben" angekommen.

 

Auftakt im Dom: Gottbefohlen

Zur traditionellen ökumenische Morgenandacht strömte die Parteitagsgemeinde in den Erfurter Dom. Der Bischof des Bistums Erfurt, Joachim Wanke, erinnerte in seiner Predigt unter berufung auf Psalm 146 daran, daß Fürsten auch nur Menschen seien.

Der Bischof der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack, gab den Politikern mit auf den Weg, die im Staat Verantwortlichen müßten den "Mut zur vorläufigen Handlung" aufbringen. Gottbefohlen sollten sie an ihren Rednerpulten an den Satz denken: "Du sollst die Welt nicht retten!" Jenseits aller Selbstüberschätzung seien – eine deutliche Anspielung auf den Krieg im Kosovo – "komplizierte Vorgänge" zu lösen.

Musikalisch stimmten die "Weimarer Hofsänger" mit ihrer "Gregorienik Gesualdo" in den Tenor ein: Der Counter-Tenor führte vor, daß Harmonie um so vollendeter klingt, je mehr um diese auch gerungen wird – wie halt im richtigen Leben.


 
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